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Die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Mittwoch im Europaparlament.

© Frederick Florin/AFP

Das Kernproblem der Europäischen Union: Von der Leyen kommt, der Nationalismus bleibt

Die neue EU-Kommissionschefin hat ehrgeizige Ziele. Aber sie dürfte schnell mit den gleichen Kräften wie Jean-Claude Juncker zu kämpfen haben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Es ist fünf Jahre her, dass der Luxemburger Jean-Claude Juncker Chef der EU-Kommission wurde. Die Männer und Frauen, die ihn damals an der Spitze der Brüsseler Behörde umgaben, bezeichnete er als „Kommission der letzten Chance“. Klug war das nicht, denn der zunehmende Nationalismus, den Juncker immer wieder beklagte, fraß sich auch während dessen Amtszeit erkennbar immer tiefer ins Innere der Gemeinschaft.

Erst scheiterte eine gemeinsame Flüchtlingspolitik am Widerstand osteuropäischer Mitgliedstaaten, dann stimmten die Briten für den Brexit, und gegen Ende seiner Amtszeit konnte die Brüsseler Behörde der Aushöhlung des Rechtsstaats in Polen und Ungarn nichts entgegensetzen.

Ohne dass es sein Verschulden wäre, fällt Junckers Bilanz also durchwachsen aus. Wenn man ihn also an seinen Worten messen würde, hätte Ursula von der Leyen jetzt eigentlich gar keine Chance mehr.

Orban ist ein Europäer, der die EU aushöhlt

Die EU-Kommission, die am Mittwoch vom Europaparlament bestätigt wurde, ist eine Art europäische Regierung. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zu den Regierungen, wie man sie aus Berlin, Paris oder Ljubljana kennt: Das Gremium im Brüsseler Berlaymont-Gebäude, das von der Leyen als Nachfolgerin Junckers ab Sonntag leiten wird, ist nicht allein auf die Unterstützung von Parlamentariern in Straßburg angewiesen.

Zudem sind es auch die mächtigen Mitgliedstaaten, die darüber bestimmen, wie viel Gemeinschaftsgeist weht – oder eben nicht. Ungarns Regierungschef Viktor Orban liefert ein Beispiel dafür, was passiert, wenn einzelne Mitglieder die EU von innen aushöhlen.

Zunehmende Spaltung zwischen Ost und West

Das dürfte auch von der Leyen bewusst sein. Aber obwohl die zunehmende Spaltung zwischen Ost- und Westeuropäern unübersehbar ist, hat sie es sich zum Ziel gesetzt, den Graben innerhalb der EU wieder zuzuschütten. In ihrer Rede vor dem Europaparlament, bei der sie ihr Team vorstellte, fehlte folglich auch ein Lamento über den inneren Zustand der EU à la Juncker.

Allerdings dürften die alten Streitigkeiten, mit denen schon der Luxemburger zu kämpfen hatte, schnell wieder aufflammen – spätestens dann, wenn von der Leyen zu Beginn des kommenden Jahres ihren Vorschlag für einen neuen europäischen Migrationspakt vorlegen wird.

Immerhin könnte sie davon profitieren, dass das Migrationsthema inzwischen auf der europäischen Agenda nicht mehr ganz so weit oben steht wie im Krisenjahr 2015. Zu Recht hat die neue Kommissionschefin mit dem Klimaschutz und der Digitalisierung zwei Politikfelder in den Vordergrund gerückt, die im Alltag von Millionen Europäern unmittelbare Auswirkungen haben.

Auch ihr Credo, dass sich die EU-Staaten geopolitisch nur gemeinsam Wirkung entfalten können und sich nicht zwischen den USA und China zerreiben lassen dürfen, ist berechtigt.

Streit um den EU-Haushalt steht erst noch bevor

Allerdings sind es am Ende doch die Nationalstaaten, die über den Handlungsspielraum der neuen EU-Kommission entscheiden werden. Das beginnt beim Geld, das für die nächste Haushaltsperiode zwischen 2021 und 2027 erst noch verteilt werden muss, und endet beim Klimaschutz.

Denn ob die ehrgeizigen Ziele bei der Minderung der Treibhausgase, die von der Leyen vorschweben, auch umgesetzt werden, hängt vor allem von den Hauptstädten ab. Die Mühen der europäischen Ebene wird Ursula von der Leyen möglicherweise schneller zu spüren bekommen, als ihr lieb ist.

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