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Menschen nehmen an der Demonstration "#ausgehetzt - Gemeinsam gegen die Politik der Angst" am Königsplatz in München teil.

© picture alliance/dpa

CSU in Angst: Majestätsbeleidigte Leberwurst

Die „#ausgehetzt“-Demonstration in München und die Reaktionen der CSU zeigen: Die Volkspartei kennt ihr Volk nicht mehr. So kann sie die Landtagswahl nicht gewinnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Langsam kann man Mitleid kriegen mit der letzten großen deutschen Volkspartei. Denn das ist die CSU nach wie vor. Die 38 Prozent, die die Meinungsforscher aktuell in Bayern für sie ermitteln, wären andernorts ein Grund für Freudenfeste. Immer noch machen Junge und Alte, Frauen und Männer, Studierte und einfache Leut’ selbstverständlich ihr Kreuz bei der Partei, die den Freistaat nicht zu seinem Schaden seit Jahrzehnten regiert. Immer noch gilt auch der stolze Satz, dass niemand die CSU besiegen kann außer ihr selbst.

Auf dem Weg zur Selbstentleibung freilich macht die Partei beträchtliche Fortschritte. Dass linke und liberale Gruppen bis hin zu Teilen der Kirche fürs Wochenende zur Großdemonstration in München einladen, kommt nicht alle Tage vor. Dass Horst Seehofer, Markus Söder und Alexander Dobrindt im eigenen Land als Hetzer an den Pranger gestellt werden, ist für das Trio eine neue Erfahrung. Und 25.000 Demonstranten sind schon ziemlich viele.

Doch zum Großereignis hat erst die CSU selber die „#ausgehetzt“-Demo gemacht. Vielleicht wäre der sommerliche Aufmarsch ihrer Gegner draußen im weiten Land als eine der üblichen Münchner Großstadt-Überspanntheiten ignoriert worden. Aber die Staatspartei reagierte empört, aufgescheucht, stampfte sogar eine Plakatkampagne aus dem Boden, auf der sie alle braven Bürger zu „politischem Anstand“ aufforderte.

Wer also am Sonntag auf den Marienplatz ging, verhielt sich unanständig? Keine Frage, da wurden auch Reden geschwungen und Parolen gezeigt, die die Grenze zur Polemik überschritten. Aber die CSU-Oberen teilen selber gerne aus. Beschwerden über derbe Sprüche wirken da arg aufgesetzt. Man mag das Geflenne nicht hören.

Seehofer & Co. starren wie gebannt auf den bröckelnden rechten Rand

So macht die eigene Reaktion den Sonntag für die CSU zum Problem. Der Souverän – das ist, nur zur Erinnerung, hierzulande der Wähler – hat ein Gespür für unsouveränes Gebaren. Er lässt sich ungern vorschreiben, gegen wen er demonstrieren darf. Er mag nicht von Leuten über Anstand belehrt werden, die sich erst mit „Asyltourismus“-Sprüchen beim AfD-affinen Stammtisch anbiedern und dann, wieder bloß aus Opportunismus, auf die Zunge beißen.

Genau da zeigt sich aber das tiefere Problem. Die Volkspartei CSU kann ihr Volk nicht mehr richtig einschätzen. Horst Seehofer, seine Vordenker und Hintersassen starren wie gebannt auf den bröckelnden rechten Rand. Sie wollen nicht wahrnehmen, dass sie jeder Schritt nach rechts von der Mitte entfernt. Sie wollen schon gar nicht wahrhaben, dass diese Mitte keineswegs eine konservative Revolution herbeisehnt. Sie will bloß an der Globalisierung verdienen und die unerfreulichen Folgen – im Rahmen des Realistischen – fernhalten.

Die CSU hat den Spagat zwischen Krachledernem und Weltoffenheit lange hinbekommen. Die Liberalitas Bavariae, das Leben und Lebenlassen war Teil ihres Erfolgsgeheimnisses. Als Verbissene kann sie die Oktober-Wahl nicht gewinnen. „Die Menschen in Bayern wissen, was sie an der CSU haben“, ließ die Parteizentrale trotzig auf die Anti-Demo-Plakate drucken. Stimmt, das wissen sie jetzt: eine majestätsbeleidigte Leberwurst.

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