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Völlig losgelöst. Diese Männer sind Teil einer Gruppe Fallschirmspringer, die sich gegenseitig filmen – um das Video später online zu veröffentlichen.

© Tsp

Das dritte Auge: GoPro: Die gefährlichste Kamera der Welt

Jeder kann ein Held sein, verspricht die „GoPro“. Sie ist die erfolgreichste Actionkamera der Welt. Ihre Nutzer jagen nach den besten Aufnahmen - für manche endet diese Jagd tödlich.

Es könnte ein perfekter Dreh werden. Die Sonne scheint, der Schnee glitzert unten auf der Rampe. Am Abend zuvor sind Björn Uhlitzsch und Sebastian Abendschön noch einmal die Szenen durchgegangen, die sie an ihrem letzten Urlaubstag im österreichischen Montafon drehen wollen. Nun steht Uhlitzsch am Hang und nimmt Fahrt auf. Seine Skistöcker hält er in der einen Hand, in der anderen eine Kamera, mit der er seinen Sprung filmen will. Uhlitzsch fährt auf die 1,60 Meter hohe Rampe zu, unten wartet Abendschön, auch er hat eine Kamera in der Hand. Uhlitzsch gleitet über die Rampe, hebt ab – und verliert die Balance. Er knallt hart auf den Boden.

Für manche endet die Jagd nach spektakulären Aufnahmen tödlich

„Hätten wir die Kameras nicht dabei gehabt, wäre ich ganz sicher nicht gesprungen“, sagt Uhlitzsch, als er von seinem Unfall im vergangenen März erzählt. Noch immer schmerzt sein unterer Rippenbogen, was der Fitnesstrainer aus Berlin-Weißensee gar nicht gebrauchen kann.

GoPro heißen die Kameras, die Uhlitzsch und Abendschön, beide 27 Jahre alt, nutzen. Go Professional, werde ein Profi. Es ist die gefährlichste Kamera der Welt. Wie die beiden Berliner jagen viele Nutzer nach spektakulären Aufnahmen, gehen dabei an ihre Grenzen und darüber hinaus. Für ein Video, in dem sie sich selbst beweisen wollen. Für Youtube. Für Klicks. Manchmal endet die Jagd tödlich.

„Secrets are Lies"

In Dave Eggers Roman „The Circle“ gehört eine kleine, günstige Kamera, mit der Nutzer ihr tägliches Leben filmen und im Netz für jedermann sichtbar machen sollen, zu den großen Erfindungen einer Internetfirma. „Secrets are Lies, Sharing is Caring, Privacy is Theft“, heißt die Mission des Unternehmens. „Geheimnisse sind Lüge, Teilen ist Liebe, Privatsphäre ist Diebstahl“. Zwei Milliarden dieser Kameras will die Firma weltweit aufstellen, an privaten Orten und öffentlichen Plätzen. Jeder, so ihre Vision, soll eine Kamera um den Hals tragen. „Wir werden allsehend, allwissend sein“, jubelt der Manager, als er die Kamera den Mitarbeitern vorstellt. Sie jubeln mit.

Im öffentlichen Raum sind die Bürger immer häufiger im Blickfeld allgegenwärtiger Überwachungskameras.
Im öffentlichen Raum sind die Bürger immer häufiger im Blickfeld allgegenwärtiger Überwachungskameras.

© dpa

Was bei Eggers als fiktives Horrorszenario aller Datenschützer beschrieben wird, ist teilweise längst Realität geworden. Wir werden zunehmend observiert, wie nicht nur der NSA-Skandal zeigt. In Großbritannien, wo es bereits so viele öffentlich installierte Kameras gibt wie in keinem anderen Land, sollen künftig auch die Polizisten Minikameras an ihren Uniformen tragen, um ihre Einsätze zu dokumentieren. Amtshilfe leisten wir selbst. Mit der größten Leidenschaft filmen und fotografieren wir unser Leben und teilen es bereitwillig im Netz über Facebook, Instagram, WhatsApp & Co.

Rund 19 Millionen Treffer sind zum Stichwort GoPro auf Youtube zu finden

Rund 19 Millionen Treffer sind zum Stichwort GoPro auf Youtube zu finden. Allein 2013 haben Nutzer auf der Plattform Material mit einer Gesamtspieldauer von knapp drei Jahren veröffentlicht. Alle zwei, drei Minuten komme ein neues Video hinzu, sagte GoPro-Erfinder Nick Woodman, 38, dem Wirtschaftsmagazin „Inc“. Ein ganzes Team macht in seiner Firma nichts anderes, als GoPro-Videos hochzuladen und im Internet zu verlinken. Sharing is Caring.

Keine andere Actionkamera wird weltweit häufiger verkauft als die GoPro. 2,3 Millionen allein 2012. Nach Schätzungen der Branche werden es 2014 in Deutschland 300 000 Stück sein. 250 Euro kostet das Einsteigermodell, die Profiversion ist für 450 Euro zu haben. Formel-1-Fahrer Michael Schumacher hatte eine GoPro an seinem Helm befestigt, als er im französischen Méribel beim Skifahren auf einen Felsen knallte, die Kamera blieb ganz. Felix Baumgartner war mit sieben GoPros ausgestattet, als er im Oktober 2012 über Texas aus der Stratosphäre in Richtung Erde sprang. Die GoPro ist kaum größer als eine Zigarettenschachtel, in einer Plastikhülle wird sie stoß- und wasserfest verpackt, sie gilt als unkaputtbar. Ihre Nutzer sind es nicht.

„Be a hero“, wirbt GoPro – und wer will kein Held sein?

„Immer nur geradeaus, das interessiert doch keinen“, sagt Sebastian Abendschön, der zehn GoPros besitzt. In seinem Wohnzimmer in Weißensee laufen auf dem großen Fernsehbildschirm Videos, die er zusammen mit Uhlitzsch und anderen Freunden in Montafon gedreht hat. Sie fahren im Slalom die Pisten herunter, springen über kleine Rampen, feiern beim Après-Ski. „Man will eine Aufnahme haben, die kein anderer hat. Deshalb tastet man sich immer weiter an seine Grenzen heran“, sagt Abendschön, auch er hat noch Schmerzen von der Reise im vergangenen März. Nacken überstreckt, als er mit einer anderen Fahrerin zusammenprallte. In Gedanken war er da noch bei der perfekten Aufnahme.

„Be a hero“, so wirbt GoPro – und wer will kein Held sein, wenn es dafür nur einer Kamera bedarf? Die Kamera ist das Spielzeug der Generation „Selfie“, sie ist Zeugin des Lebens. Nur, was gefilmt und abgespeichert wird, hat wirklich stattgefunden. Doch gelange diese „Selfieness niemals ans Ziel, weil jedes Posting nur Momentaufnahme sein kann“, schrieb der Blogger Sascha Lobo kürzlich und zitierte den Publizisten Karl Scheffler. „Denn man ist im Netz dazu verdammt: immerfort zu werden und nie zu sein.“

Sprung in den Tod: Wingsuitflyer Mark Sutton (r.) filmt seinen letzten Flug mit der GoPro, die er an seinem Helm und an seinem Anzug befestigt hat. Tony Uragallo, der kurz nach ihm aus dem Hubschrauber springt, kann ihm beim Absturz nicht retten.
Sprung in den Tod: Wingsuitflyer Mark Sutton (r.) filmt seinen letzten Flug mit der GoPro, die er an seinem Helm und an seinem Anzug befestigt hat. Tony Uragallo, der kurz nach ihm aus dem Hubschrauber springt, kann ihm beim Absturz nicht retten.

© Tsp

Viele harmlose Aufnahmen sind unter dem Stichwort GoPro auf Youtube zu finden, ein Junge dreht seine ersten Runden auf dem Fahrrad, ein Mann filmt in den Ausschnitt eines Bikini-Girls, Freizeitsportler wie Abendschön und Uhlitzsch inszenieren sich als Profis. Aber es gibt auch Videos wie das von Mark Sutton.

Er filmt den Sprung in seinen eigenen Tod

Sutton, 42, hat drei GoPros dabei, als er am 14. August 2013 zu seinem letzten Sprung ansetzt. Millionen Menschen haben dem britischen Stuntman ein Jahr zuvor zugesehen, als er zur Eröffnung der Olympischen Spiele 2012 in London verkleidet als James Bond mit einer falschen Queen im Arm am Fallschirm ins Stadion schwebte. An diesem Sommertag trägt er einen Wingsuit, einen Gleitanzug aus Nylon, mit dem er wie ein Flughund an Abhängen entlangsegeln kann, mehr als 200 Stundenkilometer schnell, bis er seinen Fallschirm öffnet und auf die Erde gleitet. Mit 20 anderen Wingsuit-Piloten will er in den Schweizer Alpen ein Video für Epic TV drehen, der Online-Kanal ist auf Extremsport spezialisiert.

Über den Bergen in der Nähe von Chamonix liegt Nebel, die Bedingungen könnten besser sein, aber die anderen Jungs sind sicher gelandet. Also steigt auch Sutton in den Hubschrauber, der ihn auf Absprunghöhe bringt, sein Wingsuit hat die Farben des Union Jack, blau, weiß, rot. Die GoPros laufen, es geht hinauf auf mehr als 1000 Meter, er dirigiert den Piloten, hebt den Daumen für „ok“, dann stößt er sich in die Tiefe hinab. Die ersten Sekunden fliegt Sutton kontrolliert, dann driftet er plötzlich nach links weg, verschwindet in einer Nebelwolke, knallt an einen Felsen. Er filmt den Sturz in seinen eigenen Tod. Auf Youtube sind Videos von seinem Sprung zu sehen. Es sind nicht die einzigen GoPro-Aufnahmen, die den Tod eines Wingsuit-Piloten dokumentieren, allein 2013 sind 22 Menschen bei einem Manöver umgekommen.

"Ich bin es wirklich leid, meine Freunde sterben zu sehen“

„Im Sommer fast jede Woche einer. Ich bin es wirklich leid, meine Freunde sterben zu sehen“, sagt Tony Uragallo, 60, der mit seinen Tonysuits zu den bekanntesten Herstellern von Wingsuits gehört und selbst mehrere Wettbewerbe gewonnen hat. Er sprang nur wenige Sekunden nach Sutton aus dem Helikopter, flog über ihm, bis er ihn abdriften sah. „Mark glitt sehr nah an den Gipfeln vorbei, dann kam ein schattiger Bereich, er konnte die Distanz zum Boden wohl nicht mehr gut einschätzen“, erinnert sich Uragallo, ebenfalls ein Brite, der heute in Florida lebt. Uragallo filmte den Unfall mit seinen zwei GoPros, die Chips wurden von der Polizei konfisziert.

Hat Sutton das riskante Manöver nur gewagt, um eine spektakulärere Aufnahme zu bekommen? „Er wollte offensichtlich eine Schau abziehen. Jemanden vier Minuten durch den blauen Himmel fliegen zu sehen, ist ja auch langweilig“, findet Uragallo. Viele Wingsuit-Piloten würden extra nah an Bergwänden vorbeigleiten, um ihr Publikum zu schocken – und das bekommt diese Bilder wiederum nur dank der GoPro zu sehen. Trotzdem glaubt Uragallo nicht, dass Actionkameras wie die GoPro allein dazu beitragen, dass Extremsportler mehr Risiko auf sich nehmen. „Fotos und Videos werden von Stunts schließlich gemacht, seit es Kameras gibt“, sagt Uragallo.

Entwickelt worden ist die Kamera aus Eitelkeit.

Allerdings: So nah dran wie die GoPro war bisher keine Kamera. Sie filmt in HD-Qualität aus der unmittelbaren Perspektive des Nutzers. Wie ein drittes Auge. Damit hat sie die Möglichkeiten der Selbstdarstellung in der Fotografie revolutioniert wie zuvor wohl nur der Selbstauslöser.

Kein Urlaub ohne GoPro: Der Berliner Sebastian Abendschön (M.) filmt sich und seine Freunde beim Skifahren in Montanfon. Sein Youtube-Video wurde mehr als 74 000 Mal angeklickt.
Kein Urlaub ohne GoPro: Der Berliner Sebastian Abendschön (M.) filmt sich und seine Freunde beim Skifahren in Montanfon. Sein Youtube-Video wurde mehr als 74 000 Mal angeklickt.

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Entwickelt worden ist die Kamera aus Eitelkeit. Nick Woodman braucht Abstand, als sein Start-up „Funbug“ 2002 mit der Dotcom-Blase platzt, fünf Monate geht er surfen in Australien und Indonesien. Er will Aufnahmen von seinem Ritt über die Wellen, seine Kumpels haben aber wenig Lust, den Fotografen zu spielen. Woodman baut sich deshalb eine Konstruktion, mit der er eine Kamera am Handgelenk befestigen kann – und erfindet damit den Prototyp für die GoPro.

Zurück in Kalifornien bastelt Woodman 16 Stunden am Tag an der Kamera, am Schreibtisch sitzend trägt er einen Trinkrucksack, um keine Zeit beim Getränkeholen zu verplempern. Er finanziert sein Projekt durch den Verkauf von Muschelketten, die er aus Indonesien mitgebracht hat. Als eine japanische Firma 100 GoPros bestellt und bald Surfgrößen wie Kelly Slater und Snowboarder Shaun White eine GoPro nutzen, kommt der Durchbruch. Heute ist Woodman Milliardär, das „Forbes“-Magazin führt ihn seit 2013 in der Liste der reichsten US-Amerikaner.

"Die GoPro macht süchtig"

Sich selbst zu filmen, mache den Nutzer „kreativer, es stärkt sein Ego. Und es macht ihn süchtig nach neuen Aufnahmen“, sagte Woodman kürzlich in einem Interview, es hörte sich an, als beschriebe er eine neue Droge. Welche Videos top sind und welche ein Flop, entscheidet das Publikum auf Youtube. Klicks bekommen vor allem die, die alles bisher Gefilmte übertreffen.

Pál Takáts weiß um die Folgen. „Dass so viele Menschen die Videos im Netz sehen können, pusht die Athleten. Sie wollen immer neue, noch extremere Sachen ausprobieren. Ich sehe eine Gefahr darin, dass Sportler ein Risiko eingehen, das sie nicht eingehen sollten“, sagt der 28-Jährige Ungar mit den vielen dunklen Locken, der selbst vom Extremsport lebt. Die Getränkemarke Red Bull ist sein Hauptsponsor.

Auf Youtube sind zahlreiche Videos von ihm zu sehen, die er mit der GoPro gefilmt hat. In einem Clip fliegt Takáts mit seinem Gleitschirm in mehreren hundert Metern Höhe, in Sekundenschnelle dreht er sich um die eigene Achse, die Luft rauscht, er jauchzt und trinkt einhändig fliegend eine Dose von der Brause. „Für mich ist das Teil meiner Arbeit. Ich zeige meinen Fans, was ich so mache. Die Videos sind Werbung für mich und damit natürlich auch für meinen Sponsor“, sagt er.

"Würde ich das jetzt auch tun, wenn die Kamera nicht läuft?"

Seit zwölf Jahren betreibt Takáts Extremsport, neben der Gleitschirmakrobatik ist er auch Base-Jumper und Wingsuit-Pilot. Er kennt noch die Zeiten, als es keine GoPro und kein Youtube gab und er sich DVDs ausleihen musste, um sich Tricks abzuschauen. Heute sieht er sich nach jedem Training seine GoPro-Videos an, um sich weiter zu verbessern. Auch die Zuschauer würden von den Clips im Netz profitieren. „Die können sich bequem vom Sofa aus die krassesten Videos ansehen und zwar so, als wären sie selbst dabei.“ Genau hier aber beobachtet Takáts gleichermaßen ein großes Problem: „Dann wollen sie das nachmachen und unterschätzen, was sie können und was Profis schaffen.“

Auch er, gibt Takáts zu, habe manchmal schon mehr gewagt, als er wagen wollte – weil er wusste, dass die Kameras laufen. „Vor jedem Flug, vor jedem Manöver muss man sich immer selbst fragen: Würde ich das jetzt auch machen, wenn die Kamera nicht an wäre?“

"Im Netz ist ein Kampf um die besten Aufnahmen entstanden"

„Das ist im Netz ein regelrechter Kampf geworden: Wer hat die besten Videos, die neuesten Perspektiven, wer traut sich was“, sagt Andreas Straube, 36 Jahre alt. In seinem Laden in Berlin-Spandau verkauft er GoPros, die ganze Wand hängt voll mit Zubehör. Auf einem großen Bildschirm laufen GoPro-Videos, auch das von Abendschön ist zu sehen, er gehört zu Straubes besten Kunden – und zur typischen Zielgruppe: Männer zwischen 25 und 35 Jahren. Aber auch einen 70-jährigen Kunden habe er schon gehabt, sagt Straube, der pro Tag ein bis zwei GoPros verkauft, meistens das Profimodell. Viele Käufer wollten gleich wissen, wie sie die Videos auf Youtube stellen können. Manche Kunden schicken Straube später ihre Links. „Jeder will natürlich der Beste sein“, sagt Straube.

Abendschön und Uhlitzsch sind gerade wieder im Skiurlab, schon vorher haben sie überlegt, wie sie die Szenen aus dem vergangenen Jahr noch einmal toppen können. Sorgen um seine Daten macht sich Abendschön nicht. Wenn sein Name groß neben den Videos erscheint, freut er sich, dann „ist der Fame-Faktor höher“, der Ruhm größer. Mehr als 74 000 Mal ist ihr Clip aus dem vergangenen Jahr auf Youtube schon angeklickt worden. Dabei ist Uhlitzsch’ Sturz von der Rampe darin gar nicht zu sehen. Vor lauter Aufregung hatten sie beide vergessen, ihre GoPros einzuschalten. Sonja Álvarez

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