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Debatte: Liberaler Sozialstaat?

FDP-Chef Westerwelle hat die Debatte mit schrillen Tönen begonnen. Jetzt wird es konkreter. Wie stellen sich die Liberalen den Sozialstaat vor? Und was meinen Sie zu dem Thema? Diskutieren Sie mit!

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Der Sozialstaat, sagt Christian Lindner, sei eine „zivilisatorische Errungenschaft“. Was klingt wie ein Versatzstück aus wohlfeilen Sonntagsreden, ist für einen FDP-Generalsekretär dieser Tage schon fast ein Bekenntnis. Während ihr Parteichef Guido Westerwelle als Außenminister weit weg in Lateinamerika die Bundesrepublik vertritt, konkretisiert die Partei wenige Wochen vor ihrem Parteitag im April ihre Vorstellungen für einen „fairen Sozialstaat“. Dessen „Treffsicherheit und Effizienz“, auch die Finanzierbarkeit sei verbesserungsfähig, sagt Lindner. Und als zentrales Anliegen nennt er den „fairen Interessenausgleich“ zwischen denen, die Sozialleistungen bekommen, und denen, die sie finanzieren.

Das klingt im Ton ein wenig anders als die „Leistung muss sich wieder lohnen“-Trommel, die Lindners Chef seit Wochen schlägt; und das soll es ja. Auch in dem siebenseitigen Papier, das Lindner und mehrere FDP-Sozialpolitiker auf einem Symposion vorlegen, kommen Reizworte wie „spätrömische Dekadenz“ und „anstrengungsloser Wohlstand“ nicht vor.

In einem Punkt distanzieren sich Lindner und seine FDP-Kollegen sogar indirekt von Forderungen des FDP-Vorsitzenden. Westerwelles Idee, Arbeitslose zum Schneeschippen einzuspannen, taucht nämlich nicht auf – im Gegenteil: Zwar bekräftigen die Liberalen das Prinzip „Keine Leistung ohne Gegenleistung“, machen aber zugleich klar, dass sie Ein-Euro-Jobs – und in diese Kategorie fallen auch Laubfegen, Ästeschneiden oder Schneeschippen – nicht als Gegenleistung ansehen. Die Kleinstjobs würden sozialversicherungspflichtige Beschäftigung massiv gefährden und sollten daher nur dort angeboten werden, wo sie der Qualifizierung und Integration in den Arbeitsmarkt dienten, befinden die Liberalen. Dafür bekommen sie Lob von ungewohnter Seite: „Die FDP kassiert die Kraftpositionen ihres Vorsitzenden Westerwelle. Das trägt zur Versachlichung der Debatte bei“, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Der Sache dürfte auch die Klarstellung dienen, dass die FDP gar keine härteren Sanktionen gegen arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger fordert, sondern bloß „konsequente Anwendung der bestehenden Rechtslage“. Auch da hatte Westerwelle zumindest einen anderen Eindruck erweckt.

Mit dem Thesenpapier und einem Symposium zum Sozialstaat reagiert die FDP auf die Debatte, die Westerwelle durch seine provokanten Äußerungen losgetreten hatte. Die Positionen sollen Grundlage für den Leitantrag auf dem Parteitag im April sein – und nebenbei vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen das Bild der „kalten“ FDP korrigieren. Ein Verfahren, das in der FDP inzwischen eine gewisse Tradition hat. 2003, nach „Projekt 18“ und der Affäre Möllemann, war es Westerwelle selbst, der ein Sozialstaats-Papier für einen Parteitag verfasste. Die Entdeckung des Sozialen war damals ein Schritt bei dem Versuch, die um ein Haar selbst zerstörte Seriosität der Liberalen wiederherzustellen. In dem eher prinzipiell gehaltenen Traktat standen Sätze wie „Es gibt kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit“, aber auch die Forderung, statt einer „Neid-Debatte“ eine „Anerkennungskultur“ zu fördern.

Das neue Papier knüpft an diesem Punkt an das alte an. Die FDP 2010 fordert konkret, die Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger auszuweiten. Die Anreize für die Aufnahme einer gering bezahlten, aber existenzsichernden Beschäftigung seien in Deutschland zu schwach. Die FDP bringt zwei Varianten ins Gespräch, mit denen es nach ihrer Ansicht attraktiver würde, mehr als einen 400-Euro-Minijob anzunehmen. Außerdem soll geprüft werden, Geringverdiener bei den Sozialabgaben zu entlasten, indem die Grenze für die sogenannten Midijobs von derzeit 800 auf 1000 Euro angehoben wird. Bei diesen Beschäftigungsverhältnissen zahlt der Arbeitnehmer nicht die vollen Sozialabgaben.

Die Ausweitung von Hinzuverdienstmöglichkeiten ist allerdings nicht unproblematisch. Schon heute ist die Gefahr groß, dass Arbeitgeber die Chance für Lohndumping nutzen. Das Rezept der Freidemokraten ist ein Appell an die „ehrlichen Kaufmannstugenden“. Mit denen sei es nicht vereinbar, wenn einzelne Arbeitgeber systematisch den ergänzenden Hartz-IV-Bezug ihrer Vollzeitmitarbeiter einkalkulierten. Derlei „Exzesse“ müsse der Sozialstaat durch „wirksame Kontrolle und Evaluation“ verhindern, heißt es in dem Papier sehr allgemein.

SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil kontert, nur ein gesetzlicher Mindestlohn könne dem Lohndumping entgegenwirken – und den verhindere die FDP. Das jetzt vorgelegte Papier sei „soziales Rouge auf den kalten wirtschaftsradikalen Wangen der FDP“, sagte Heil dem Tagesspiegel. Die FDP spricht sich darin erneut „strikt“ gegen einen gesetzlichen Mindestlohn aus. Dass es „Aufstocker“ gebe, die ergänzend zu ihrem Job auf Hartz IV angewiesen sind, sei keine „Schande für den Sozialstaat“, sondern ein Ausweis für dessen Leistungsfähigkeit, sagt der FDP-Sozialexperte Heinrich Kolb.

Nach dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirbt auch die FDP dafür, die Bedürfnisse der Kinder nicht nur über finanzielle Transfers zu decken, sondern auch durch Gutscheine für kulturelle Veranstaltungen oder ein kostenloses Mittagessen in der Schule. Einen „Paradigmenwechsel“ fordert auf dem Symposium der Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, der mehr Geld für Kitas und Schulen fordert. Wenn das Kindergeld halbiert werde, könnten bis zu 18 Milliarden Euro für Bildung mobilisiert werden, sagte der SPD-Mann. „Wir sollten weg von der Förderung der Eltern, hin zur Förderung der Kinder.“

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