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Markus Söder ist gelungen, was Horst Seehofer immer verhindern wollte - er wird Spitzenkandidat der CSU bei der kommenden Landtagswahl.

© REUTERS/Michaela Rehle

CSU-Parteitag: Die Kunst der Heuchelei

Frieden ist Christsozialenpflicht dieser Tage. Auf dem Parteitag begraben Markus Söder und Horst Seehofer ihre Feindschaft. Zumindest öffentlich.

Von Robert Birnbaum

Das Maß für die Geschlossenheit beträgt am Freitagabend etwa 37 Schritt. Das ist die Distanz, die man zwischen den Bierzeltbänken in der Nürnberger Messehalle überwinden muss, um von der kleinen Menschentraube rund um Markus Söder zu der kleinen Traube rund um Horst Seehofer zu gelangen.

Der CSU-Parteitag hat seinen ersten Tag hinter sich, die Delegierten nehmen noch das eine oder andere Bier, und wer Lust hat oder es seinem Anliegen förderlich findet, schaut mal kurz bei einem der beiden Häufchen vorbei. Was er dort zu hören bekommt, unterscheidet sich allerdings nicht wesentlich. „Die Partei wünscht sich jetzt Frieden“, sagt Söder. „Das wird eine Doppelspitze wie noch keine zuvor“, versichert Seehofer.

Die geschmeidige Kunst der Heuchelei gehört zur Grundausstattung eines jeden begabten Politikers, und die beiden Herren sind ganz außerordentlich begabt. Man merkt die Wahrheit aber natürlich doch. Die zwei Häuflein sind das Ergebnis eines brutalen Machtkampfs. Der eine hat ihn gewonnen, der andere verloren. Jetzt müssen sie trotzdem miteinander auskommen, zumindest erst mal so lange, bis die Bayern im nächsten Herbst ihren Landtag neu gewählt haben.

Die CSU ist nicht normal

Wenig spricht im Moment dafür, dass die CSU dabei ihre absolute Mehrheit verteidigen kann. Aber eine CSU mit einem Vorsitzenden, der mit dem eigenen Spitzenkandidaten über Kreuz liegt, könnte sich gleich schon mal überlegen, ob sie in München demnächst lieber über irgendein Karibik-Bündnis mit lauter Kleinparteien verhandelt oder kleinlaut die SPD an den Kabinettstisch bittet.

Außerhalb Bayerns ist das ja der Normalfall. Aber die CSU ist nicht normal, und die absolute Mehrheit ist auch nicht bloß eine alberne Monstranz, die man vor sich herträgt. Nur aus der Stellung als einer Partei heraus, die quasi mit dem Land identisch ist, kann sie ihre bundespolitische Sonderrolle behaupten. Zu tief unter den eigenen Anspruch darf sie da prozentual nicht sinken.

Also ist derzeit Frieden erste Christsozialenpflicht. Am Samstag früh bittet die Tagungsleiterin Angelika Niebler den Parteivorsitzenden aufs Podium. Die Musik donnert los. Über die Leinwände flimmert eine kurze Diashow mit Höhepunkten aus dem Seehoferschen Ministerpräsidentenleben – Audienz beim Papst, Freistaatsbesuch in China, Begegnung mit dem neuen konservativen Stern von Österreich, Sebastian Kurz, dazwischen natürlich die Gebirgsschützen und der Trachtenempfang.

Die Bilderfolge steht eigentlich in der Tradition des römischen Triumphzugs. Diesmal wird sie zum Abgesang. Niemand weiß das besser als Seehofer selbst. Als er langsam über das Podium zum Rednerpult schreitet, zuckt es kurz in seinen Mundwinkeln. Das wird jetzt ein schwerer Gang, in mehrfacher Hinsicht.

Seehofer muss seine Zukunft nun eher in Berlin als in München suchen

Erstens nämlich gilt es eine Niederlage einzugestehen. Die 38,3 Prozent bei der Bundestagswahl haben die CSU gründlich erschüttert. Als Parteichef stehe man da in der Verantwortung, sagt Seehofer, „auch wenn die Ursache in Berlin lag“. Die Spitze gegen die Kanzlerin findet nur bei seinem oberbayerischen Heimatverband spärlichen Applaus. Angela Merkel war am Vortag hier und hat einen derart munteren Auftritt hingelegt, dass die gegenseitigen Versicherungen der CDU-Chefin und des CSU-Chefs, wie froh sie über die Rückkehr zur parteigeschwisterlichen Normalität seien, nachgerade glaubwürdig wirkten. Tatsächlich haben Merkel und Seehofer inhaltlich ihren Frieden gemacht, gruppendynamisch vertieft in den wochenlangen Jamaika-Sondierungen. Außerdem braucht er sie neuerdings für die eigene Zukunft. Die ist mehr in Berlin zu suchen als in München, wo er sonst bloß in der Parteizentrale sitzen und die Zeit verrinnen sehen könnte.

Jetzt kann man erst einmal festhalten, dass die Parteibasis Seehofers Rolle in der Flüchtlingsfrage eher kritisch sieht. Als er später für sich reklamiert, dass er „einen Kurswechsel in der Asylpolitik in Deutschland“ erreicht habe, rührt sich gar keine Hand. „Sind’s jetzt sehr zurückhaltend!“, mäkelt Seehofer. Dabei kennt er den Grund. In der CSU deuten viele die Wahlschlappe als Quittung für Seehofers Hin und Her, mal brutalstmöglich gegen Merkel, dann wieder himmelhochjauchzend für die Kanzlerin. Die hat in Bayern sowieso mehr Freunde als die Strategen der Parteizentrale immer glauben machen wollten.

Dann kommt, als zweites, der ganz schwere Teil. Seehofer schleicht sich an ihn heran. Eine „neue Ära“ für die Partei. Eine „Trennung der Ämter“, aber die „Aktionseinheit der CSU“ bleibe. „Das wichtige Amt des bayerischen Ministerpräsidenten werde ich im ersten Quartal des Jahres 2018 übergeben an meinen Nachfolger.“ Wie hieß der noch gleich?

Der Name fällt aber immer noch nicht, es folgt erst ein Einschub über den Wandel als natürlichen Vorgang in der Demokratie, der dann allerdings für Wehmut sorge, sobald er einen selbst betreffe.

Aber zuletzt nennt er ihn endlich doch, den Mann, den erst die Landtagsfraktion als ihren Kandidaten nominiert und dann der Parteivorstand bestätigt habe, so dass jetzt also er als Parteivorsitzender dem Parteitag den Vorschlag Markus Söder persönlich unterbreiten wolle.

Der Parteitag ist grade nicht so geübt im Applaudieren; die erste Akklamation des Ministerpräsidentenkandidaten fällt etwas mau aus.

Richtig ist allerdings auch, dass nicht jeder in dem 50-jährigen den Richtigen in der Staatskanzlei sieht. So viele glühende Anhänger der Noch-Finanzminister einerseits hat, so viel massive Abneigung löst er bei anderen aus. Söder polarisiert. Seehofer selbst hat ja Jahre seines Lebens damit zugebracht, den Ehrgeizigen auszubremsen und zu verhindern.

Fast einstimmig fällt die Wahl des Spitzenkandidaten zugunsten von Söder aus. Hors Seehofer wird als Parteichef mit 83,7 Prozent wiedergewählt.
Fast einstimmig fällt die Wahl des Spitzenkandidaten zugunsten von Söder aus. Hors Seehofer wird als Parteichef mit 83,7 Prozent wiedergewählt.

© REUTERS

Jetzt muss er ihn plötzlich nach Kräften loben. Da ist mithin die schöne Kunst der Heuchelei erneut gefragt. Der Parteitag hört also, wie eng und erfolgreich der Seehofer und der Söder immer schon zusammengearbeitet haben. Ja gut, da gab’s „hier und da Friktionen“. Aber gemessen an den Zuständen in anderen Parteien – ach geh! Kleinigkeiten. Bloß „der Effekt einer Knallerbse“. Der Parteitag staunt. Und das Schimpfen über „Schmutzeleien“, die Diagnose der charakterlichen Untauglichkeit, all die Versuche, Söder unmöglich zu machen und beiseite zu drängen?

Alles nicht mehr wahr. Seehofer zählt auf, was er – noch einmal, damit’s klar ist: ER – alles für Söders Heimat Nürnberg getan hat, Behörden, Ministerien, eine Hochschule hier angesiedelt. „Ja glauben Sie im Ernst, wenn wir im Streit lägen, dass ich dann so hochkarätige Einrichtungen nach Nürnberg verlegt hätte?“ Der Parteitag überlegt kurz, ob der Ministerpräsident ihm gerade den Gedanken nahelegen will, dass in der Erbmonarchie sich der Landesentwicklungsplan nach dem Wohlverhalten der jeweiligen Bezirksfürsten richtet. Söder unten in der ersten Reihe kann ein Kichern nur mit Mühe unterdrücken. Das findet selbst er ein etwas gewagtes Argument.

Aber es wird für Seehofer, der kein guter Parteitagsredner ist, doch noch ein gelungener Auftritt. Das liegt an der Wehmut. Je länger er spricht – über das Gemeinwohl als das höchste Gesetz im Irdischen und die CSU als Partei, die doch alle zusammenführen müsse, „die Konservativen, die Liberalen, die Christlichen, die Wertkonservativen und die Nationalkonservativen“, macht also drei bis vier Sorten Konservative –, desto mehr ist ihm diese Wehmut auch anzusehen. „Wenn wir zusammenhalten, zieht uns niemand die Lederhosen aus“, ruft Seehofer zuletzt in den Saal.

Folgt die Wahl des Parteivorsitzenden – also der Söder. Das haben sie vorher nämlich ausgemacht, dass der Neue den Alten vorschlagen wird.

Söder zollt Respekt: für hervorragende Arbeit im Allgemeinen, für die Jamaika-Sondierungserfolge im Besonderen, und persönlich. „Es ist nicht einfach, eine solche Entscheidung zu treffen.“

Eigentlich ist das jetzt der Gipfel der Heuchelei. Söder und seine Heckenschützen haben den Vorsitzenden derart ausmanövriert, und zwar gerade während der als Jamaika-Verhandler weit weg in Berlin war, dass ihm gar nichts mehr übrig blieb als zu kapitulieren. „Souveräne Entscheidung“? Nebbich. Aber das Schöne an der Kunst der Heuchelei ist, dass sich ihrer Wirkung selbst die Abgebrühtesten nicht entziehen können, wenn sie nur glaubwürdig daher kommt. „Ich hab’ von dir viel gelernt, du hast mich auch manchmal geprüft“, sagt der Junge dem Alten.

Eine Rede mit so viel Dampf hätte sonst niemand halten können

Jetzt müsse es gelten: „Die Stärksten müssen an einem Strang ziehen.“ Deshalb schlage er aus voller Überzeugung Seehofer zur Wiederwahl vor.

Unten in der ersten Reihe kämpft einer mit etwas in seinen Gesichtszügen, das man wohl nur Rührung nennen kann. Der Parteitag schreitet zur Wahl. Nach einer halben Stunde gibt Joachim Herrmann als Sitzungspräsident das Ergebnis bekannt. 83,73 Prozent. Seehofer nickt, ist okay, dann drückt er Söder neben ihm die Hand. Ist wirklich okay, und ziemlich frei von Heuchelei. Hundert Prozent wären unehrlich gewesen, weniger als 80 eine mutwillige Beschädigung. CSU-Parteitage sind als Kollektiv oft ziemlich klug.

Und dann – ist die Wehmut zu Ende, und das Neue beginnt. Söder wird per Handaufheben zum Spitzenkandidaten bestimmt – Herrmann zählt die Gegenstimmen: „Eine … zwei … drei – vier!" Na gut, viel Heuchelei, aber was bleibt übrig? Söder ist jetzt eben der Hoffnungsträger und muss zeigen, was er kann. Reden kann er. Selbst die anfangs zögerlichen Klatscher bei den Oberbayern kommen unwillkürlich in Form, als da vorne auf der Bühne eine Show abläuft, wie sie die seit Edmund Stoibers Zeiten nicht mehr gehört haben, geschliffen, energisch, mit Sprüchen für den Stammtischabend („Der Islam hat die letzten 200 Jahre keine überragenden Beiträge für Bayern erbracht“), aber auch ein paar für die Skeptiker. Ob er nach der Entscheidung im Machtkampf ein Glas Sekt getrunken habe, hätten ihn Journalisten gefragt. „Nein“, versichert er, „bis auf den heutigen Tag nicht“. Wegen der Demut vor der Aufgabe. Und wegen der Gemeinsamkeit. „Ich bitte persönlich um eine faire Chance.“

Der Parteitag jubelt. Die Saalkamera fährt die erste Bank am Präsidiumstisch ab, wo sie aufstehen und applaudieren. Dass von denen allen keiner eine Rede mit so viel Dampf hätte halten können, gehört auch zur Wahrheit der CSU.

Söder winkt Seehofer zu sich auf die Bühne, packt ihn bei der Hand und reißt ihm den Arm hoch zur ungestümen Siegergeste. Beim Abgang will der Neue dem Alten den Vortritt lassen, aber diesmal weist der ihm an der Treppe den Weg: Nach dir. Und ganz zuletzt, nach den Hymnen, sagt der Generalsekretär: „Der Parteitag ist geschlossen.“ Es handelt sich aber in diesem Fall wirklich bloß um die vorgeschriebene Floskel.

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