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Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Weltärztebunds.

© Guido Kirchner/dpa

Darf man Justiz kritisieren?: Montgomery spielt mit rechten Ressentiments

Nach seiner „Richterlein“-Äußerung wertet der Ärztevertreter Kritik daran als Beleg für ein Sprechtabu. Damit landet er endgültig im Abseits. Ein Kommentar.

Vielleicht, weil es ihm in den Straßen nicht laut genug werden würde, hat der Präsident des Weltärzteverbands Frank Ulrich Montgomery vor Silvester einen Knaller gezündet, der noch immer in den Ohren dröhnt. Zum Thema Corona und Justiz stellte er klar, dass „kleine Richterlein“ Schutzmaßnahmen kippten, die Politik und Wissenschaft sich mühsam abgerungen hätten. „Richterlein“, das saß.

Nach einer Empörungswelle erklärte Montgomery die Wahl des Diminutivs zur gezielten Provokation, mit der er Tieferliegendes ans Licht fördern wollte: „Die Diskussion zeigt mir, dass es in Deutschland ein Problem gibt, wenn man die Rechtsprechung kritisieren will.“

Beide Einlassungen sind unglücklich, aber es besteht ein Unterschied. Die Worte über die „Richterlein“ könnten trotz Montgomerys Bekenntnis, es handele sich um kühle Absicht, der Leichtfertigkeit eines Vielredners entsprungen sein, der sich selbst Narzissmus attestiert („zu dem stehe ich“).

Anders ist es mit dem von ihm ausgemachten Problem, das man angeblich habe, wenn man in Deutschland die Justiz kritisiere: Diese Bemerkung knüpft an die vielfältigen Diskurse um politische Meinungsfreiheit und deren mögliche Einschränkung an, wie sie in rechten und noch rechteren Milieus beklagt wird, und nicht nur dort. Hier wird Montgomery berechnend.

Richterinnen und Richter haben keine Waffen im politischen Meinungskampf

Justizkritik, das gehört nach Ansicht des Arztes und langjährigen SPD-Mitglieds offenbar zu den Dingen, die, wie es so schön heißt, „man nicht mehr sagen darf“. Es klingt nach: ein Tabu, das dringend gebrochen werden muss.

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Dass öffentliche Justizkritik in ein „Problem“ führen kann, wie Montgomery meint, ist im Prinzip der Gewaltenteilung angelegt. Die Zusammensetzung von Exekutive und Legislative wird wesentlich durch Wahlen bestimmt. Hier agiert die Politik, in vielfältiger Weise rückgekoppelt an Volkes Stimmen in den ebenso vielfältigen Medien.

Die öffentliche Kritik, auch die laute, ungerechte, überspitzte, ist ein Wesensmerkmal dieser Dynamik. Die Rechtsprechung ist ihr ein gutes Stück entzogen. Richterinnen und Richter sind unabhängig. Abgewählt werden können sie nicht. 

Diese Distanz sichert ihre Funktion, ihre Autorität und die Glaubwürdigkeit ihres Neutralitätsversprechens. Gerichte haben nicht den Einfluss, den Politik geltend machen kann. Aber sie haben das letzte Wort.

Die Dynamik des politischen Meinungskampfes eins zu eins auf die Diskussionen um Justizentscheidungen zu übertragen, ignoriert diese Unterschiede und verlangt von Richtern etwas, das sie nicht leisten können: an diesem Meinungskampf teilzunehmen.

Daher ist es richtig, wenn Vertreter der anderen Staatsgewalten für sie in die Bresche springen und sie in Schutz nehmen. Dies als Beleg für ein Debattentabu zu nehmen, ist ein Spiel mit dem Feuer rechter Ressentiments. Das ist das eigentliche Problem und nicht jenes, das Montgomery erkannt haben will.

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