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Steht wegen dem geplanten Ausbau der Corona-Sonderrechte in der Kritik: Gesundheitsminister Jens Spahn

© AFP/Michael Sohn

„Das darf ein Parlament nicht mit sich machen lassen“: Scharfe Kritik an geplantem Ausbau der Corona-Sonderrechte für Spahn

Das Bundesgesundheitsministerium will das Infektionsschutzgesetz neu fassen. Derweil werden Rufe nach einer stärkeren Beteiligung des Parlaments lauter.

Bundestagsabgeordnete mehrerer Parteien haben die Zunahme von Vollmachten für die Bundesregierung in der Corona-Krise kritisiert. "Seit fast einem Dreivierteljahr erlässt die Regierung in Bund, Ländern und Kommunen Verordnungen, die in einer noch nie dagewesenen Art und Weise im Nachkriegsdeutschland die Freiheiten der Menschen beschränken, ohne dass auch nur einmal ein gewähltes Parlament darüber abgestimmt hat", sagte der SPD-Rechtsexperte Florian Post der Zeitung "Bild" (Montagsausgabe).

Post kritisierte "Bild" zufolge zudem die Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder. Das Grundgesetz kenne keine Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder. Diese sei "nicht als gesetzgeberisches Organ vorgesehen". Er sei dieses Vorgehen leid. Es gehe dabei nicht um die "unstrittige Notwendigkeit von Maßnahmen", es gehe darum, dass die gewählten Parlamente gefragt und eingebunden werden müssten.

"Das ist eine beunruhigende Entwicklung", sagte Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) der "Bild". Das Parlament müsse "wieder selbstbewusster seine Rolle als Gesetzgeber einfordern und dann aber auch ausfüllen".

Am Freitag war bekannt geworden, dass das Bundesgesundheitsministerium im Eilverfahren die Sonderrechte für Spahn über den 31. März 2021 hinaus verlängern und ausbauen will. Die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes würde es Spahn ermöglichen, eigenmächtig Verordnungen zu erlassen, soweit dies "zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist". So heißt es in einem Gesetzentwurf, der AFP vorliegt. Zuerst hatte die "Rheinische Post" über den Entwurf berichtet.

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Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass der Bundesgesundheitsminister nach eigenem Ermessen den internationalen und nationalen Reiseverkehr kontrollieren und Vorschriften für Flug- und Seehäfen erlassen kann, wenn die Infektionslage es erfordert. Dafür sollten auf dem Verordnungswege "bundeseinheitliche Schutzmaßnahmen" erlassen werden, heißt es in dem Entwurf. Die Vorlage sieht zudem vor, dass zu einem möglichen Corona-Impfstoff alle Bürger unentgeltlichen Zugang erhalten.

Die Neufassung des Gesetzes würde des Weiteren darauf hinauslaufen, dass Reiserückkehrern aus Risikogebieten ein Verdienstausfall droht: Wenn sie sich nach der Rückkehr aus einem ausgewiesenen Risikogebiet in Quarantäne begeben müssen, sollen sie keinen Anspruch auf Entschädigung wegen eines Verdienstausfalls haben.

Bisher regelt Paragraf 56 des Infektionsschutzgesetzes, dass Beschäftigte, die sich in Quarantäne begeben müssen, eine Entschädigung für den Verdienstausfall erhalten.

Die CDU-Wirtschaftspolitikerin Jana Schimke warnte in der "Bild", Ermächtigungsgrundlagen müssten zurückhaltend eingesetzt und "nur im Ausnahmefall" verwendet werden. Beim Einsatz medizinischen Personals im Pandemie-Fall sei das nachvollziehbar. "Aber der Bundesregierung jetzt bei regulären Gesetzen immer mehr Macht zu geben, halte ich in einer parlamentarischen Demokratie für problematisch", sagte Schimke.

[Massive Eingriffe in die Grundrechte: Je länger die Pandemie dauert, desto fragwürdiger ist das Regieren per Verordnung - Lesen Sie hier einen Kommentar.]

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) warnt vor einer Beschädigung der Demokratie, sollten wichtige Entscheidungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie weiterhin von der Bundes- und den Landesregierungen statt vom Parlament getroffen werden. "Wenn wir als Parlament unsere Aufgabe jetzt nicht wahrnehmen, dann hat die Demokratie einen dauerhaften Schaden", sagte Kubicki auf einer Veranstaltung der "Bild"-Zeitung am Sonntagabend. "Es ist die Aufgabe des Parlaments, wesentliche Entscheidungen zu treffen, und nicht die Aufgabe von Regierungsmitgliedern."

FDP-Politiker Kuhle: Parlament muss stärker beteiligt werden

FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle sagte der "Rheinischen Post": „Nachdem der Bundestag der Bundesregierung im März dieses Jahres zeitlich befristet besondere Rechte zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eingeräumt hat, will das Bundesgesundheitsministerium diese nun dauerhaft festschreiben.“ Dieser Schritt wäre nach Kuhnle eine dauerhafte Kompetenzverschiebung von der Legislative zur Bundesregierung. „Das darf ein selbstbewusstes Parlament nicht mit sich machen lassen“, so der FDP-Politiker weiter.

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Kuhle forderte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble dazu auf, auf Spahn einzuwirken, „damit das Parlament an den Entscheidungen in der Corona-Krise stärker beteiligt wird“.

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Johannes Fechner sagte: „Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zeigen, dass die Verordnungsermächtigungen für die Exekutive zu unbestimmt sind, insbesondere wenn es um die Einschränkung von Grundrechten geht.“

Die Bevölkerung habe nur Vertrauen in die Entscheidungen, wenn die Corona-Schutzmaßnahmen rechtssicher seien und nicht von Gerichten gekippt würden.

Der Koalitionspartner SPD kündigte bereits Widerstand gegen die Pläne an. Die SPD will allerdings bei der Ausweitung der Kompetenzen für den Minister nicht mitmachen. "Das wird so nicht kommen", hieß es gegenüber AFP aus der SPD-Bundestagsfraktion. Einer Entfristung der Verordnungsermächtigung für den Minister werde die SPD nicht zustimmen: Hier gehe es um "weit reichende Grundrechtseingriffe". Die SPD bemängelte zudem, dass das Ministerium die Vorlage "sehr kurzfristig" in die Abstimmung gegeben habe. (AFP, Tsp)

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