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Am Mittwoch wird Angela Merkel erstmals seit sieben Monaten die Ministerpräsidenten der Länder in Berlin treffen.

© REUTERS

Das Primat der Virologie hat ausgedient: Beteiligt die Parlamente, das bringt mehr Legitimation!

Maskenpflicht? Ausgangssperre? Sperrstunde? Im Bundestag könnten die Argumente vielfältiger gewogen werden als beim Gipfel mit der Kanzlerin. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

In noch jeder Kanzlerschaft bisher kam das Ende aller Prinzipienfreiheit, und so ist es auch in der Kanzlerschaft Angela Merkels. Hat sie bisher weitenteils regieren können nach Umfragen und Mehrheitsmeinungen, denen sie sich erst anschloss, um sie dann zu ihren zu machen und sich qua Amt an die Spitze zu stellen, so hat sich das Thema Corona in einer Weise entwickelt, dass die Kanzlerin im Herbst ihrer Regierungszeit ganz aus ihrem Selbstverständnis als Wissenschaftlerin handelt.

Will sagen: Primat der Virologie für die Politik, Wissenschaft first. Den Begriff Verfassung definiert Merkel dementsprechend gerade nicht als Grundgesetz, sondern als allgemeinen Gesundheitszustand der Gesellschaft.

Was, je länger die Coronakrise dauert, umso mehr Widerstand hervorruft. Grüne, SPD, Linke, FDP – die Zahl derer wächst, denen diese ja doch eher unpolitische Sicht zu viel wird.

Eine große opponierende Koalition gewissermaßen, die mehr Mitsprache der Abgeordneten verlangt.

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Die erste Gewalt ist eben nicht die Kanzlerin

Nehmen wir Gerhart Baum, den unermüdlichen bürgerrechtsliberalen Streiter für die Parlamentsrechte. Er formuliert soeben einen „dringenden Appell“, dass die „Erste Gewalt (mit-)entscheiden muss“. Die erste Gewalt, die eben nicht die Kanzlerin ist, auch nicht die Ministerpräsidenten sind, sondern die Parlamente. „Es ist gänzlich unverständlich, dass diese Forderung seit Monaten erhoben wird, aber bisher nichts geschehen ist.“

Die ganze Republik debattiere, nur die Parlamente würden noch immer ausgebremst, auf Bundes- wie auf Landesebene nicht an den Entscheidungen beteiligt, „weil die Regierungen fürchten, in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt zu werden“, meint Baum.

Dabei ist es ja eigentlich umgekehrt. Parlamente zu beteiligen, bedeutet ein Mehr an Legitimation, denn die Entscheidungen verbinden sich unmittelbar mit dem Wahlvolk, dem Souverän. Außerdem müssen Parlamente laut Bundesverfassungsgericht bei den Grundrechten alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen. „Dieser Gesetzesvorbehalt ist elementarer Teil des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips“, weiß Baum. Wissen es die Regierenden nicht?

So könnte das Parlament auch in Krisen beteiligt werden

Maskenpflicht, Abstandsgebote, Kontaktbeschränkungen, Beherbergungsverbote, Sperrstunden, Alkoholverkaufsverbote, nächtliche Ausgangssperre, ein (zweiter) Lockdown – im Bundestag könnten unter den Augen der Öffentlichkeit Argumente vielfältiger gewogen werden als bei einem Gipfel der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten hinter geschlossenen Türen.

Dazu eine Idee der Opposition in Bayern: Die Regierung kann eine eilige Entscheidung zunächst selbst treffen, die aber außer Kraft tritt, wenn sie nicht innerhalb einer Woche parlamentarisch ist. Im Prinzip wäre es das beste, wenn der Vorschlag angenommen würde. Und vor allen anderem von einem Regierungschef, der Kanzler werden will. 

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