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Autokrat. Daniel Ortega lässt seine Gegner verhaften.

© Jorge Torres/dpa

Daniel Ortega: Vom Revolutionär zum Diktator

Nicaraguas Präsident Daniel Ortega schaltet seine Gegner aus, darunter ehemalige Kampfgefährten. Die Opposition organisiert flashmobs.

Hugo Torres wusste, dass die Häscher des Regimes früher oder später auch bei ihm vor der Tür stehen würden. Deshalb filmte er vorsorglich eine kurze Erklärung. Man sieht einen alten Mann mit randloser Brille und grauem Bart. Er trägt ein blaues Nicaragua-T-Shirt. „Vor 46 Jahren riskierte ich mein Leben, um Daniel Ortega und andere politische Häftlinge zu befreien“, sagt der ehemalige sandinistische Guerillero in die Kamera. „Nie hätte ich gedacht, dass ich mit meinen 73 Jahren erneut, diesmal friedlich, gegen eine Diktatur aufbegehren muss.“

Torres bezog sich auf eine Operation im Jahr 1974 zur Befreiung seines damaligen Kampfgefährten und heutigen Präsidenten Daniel Ortega aus den Kerkern der rechten Diktatur von Anastasio Somoza. Nach dem Sieg der Sandinisten diente Torres Ortega als General und Geheimdienstchef. Die alten Verdienste nützten ihm nichts. Vor einer Woche holten die Sicherheitskräfte auch ihn.

Ortega, der im November für eine vierte Amtszeit kandidiert, herrscht heute mit den Methoden des Despoten, den er einst bekämpfte. 14 Regimegegner, darunter mehrere potenzielle Gegenkandidaten, ließ er in den vergangenen Tagen festnehmen.

Darunter sind viele ehemalige Weggefährten, die sich – wie Torres – von ihm abgewandt hatten. Aber auch Unternehmer, die ihn kritisieren, wandern ins Gefängnis oder werden mit Beschlagnahmung ihrer Konten bestraft.

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Jahrelang hatte es zwischen Ortega und der Unternehmerschaft einen Stillhaltepakt gegeben, der nun aber zerbrochen ist. In Managua breitet sich Angst aus, jede Menschenansammlung wird von Schlägertrupps des Regimes sofort aufgelöst.

Die Polizei untersteht dem Schwiegersohn

„Ortega konzentriert heute mehr Macht als Somoza jemals“, sagt Torres. Dienlich sind ihm dabei Gummiparagraphen und Knebelgesetze, die sein Kongress erst vor kurzem verabschiedet hat: Terrorismus, Geldwäsche, Vaterlandsverrat, Cyberkriminalität.

Ortega beherrscht die Justiz, den Wahlrat, den Beamtenapparat. Die Polizei untersteht seinem Schwiegersohn, seine Frau ist Vizepräsidentin, seine Kinder besitzen Medienimperien und sind Geschäftspartner chinesischer Investoren, die für Bergbau- und Infrastrukturprojekte Bauern vertreiben.

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„In den letzten 30 Jahren habe ich nichts Vergleichbares gesehen“, kommentierte der Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, die Verhaftungswelle. „Die einzig rationale Erklärung ist, dass Ortega davon ausgeht, dass er die im November geplanten Wahlen nicht gewinnen wird und deshalb die Flucht nach vorne in die Radikalisierung antritt“, sagt der oppositionelle Publizist Carlos Fernando Chamorro.

Seine Schwester und ein Cousin sind ebenfalls inhaftiert. Beide galten als aussichtsreiche Präsidentschaftskandidaten. Cristiana Chamorro kam Insiderinformationen zufolge in einer von Ortega angeordneten Geheimumfrage auf 59 Prozent. Das besiegelte offenbar ihr Schicksal.

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Beobachter fürchten, dass die wenigen kritischen Medien und Journalisten die nächsten auf Ortegas Liste sind. „Wir alle sind Geiseln der Diktatur“, sagt Chamorro, dessen Medienkonglomerat schon zwei Mal beschlagnahmt wurde.

Flashmobs sind die einzige Chance

Die Opposition versucht nun, zivilen Widerstand zu leisten. Dazu gehört eine Rebellion von 40 politischen Häftlingen, die weder das Gefängnisessen noch die Arztbesucheakzeptieren, nichts unterschreiben und keine Fotos von sich machen lassen.

Wie in einem flashmob kommen auf Straßen, in Einkaufszentren oder Supermärkten plötzlich ein paar Dutzend Menschen zusammen, hissen die Nationalflagge – ein Symbol der Opposition – skandieren Slogans und verschwinden wieder, bevor die Polizei auftaucht. Es ist derzeit die einzige Möglichkeit. Die Studentenproteste im Jahr 2018 liess Ortega blutig niederschlagen. Über 300 Menschen starben dabei.

Nach der USA und der EU verurteilte auch die Organisation Amerikanischer Staaten in dieser Woche nahezu einhellig die Eskalation und forderte Ortega auf, zur Demokratie zurückzukehren. Die Antwort kam prompt: Ortega verschärfte die Attacken.

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