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Klimaschutz und Wirtschaft - ein neues Superministerium soll es bringen. Dabei spricht viel dagegen.

© imago images/Future Image

Das BMU als Reste-Rampe: Ausgerechnet die Grünen entkernen das Umweltministerium

Das Klimaressort soll in Robert Habecks Superministerium verlegt werden. Das kostet das Umweltministerium viel Geld - und seine Bedeutung. Ein Gastbeitrag.

Michael Schroeren hat von 1998 bis 2009 und von 2014 bis 2017 die Presseabteilung des Bundesumweltministeriums geleitet und war Sprecher der Minister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen), Sigmar Gabriel (SPD) und Barbara Hendricks (SPD)

Das Bundesumweltministerium (BMU) wurde oft belächelt ob seiner geringen formalen Machtbefugnisse, aber ebenso oft auch unterschätzt. Denn das BMU ist alles andere als ein schwaches Ministerium. Im Gegenteil: Es hat sich mit fast allen großen Industriebranchen des Landes angelegt: mit den Energiekonzernen über den Atomausstieg, mit der Autoindustrie über Abgaswerte, mit der Agrarlobby über Nitratwerte und Glyphosat, um nur drei Beispiele zu nennen.

Diese Bereitschaft zum begrenzten Konflikt konnte sich das vergleichsweise kleine Ressort nur leisten, weil es sich in vielen strittigen Fragen auf gesellschaftliche Mehrheiten oder zumindest auf die Sympathie eines großen Teils der Öffentlichkeit stützen konnte.

Mochte die Schuld für die Verwässerung oder Verhinderung von Umweltgesetzen, etwa für ein Verbot des Frackings, im Kanzleramt liegen – ihre Transparente rollten die Demonstranten stets zuerst vor dem BMU aus, weil sie wussten, dass sie dort offene Ohren und meistens auch offene Türen vorfanden.

Man muss an diese erstaunliche Geschichte erinnern, um in der ganzen Tragweite zu erfassen, welch einschneidende Folgen die soeben geschlossene Koalitionsvereinbarung der Ampelparteien für das BMU hat. Zu besichtigen ist nicht weniger als die organisatorische Dekonstruktion und politische Entwertung eines Ministeriums, dessen Gründung als der einzige institutionelle Erfolg der Ökologiebewegung in Deutschland bezeichnet werden darf.

Das gäbe Stoff für eine Tragikomödie auf Netflix

Dass dies nicht nur unter Duldung, sondern auf aktives Betreiben einer Partei geschieht, die ihre Wurzeln ebenfalls in der Umweltbewegung hat, gäbe Stoff für eine Tragikomödie auf Netflix: „Liebling, ich habe das BMU geschrumpft!“, in den Hauptrollen: Robert Habeck und Annalena Baerbock.

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Was ist geschehen? Der Koalitionsvertrag der Ampelparteien sieht vor, die Zuständigkeit für die gesamte Klimaschutzpolitik aus dem Umweltministerium herauszulösen und ins Wirtschaftsministerium zu transferieren, das zu einem „Superministerium“ ausgebaut werden soll. Wieder mal (wie bereits 2002) sollen große gesellschaftliche Transformationsaufgaben im traditionell strukturkonservativen Wirtschaftsministerium bewältigt werden, indem man widerstreitende Interessen unter dessen Dach zusammenpackt und hofft, dass was Gutes dabei rauskommt.

Robert Habeck, künftiger Wirtschaftsminister, im Gespräch mit hungerstreikenden Klimaaktivisten im Sommer (Archivbild).
Robert Habeck, künftiger Wirtschaftsminister, im Gespräch mit hungerstreikenden Klimaaktivisten im Sommer (Archivbild).

© picture alliance/dpa/privat

Aber Skepsis ist angebracht. Und die wird nicht nur von schlechten Erfahrungen mit Super-Ressorts genährt, sondern auch von Zweifeln, ob die Zusammenfassung von Zuständigkeiten überhaupt Voraussetzung, geschweige denn Gewähr, für eine bessere Politik ist. Die 20 Jahre dauernde Irrfahrt des Bereichs Bauen und Wohnen durch die Welt der Bundesressorts – vom Verkehrsministerium (1998) über das Umweltministerium (2013) bis zum Innenministerium (2018) und zurück zum eigenen Haus (2021) – ist ein warnendes Beispiel.

Das Öko-Ministerium hat schon viele Federn lassen müssen

Kalkulierbar ist hingegen der Kollateralschaden, den die Operation im Bundesumweltministerium anrichten wird. Bereits bei den Ressortzuschnitten in vorangegangenen Legislaturperioden hatte das BMU Federn lassen müssen: 2014 ging die Zuständigkeit für die Erneuerbaren Energien, die der erste grüne Ressortchef Jürgen Trittin 2002 aus dem Wirtschaftsministerium geholt hatte, wo sie nicht ernst genommen wurden, dorthin zurück.

2018 verlor das BMU die Abteilungen für Bauen und Wohnen an Horst Seehofers „Heimatministerium“, ohne dafür neue Kompetenzen zu erhalten. Die nun erfolgte Herauslösung des Klimaschutzes aus dem BMU aber übertrifft alles Dagewesene. Sie kommt einer Amputation seines Standbeins gleich, ein Verlust, der auch nicht durch die Zuweisung des Verbraucherschutzes aus dem Justizministerium ausgeglichen wird.

Dem Ministerium kommen operative Haushaltsmittel in Milliardenhöhe abhanden. Allein das Programm zur Dekarbonisierung der Industrie ist über seine Laufzeit bis 2024 auf rund zwei Milliarden Euro ausgelegt. 500 bis 600 Millionen Euro konnte das BMU bisher jedes Jahr für internationale Klimaschutzprojekte ausgeben, hinzu kommen Mittel im Rahmen der „Nationalen Klimaschutzinitiative“, für die in der aktuellen Förderperiode bis Ende 2022 mehr als 100 Millionen Euro veranschlagt sind.

Vorbei ist auch die ganzheitliche, integrale Bearbeitung von Klimaschutz und seinen Facetten, die in alle Bereiche der Umweltpolitik hineinragen – Biodiversität, Bodenschutz, Grundwasserschutz, Hochwasserschutz, Immissionsschutz, auch Verbraucherschutz. Die Einbettung des Klimaschutzes in ein Ministerium, das immer noch vor allem darauf gepolt ist, die Wirtschaft vor konsequentem Klimaschutz zu bewahren, ist ein waghalsiges, vielleicht auch leichtfertiges Experiment. Und es gab keine zwingende Notwendigkeit dafür.

Das Umweltressort hätte zentrale Instanz der Transformation werden müssen

Aber, wird eingewendet, waren Klimaschutz und die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nicht das zentrale Anliegen der grünen Regierungsbeteiligung? Erfordert das nicht die entsprechende Ausrichtung der gesamten Regierungsarbeit? Bedarf es dazu nicht der Schaffung eines mächtigen Klimaschutz-Ressorts? Ja, ja, und ja! Genau deshalb wäre es nicht nur denkbar, sondern auch näherliegend gewesen, das Umweltministerium zur zentralen Instanz der Transformation Richtung Klimaneutralität zu machen, indem ihm zusätzliche Kompetenzen, Zuständigkeiten und Befugnisse übertragen werden. Was natürlich eingeschlossen hätte, parallel dazu das Wirtschaftsministerium unter einer grünen Führung endlich auf den Kurs zur Klimaneutralität zu bringen.

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Zurück bleibt das BMU als Torso: ein Ressort an der Grenze zur Bewegungs- und Bedeutungslosigkeit, um das sich kaum noch jemand reißen wird und um dessen Fortbestand man sich deshalb ernste Sorgen machen muss. Es spricht nach aller politischen Erfahrung nicht viel dafür, dass die jetzt begonnene Demontage des BMU jemals wieder rückgängig gemacht wird. Zu befürchten ist eher, dass bei künftigen Regierungsbildungen noch hemmungsloser mit ihm umgesprungen wird, sollte das BMU als „Umweltgedöns“ auf die Resterampe gelangen.

Der neuen grünen Ressortchefin Steffi Lemke ist zuzutrauen und zu wünschen, dass es ihr gelingt, dies in den nächsten vier Jahren zu verhindern und mit klugen Initiativen das Beste aus der Situation zu machen. An ihr liegt es jedenfalls nicht, dass ausgerechnet die Ökopartei Bündnis 90/Die Grünen ab jetzt eine doppelte Verantwortung mit sich herumtragen muss: als diejenigen, die bei der Geburt des Bundesumweltministeriums Pate standen, und zugleich als diejenigen, die 35 Jahre danach die Axt an seine Existenz gelegt haben.

Michael Schroeren

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