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Premierminister Boris Johnson ist entschlossen, den EU-Austritt am 31. Oktober zu vollziehen.

© Julian Simmonds/REUTERS

Deal ohne Deal: Wie sich ein chaotischer Brexit noch stoppen ließe

Boris Johnson will am 31. Oktober die EU verlassen. Notfalls auch ohne einen Deal. Lässt sich ein chaotischer Austritt Großbritanniens noch stoppen?

Je entschlossener Boris Johnson auf einen „No Deal“-Brexit am 31. Oktober zuhält, desto mehr klammern sich Gegner eines solchen chaotischen Abschieds aus der Europäischen Union an die Hoffnung, ihn noch rechtzeitig stoppen zu können. Verfassungsexperten sehen mehrere Methoden, mit denen das im Parlament zu bewerkstelligen wäre, räumen aber auch ein, dass die Chancen nicht sehr groß sind.

Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen, wie es in den kommenden Wochen weitergehen könnte – und wie sich ein No-Deal-Brexit verhindern ließe.

Ein Gesetz als Ausweg für die Volksvertreter

Erst einmal könnte das britische Parlament den „No Deal“-Abgang mit einem Gesetz blockieren. Ein Gesetz müsste es tatsächlich sein: Eine bloße Willensbekundung oder eine beliebige Abstimmung würden nicht reichen. Möglich wäre zum Beispiel ein Gesetz, das die Regierung dazu verpflichten würde, die EU um weiteren zeitlichen Aufschub zu bitten. Oder ein Gesetz, das ein zweites Referendum vorschreiben würde, vor jeglichem Austritt. Alternativ könnten sie mit einem neuen Gesetz die Austrittserklärung von 2017 einfach widerrufen. In diesem Fall gäbe es keinen Brexit mehr.

Das Unterhaus muss aktiv werden

Das Problem ist, dass es der Exekutive obliegt, Gesetze einzubringen. Und die Regierung Boris Johnson wird ihre eigene Politik wohl kaum kippen wollen. Der „Gesetzesweg“ funktioniert also nur, wenn sich das Unterhaus selbst ein entsprechendes Recht bewilligt und den Gesetzgebungsprozess in eigener Regie durchführt, also quasi die Rolle einer Ersatzregierung übernimmt. Der Speaker der Kammer, John Bercow, würde das wohl ermöglichen. Aber ob es zeitlich noch reicht und in allen Details machbar wäre, ist nicht klar.

Das Parlament könnte die Regierung stürzen

Das wäre die letzte und radikalste Lösung. Die Oppositionsführung kann einen Misstrauensantrag stellen und hat auch schon versprochen, das im September zu tun. Die Frage ist nur, ob genug Tory-Rebellen den Mut finden, um mit den Oppositionsparteien gegen die eigene Regierung zu stimmen. Sieben oder acht Tories würden wohl gebraucht, um Premierminister Boris Johnson das Vertrauen zu entziehen.

Was ein Vertrauensverlust für den Premier bedeutet

Wäre Johnson am Ende? Nein. Nicht ganz. Nach einem Vertrauensentzug ist eine 14-Tage-Frist vorgesehen, in der ein Regierungschef versuchen kann, sich erneut eine Mehrheit zu verschaffen. Nur wenn ihm das nicht gelingt und auch sonst niemand die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich bringt, ist der Premier am Ende gezwungen, die Königin um Neuwahlen zu bitten. Irgendwann im Anschluss daran muss das Parlament aufgelöst werden. Für den Wahlkampf sind 25 Werktage vorgesehen.

Die Folgen für die Brexit-Frist am 31. Oktober

Sollte es zu dem beschriebenen Szenario kommen, würde es zeitlich knapp werden, wenn die Abgeordneten am 3. September aus der Sommerpause zurück nach Westminster kommen. Außerdem setzt der kommissarisch weiter amtierende Premierminister das Datum für Neuwahlen fest. Jemand wie Boris Johnson könnte den Wahltermin problemlos etwas hinauszögern. Zum Beispiel auf den 31. Oktober. Oder auf einen Tag im November. Dann wäre Großbritannien aus der EU ausgeschieden, bevor die Stimmen ausgezählt sind.

Wieso der Vertrauensentzug nicht automatisch zum Rücktritt führt

Normalerweise würde ein Regierungschef, dem vom Parlament das Vertrauen entzogen wird, sofort zurücktreten und der Königin einen möglichen Nachfolger empfehlen. Gesetzlich festgelegt ist ein solches Vorgehen aber nicht. Theoretisch könnte ein Regierungschef die 14 Tage einfach im Amt bleiben. Das heißt, Johnson könnte sich jedem Versuch einer Ablösung widersetzen, bis er nach Ablauf der Frist zur Ausschreibung von Wahlen schreiten müsste. Die Kontrolle läge dann immer noch bei ihm. Er säße weiter, mindestens bis zum Wahltag, in Downing Street.

Das könnten die Rebellen im Unterhaus in dieser Lage tun

Sie könnten natürlich politischen Druck ausüben. Sie könnten sich auf einen konsensfähigen Abgeordneten, vielleicht einen Hinterbänkler wie den Parlaments-Veteranen Ken Clarke, als Alternativ-Kandidaten einigen.

Würde der auch nur für 24 Stunden Premier, könnte er „den Brief nach Brüssel“, mit der Bitte um weiteren Verzug, auf den Weg bringen und so ein „No Deal“-Fiasko am 31. Oktober verhindern. Die Frage ist, ob die Queen einen nicht zum Rücktritt bereiten Premierminister Johnson wirklich des Amtes enthöbe. Um eine ernste Verfassungskrise kämen die Briten in diesem Fall nicht herum.

Peter Nonnenmacher

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