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Ein Virus, der die ganze Welt herausfordert - und auch die globalen Machtverhältnisse ändern könnte.

© dpa

Das Coronavirus und instabile Regionen: „Die Menschen werden sterben wie die Fliegen“

Die Welt wird sich durch die Krise verändern, sagt der Politikwissenschaftler Johannes Varwick. Deutschland müsse dem Nationalismus widerstehen. Ein Interview.

Von Hans Monath

Johannes Varwick ist Professor für internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle und Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik.

Herr Professor Varwick, Serbiens Präsident Vučić strebt in die EU, hat aber kürzlich demonstrativ die chinesische Fahne geküsst, weil sein Land Hilfe aus Beijing gegen die Corona-Pandemie erhielt. Auch andere europäischen Länder erhielten solche Hilfe. Nutzt die chinesische Führung die Krise, um ihren weltweiten Einfluss zu mehren?
Das versucht die chinesische Führung zumindest. China will gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Es ist aber eine offene Frage, ob dieser Plan aufgeht. Ebenso ist es eine offene Frage, ob die Corona-Krise alle politischen Gesetzmäßigkeiten auf den Kopf stellen wird.

Ich erwarte das nicht und rate zu Nüchternheit. Meine These ist: In den internationalen Beziehungen wird nach der Krise nicht alles anders sein als vor der Krise.

Prof. Dr. Johannes Varwick, Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität HalleWittenberg.
Prof. Dr. Johannes Varwick, Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität HalleWittenberg.

© IMAGO

Manche Experten sprechen schon von einer globalen Machtverschiebung durch die Virus-Krise. Sie sehen dafür noch keine Anzeichen?
Wir haben seit einigen Jahren schon eine massive globale Machtverschiebung. Der Aufstieg Chinas hat die internationale Politik längst massiv verändert. Nun ist China aber nur ein Akteur in der Welt, die von der Corona-Pandemie heimgesucht wird.

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Welche anderen Faktoren werden die Welt unter der Corona-Herausforderung verändern?
Ich sehe vier Trends. Wir haben eine Erosion des Multilateralismus in der internationalen Politik. Das ging schon länger, ist nun aber auch in der Krise zu beobachten. Das Zweite: Wir werden ein massive Deglobalisierung erleben. Die globalen Lieferketten werden neu aufgestellt werden. Wir erleben, drittens, eine Rückkehr des Nationalstaates, und zwar nicht nur des autoritären Staates nach dem ungarischen oder chinesischen Modell, sondern auch in liberalen Demokratien wie Deutschland. Viertens müssen wir uns auf eine Destabilisierung ohnehin schon instabiler Räume einstellen.

Wie werden sich diese Trends auf Deutschland auswirken?
Deutschland wird von diesen Trends weit kräftiger durcheinandergeschüttelt werden als andere Staaten.  Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten massiv von der Globalisierung profitiert. Da sich nun die Deglobalisierung massiv verstärkt, wird das an ein Ende kommen. 

Das wird Konsequenzen haben für unsere Wirtschafts- und Sozialordnung und unseren Wohlstand. Deutschland wird deshalb in der internationalen Politik deutlich an Einfluss verlieren. Man kann es auch so sagen: Auf Deutschland kommen schwere Zeiten zu.

Hintergründe zum Coronavirus:

Wie sollte die deutsche Außenpolitik auf diese Bedrohung reagieren?
Wir müssten massiv in europäische Handlungsfähigkeit investieren, um die Folgen ein Stück weit abzufedern. Das ist im Moment aber nicht die Grundstimmung in diesem Land. Wir haben auch in Deutschland eine Rückkehr des Nationalen und eine Verengung des Blickes auf das eigene Land. 

Ich kann nur dafür werben, dass das ein Ende hat und wir die europäische Dimension wieder stärker in die Debatte einbringen. In der neuen Welt wird Deutschland untergehen, wenn es sich nicht auf seinen europäischen Anker verlassen kann.

Woran machen Sie die Nationalisierung der deutschen Politik fest?
Denken Sie nur daran, dass Deutschland den Export von Schutzausrüstungen gegen den Virus reflexartig unterbunden hat. Das ist verständlich, weil ein Staat zuerst an die eigene Bevölkerung denken muss. Es wäre aber klüger gewesen, Italien oder Spanien in so einer Situation massiv zu unterstützen, denn das kann uns morgen oder übermorgen auf die Füße fallen.

Immerhin werden nun Patienten aus Frankreich oder Italien hier behandelt…
Das ist der Versuch einer symbolischen Korrektur, aber das reicht nicht. Wir hätten erkennen und sagen müssen, dass die Probleme Italiens oder Spaniens wegen der engen Verflechtung auch unsere sind. Wir müssen umsteuern und deutlich machen, dass es uns nicht egal ist, wenn andere EU-Länder im Chaos versinken. Dafür müssen wir auch Geld in die Hand nehmen und zum Beispiel Corona-Bonds schaffen.

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Hat Deutschland wirklich die Kraft, die Rückkehr des Nationalismus in die EU aufzuhalten?
Kein anderer Staat in der EU hat solche Möglichkeiten und solchen Einfluss wie wir. Dabei hilft auch die Kontinuität an der Spitze. Angela Merkel kennt alle europäischen Akteure und ist bestens vernetzt. Deutschland muss diese europäische Aufgabe nun annehmen und auch in der Bevölkerung dafür werben, dass wir nicht nur eine nationale Nabelschau betreiben, sondern die europäische und weltweite Dimension nicht mehr so sehr ausblenden wie bisher. Deutschland kann das, es muss nur wollen.

Was meinen Sie, wenn Sie von der Destabilisierung ohnehin instabiler Räume durch Corona sprechen?
Es wäre ein Wunder, wenn die Pandemie nicht in Regionen massiv durchschlagen würde, aus denen wir bislang wenig Berichte über Erkrankungen haben. Alle empirischen Daten sprechen dafür, dass sich auch in Konfliktregionen wie Syrien, Libyen oder Subsahara-Afrika insgesamt Millionen infizieren werden. Dort gibt es keine funktionierende Staatlichkeit und kein leistungsfähiges Gesundheitssystem. 

In einem Flüchtlingslager hat niemand die Möglichkeit, Distanz zu wahren. Ich sage es deutlich: Dort werden die Menschen sterben wie die Fliegen.

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Was schlagen Sie vor?
Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, die wir haben, und etwa die Budgets der Weltgesundheitsorganisation oder des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen massiv hochfahren. Es rollt ein Tsunami an Elend auf die Menschen dort zu. Den können wir nicht beherrschen, aber wir können die Folgen etwas abmildern. Wir müssen hier zumindest Ansätze von globaler Solidarität hochhalten.

Auch aus eigenem Interesse?
Unbedingt. Wir können nicht überleben als alleiniger Akteur in dieser Weltlage. Da würden wir mit untergehen. Wir müssen auch das Wohl der anderen im Blick halten, sonst schaden wir uns selber.

Der G20-Gipfel hat vergangene Woche versprochen, den armen Ländern in der Krise zu helfen. Ist das Rhetorik – oder mehr?
Die Abschlusserklärung der G20-Videokonferenz vom 26. März 2020 war ein Hoffnungsschimmer. Mehr als fünf Billionen Dollar sollen für die Stabilisierung der Weltwirtschaft ausgegeben werden. Aber nur Experten haben das wahrgenommen. 

In den Medien kam das kaum vor. Wenn die Öffentlichkeit davon keine Notiz nimmt, dann halten das auch die Entscheidungsträger bald nicht mehr für wichtig. Wir müssen an der öffentlichen Wahrnehmung arbeiten. Wenn die Öffentlichkeit davon keine Notiz nimmt, dann halten das auch die Entscheidungsträger bald nicht mehr für wichtig. Wir müssen an der öffentlichen Wahrnehmung arbeiten.

Nach „Nine eleven“, den Terroranschlägen auf die USA, hieß ein geflügeltes Wort: Wir werden die Welt nicht wiedererkennen. Trifft dieser Satz in Wirklichkeit erst heute zu?
Nine eleven ist nicht der richtige Referenzpunkt für die Corona-Krise. Diese Aussage war damals vorschnell. Die Kriege im Irak und in Afghanistan waren eine Folge dieser Anschläge und haben die Welt nicht zum Guten verändert. Wir sollten uns heute nicht an Nine eleven erinnern, sondern an die Weltwirtschaftskrise in den Jahren nach 1929. Erst kam die ökonomische Destabilisierung, dann die politische Destabilisierung  - und dann ein Weltkrieg.

Das ist eine Mahnung. Wir sollten alles daransetzen, mit der massiven Krise heute anders umzugehen und ähnliche Folgen wie damals zu vermeiden. Wir müssen mit aller Kraft verhindern, in ein nationalstaatliches Gegeneinander abzugleiten. Das ist die große Aufgabe, vor der wir jetzt stehen.

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