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CSU-Chef Seehofer, Ungarns Premier Viktor Orban und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (v.l.n.r.) in Seeon.

© AFP/Christof Stache

CSU-Klausur in Seeon: Viktor Orban bei Freunden

Es sind sonderbare Zeiten in der CSU, die alten Rezepte funktionieren nicht mehr. Zur Klausur in Seeon gibt es daher eine Extraportion Provokation - und Viktor Orban als dankbaren Gast.

Von Robert Birnbaum

So ein Geburtstag ist eine ernste Sache. Gut, Markus Söder feiert am Freitag keinen runden, sondern bloß die 51. Aber sogar der amtliche CSU-Twitterkanal gratuliert am Freitag in der Früh „unserem bayerischen Finanzminister" zum Wiegenfest. Also muss es wohl doch eine größere Sache sein. Vielleicht will ihn auch die Familie mal sehen. Jedenfalls ist er, der Finanzminister, in diesen Tagen partout nicht im oberbayerischen Kloster Seeon beim „Gipfeltreffen bürgerlich-konservativer Politik“.

Es handelt sich bei diesem Gipfel zwar eigentlich nur um die alljährliche Klausur der CSU-Abgeordneten im Bundestag. Aber der neue Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ist gerade um ganz große Worte nicht so verlegen. Das liegt an den politischen Umständen, denen im Allgemeinen und in der CSU im Besonderen, und genau damit erklärt sich auch, dass ausgerechnet der designierte Hoffnungsträger der Partei beim Gipfeltreffen zum Auftakt des Landtagswahljahrs fehlt. Der Söder in Seeon, das wäre zu heikel. Schon allein für den Dobrindt.

Es sind sonderbare Tage in der CSU, Tage des Übergangs, alles etwas schwebend auf der Suche nach neuem Grund. Sogar das weiß-blaue Wetter schwankt hin und her. Als die Abgeordneten am Donnerstag auf der Kloster-Halbinsel in einem kleinen See unweit des Chiemsees zusammenkommen, gießt es in Strömen. Tags darauf scheint die Sonne, und die Traktoren dürfen Pause machen, die die Autos abends aus dem Matsch ziehen mussten. Von den Gipfeln hinterm Chiemsee grüßen hämisch ein paar Flecken Schnee. Der gehört im Prinzip zur Klausurtradition. Aber seit sie das Wildbad Kreuth im halbwegs schneesicheren Tegernseer Hochtal räumen mussten wegen Querelen mit dem Eigentümer, ist auch auf diesen Mythos kein Verlass.

Noch keinen Monat ist der Parteitag in Nürnberg her, auf dem Horst Seehofer die Kapitulation im jahrelangen Machtkampf mit seinem ungeliebten Kronprinzen erklärte und Söder die wichtigere Hälfte seiner Macht versprach. Der Wechsel in der Staatskanzlei soll aber erst irgendwann im ersten Quartal passieren; idealerweise erst, wenn sie in Berlin mit der Regierungsbildung fertig sind. Seehofer und Söder versichern beide, das sei genau so abgesprochen.

Tatsächlich liegt der Aufschub im beiderseitigen Interesse. Seehofer kann mit der CDU und der SPD noch im Vollbesitz seiner alten Amtskräfte den einen oder anderen Kompromiss verhandeln, mit dem der künftige bayerische Ministerpräsident so direkt nichts zu tun hat.

Seehofer, der Silberrücken

Und außerdem: Der Söder jetzt in Berlin, das wäre zu heikel. Was soll er da? Die Rolle des Silberrückens, auf dem die Schwere der bundespolitischen Verantwortung ruht, ist schon mit Seehofer besetzt.

Wer ihn hört, wie er der entgangenen Jamaika-Chance nachtrauert, den muss geradezu die staatsbürgerliche Rührung anfallen: Eine Symbiose zwischen Wirtschaft, Ökologie und Sozialem hätte das geben können, schwärmt er. Dobrindt wiederum bleibt seiner Poltergeist-Attitüde aus den Jamaikagesprächen treu. Für einen dritten bayerischen Charakterkopft am Berliner Verhandlungstisch ist also wenig Raum. Und der Platz vom Söder ist perspektivisch sowieso in Bayern. Deshalb, lauten die Auskünfte in den Gängen und hinter den schweren Eichentüren der Seeoner Klosteranlage, werde der Markus seinen Auftritt demnächst vor der Landtagsfraktion im Kloster Banz haben. Was ganz richtig so sei, schließlich habe die ihn vor allem gewollt und also Anspruch auf seine ersten großen programmatischen Ankündigungen.

In Zeiten des Übergangs wird Etikette eben gerne besonders penibel beachtet. Dass mit dem Söder und dem Dobrindt ein Jungbauer zu viel im Klosterhof umherstünde, sagt niemand, stimmt aber auch. Wobei der Söder seinen Hof schon hat, so wie der Seehofer sein bundespolitisches Austragshäusel – „Horst Seehofer ist auf dem Sprung nach Berlin“, sagt einer aus der Landesgruppe und erzählt, dass der langanhaltende Beifall der Abgeordneten für den Horst am ersten Tag als eine Art Begrüßungszeremonie zu verstehen gewesen sei. Für die CSU, findet der Mann, sei das alles eine runde Sache, für Seehofer selbst ohnehin: Der habe die Bundespolitik immer als sein eigentliches Spielfeld betrachtet.

Zum Schluss Finanzminister in der Tradition der Fritz Schäffer, Franz Josef Strauß oder Theo Waigel – runde Sache, wie gesagt.

Nur Alexander Dobrindt hat seinen Hof noch nicht. Er hat, um im Bild zu bleiben, als Chef der Landesgruppe im Bundestag vorerst nur den Verwalterposten. Den kann man aber nutzen. Dobrindt tut es.

Am Freitagmittag brummt eine respektable Kolonne schwarzer Kombis den kleinen Klosterweg hoch. Dobrindt und Seehofer warten in der Sonne auf den Gast, der da mit großem Hofstaat anreist. Bruderküsschen links, Bruderküsschen rechts – der lange CSU-Chef muss sich runterbeugen zu Viktor Orban, aber die demonstrative Herzlichkeit muss sein.

Orbans Erscheinen, eine Provokation

Dabei ist es schon eine Provokation von Dobrindt, den Ungarn überhaupt nach Seeon einzuladen. Zwar trifft sie nicht mehr, wie es noch vor einem halben Jahr der Fall gewesen wäre, die Bundeskanzlerin. Dafür beißt Martin Schulz sofort an. Der SPD-Chef klingt in der „Bild“-Zeitung wie der EU-Parlamentspräsident, der er mal war. Orban verfolge mit seiner lautstarken Weigerung, im Rahmen der EU-Verteilung auch nur einen einzigen Flüchtling aufzunehmen, eine „gefährliche Logik“, schimpft Schulz, über das Verständnis des Mannes vom Rechtsstaat seien auch deutliche Worte angebracht. Und wo er grade dabei ist, schießt Schulz auch noch gegen die Forderung der Union, den Familiennachzug für Flüchtlinge weiter auszusetzen.

In der CSU setzen sie daraufhin die harmloseste Miene auf, die man sich denken kann. Seehofer erklärt den Ungarn zum quasi lupenreinen Demokraten, der sogar schon einmal mit einer absoluten Mehrheit eine Wahl gewonnen habe – ein Umstand, der in bayerisch-christsozialen Augen offenbar jedes weitere Verhalten legitimiert – und erzählt ansonsten viel über die Notwendigkeit speziell Bayerns, zu den kleineren östlichen Nachbarn engen Kontakt zu halten. Man kann also gespannt sein, wann der bulgarische Regierungschef nach Seeon eingeladen wird.

Dobrindt sagt zu dem Gast vorwiegend Höflichkeiten. Er hat seinen Teil Provokation längst vorher abgeliefert: Einen ganzseitigen Zeitungsaufsatz, den man aber getrost auf ein paar knallige Kernbehauptungen reduzieren kann. 50 Jahre nach „68“, lauten sie sinngemäß, sei die Zeit zur Austreibung des Sozialismus gekommen, den die 68er bei einem Marsch durch die Institutionen von unzähligen Schlüsselstellungen aus verbreitet hätten, gegen den es jetzt aber eine „bürgerlich-konservative Wende“ geben müsse respektive eine „Revolution“ gegen die Vorherrschaft des – von ihm offenkundig für einen antibürgerlichen Hort des Sozialismus gehaltenen – Prenzlauer Bergs.

Dobrindt ist 1970 geboren, studierter Soziologe und Liebhaber derart extravaganter Schuh- und Anzugmodelle, dass er damit in Prenzlauer Berg keine Sekunde lang auffallen würde. Den Ruf nach der „Revolution“ finden deshalb selbst manche Parteifreunde zu stark, und auch „Wende“, sagt einer, müffle doch sehr nach Helmut Kohl.

Ansonsten herrscht aber Einigkeit, dass der Aufsatz einen Anspruch markiert. Eine derart grundsätzliche Standortbestimmungen ist das Feld des Generalsekretärs – der er aber nicht mehr ist – oder des Parteivorsitzenden – der er gerne würde. Und zwar am Besten zu einer Zeit, in der die Protektion Horst Seehofers noch etwas wert ist, dem er seine ganze bisherige Karriere verdankt. Durchaus denkbar, dass Seehofer die zwei Jahre gar nicht voll ausnutzt, für die er als Parteichef wiedergewählt ist.

Kleines taktisches Geböllere

Man könnte den Revolutionsaufsatz also als kleines taktisches Geböllere in bewährter bayerischer Großmaulmanier abtun – wäre da nicht die Erfahrung, dass dieser Dobrindt ein ziemlich gutes Gespür für die kleinen hässlichen Seiten der Volksseele hat. Damals bei der Maut zum Beispiel hat er richtig erkannt, dass sich der kleinliche Neid gegen Ausländer, die umsonst auf „unseren“ Autobahnen fahren, in Wahlsiegpunkte ummünzen lässt. Auch in der „Obergrenzen“-Kampagne steckte ziemlich viel Dobrindt. Und es ist ja unstreitig richtig, dass sich bei vielen normalen Leuten eine diffuse Wut auf Eliten und ihre Dialoge angestaut hat, die jeder für seine Zwecke nutzen könnte, der sie auf den Begriff bringt.

Aber da, genau da liegt das Problem hinter der Zeit des Übergangs. Die alten Rezepte funktionieren irgendwie nicht mehr. Die Maut hat den diffusen Ärger noch kanalisieren können. Schon die „Obergrenze“ war für die Wut zu schwach. Seehofer und Dobrindt trösten sich und die Ihren zwar mit der Versicherung, dass das Problem hinter der brutalen Wahlniederlage „in Berlin“ gelegen habe – seit der unionsinternen Einigung darf man nicht mehr „Angela Merkel“ sagen. Aber bis kurz vor dem 24. September waren sie in Bayern noch ganz sicher, dass sie die AfD in Bayern besser im Griff haben würden als im Rest der Republik.

Dass es genau anders herum kam, war ein Schock. Warum es anders herum kam, darüber wird nicht gesprochen. So wenig wie über die Schilder, die auch in diesem Jahr wieder jemand an der Zufahrtsstraße zum Kloster Seeon an die Bäume genagelt hat: „Obergrenze Null“ steht auf ihnen.

Ob man den eifrigen Schilder-Nagler mit einer „bürgerlich-konservativen Wende“ von seinem Tun abbringen kann? Vielleicht treibt er einfach das Hase-und-Igel-Spiel weiter: Wenn Dobrindt gegen „linksgrüne Ideologie“ wettert, ziehen sie im nächsten Jahr womöglich aus dem AfD-Wortbaukasten einfach wieder einen stärkeren Begriff hervor, „linksgrün versifft“ oder so etwas in der Art. Breit grinsender Beifall von der falschen Seite kann sehr übel sein.

Aber gibt es einen Weg zurück in die seligen Zeiten, in denen die CSU das Monopol auf die stärksten Sprüche hatte und in denen – um das Blickfeld kurz zu weiten – die Volksparteien ganz allgemein noch imstande waren, die Stammtisch-Ränder mit einzubinden? Oder braucht es ganz neue Rezepte?

Dobrindt mit verschränkten Armen

Die Frage ist offen. Söder zum Beispiel, der bis vor kurzem noch nach dem Monopol auf die stärksten Sprüche in der CSU strebte, hat den Wettbewerb schlagartig eingestellt, und die Landtagsfraktion wird unter dem Leitmotto „Heimat“ tagen. Werben statt holzen, sozusagen.

Am Freitagnachmittag schlendern drei Herren vor die Mikrofone im Seeoner Klosterhof. Dobrindt bedankt sich bei „unserem Freund Victor Orban“ und redet ansonsten über Handelsbeziehungen sowie über die Einigkeit zwischen CSU und Ungarn darüber, dass man Solidarität beim Wiederaufbau in befriedeten Krisengebieten üben wolle. Orban bedankt sich für eine Freundschaft, die „vom ersten christlichen König Ungarns bis zu Audi“ reiche, und dafür, dass man ihm in Bayern immer ohne Böswilligkeit begegnet sei.

Dann nimmt er seinen Zettel zur Hand und trägt vor, was er drinnen gesagt hat. Dass die Migrationsfrage in Europa „zu einer Demokratiefrage“ geworden sei. Dass „der Wille des Volkes eindeutig“ sei. Dass viele Politiker aber nicht das gemacht hätten, was das Volk wolle. Dass das Volk seinen Willen aber erzwingen werde. „2018 wird die Wiederbelebung des Volkswillens“, trägt der Übersetzer vor. Dass er von Horst Seehofer gelernt habe, fährt der Ungar fort: „Auf Rechtswidrigkeit kann kein Recht gestützt werden.“ Und dass übrigens sie in Ungarn das Recht und die Grenzen Europas geschützt hätten, als „andernorts das Chaos noch gefeiert wurde“.

Seehofer lächelt. Er bedankt sich auf seine Weise. „Er steht zweifelsfrei auf einem rechtstaatlichen Boden“, attestiert er dem Mann an seiner Seite. Dobrindt steht wie immer mit verschränkten Armen da.

Auch um seinen Mund spielt ein schmales Lächeln. Wie hat sein Gast gesagt? „Das Beispiel Bayern war für Ungarn stets ein Ansporn.“ Orban meinte das wirtschaftlich. Aber so, wie der Landesgruppenchef jetzt guckt, würde er den Satz vermutlich ganz gerne umdrehen. Fast, sagt sein Gesicht, fast könnte man neidisch werden.

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