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Erst finden, dann bewerten. Und dabei immer Spuren im Netz hinterlassen.

© DPA

Datenschutz und Digitalisierung: Die Bewertungsgefahr

Zwar droht keine Big-Brother-Überwachung durch den Staat. Dennoch wird auch Deutschland langsam zur Scoring-Gesellschaft – ganz freiwillig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sonja Álvarez

Wer an manchen Flughäfen durch die Sicherheitskontrolle geht, soll neuerdings nicht nur seine Taschen durchleuchten lassen, sondern auch Knöpfe mit Smiley-Gesichtern drücken, von rot vor Wut bis glücklich strahlend: Wie zufrieden waren Sie mit dem Service? Auch Flugbuchungen, Hotelaufenthalte oder Online-Käufe, alles wird per Klick bewertet, bei Facebook und Instagram werden dauernd „Likes“ und Herzchen verteilt.

Was aber wäre, wenn all diese Bewertungen in einer großen Datenbank zusammengeführt werden würden – in die auch einfließt, wie andere über uns urteilen: als Mitarbeiter, Bürger, Versicherte oder Freunde? All das ist nicht etwa ein Horrorszenario, sondern passiert so ähnlich bereits in China, wo die Regierung ein Sozialkredit-System einführen will und derzeit bereits testet. Nur wer eine bestimmte Punktzahl hat, darf beispielsweise komfortabel mit Schnellzügen oder Flugzeugen reisen und seine Kinder auf gute Schulen schicken. Super-Scoring nennt sich dieses System, mit dem der Staat seine Bürger vermessen, ihr Verhalten vorhersagen und sie steuern will.

Diese Entwicklung könnte auch in Deutschland relevant werden, warnt der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen in seinem Gutachten, das am Mittwoch an Verbraucherschutzministerin Katarina Barley (SPD) überreicht worden ist. Zwar droht hier keine Big-Brother-Überwachung von staatlicher Seite, aber tatsächlich sind auch wir auf dem besten Weg, zur Scoring-Gesellschaft zu werden – und zwar ganz freiwillig. Nicht nur, in dem wir ein Smiley hier und ein „Like“ da verteilen. Sondern weil Unternehmen immer mehr Anreize schaffen, auch private Daten preiszugeben.

Ist doch nur fair, wenn gutes Verhalten belohnt wird?

Mit Bonus-Programmen locken beispielsweise Versicherungen ihre Kunden, mehr Daten zu teilen. Etwa über Wearables, die Vitaldaten tracken. Oder sie bieten Telematik-Optionen an, bei denen eine Box im Auto beispielsweise Beschleunigung und Bremsen überwacht. Ist doch nur fair, wenn gutes Verhalten belohnt wird?

Was aber ist mit den Menschen, die nicht ins System passen: weil sie Einschränkungen haben oder ihre Daten schlichtweg nicht teilen wollen? Sie dürfen nicht diskriminiert werden, beispielsweise durch teurere Tarife oder Ausschluss von Bonus-Programmen. Sonst ist nicht nur das Solidaritätsprinzip, sondern die freie Gesellschaft in Gefahr. Denn wie in China besteht auch zumindest theoretisch die technische Möglichkeit, alle individuellen Bewertungen in einen einzigen Wert zusammenzuführen und jedem Menschen eine Zahl zu verpassen, erklären die Mitglieder des Sachverständigenrats. Dazu müssten nur die Datenbanken jener Firmen vereinigt werden, die über uns Daten sammeln.

Das ist in Deutschland verboten. Auch gibt die Datenschutzgrundverordnung den Bürgern die Möglichkeit, zu kontrollieren, wer welche Daten hat. Dennoch braucht es ein größeres Bewusstsein dafür, welche Folgen – und welchen Wert – Datenspuren haben. Bereits jetzt wird im internationalen Datenhandel mehr Geld umgesetzt als beim Handel mit Öl. Statt auf den Smiley-Knopf zu klicken, ist ein Dankeschön vielleicht die bessere Wahl.

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