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FILE PHOTO: Bavarian Prime Minister and head of the Christian Social Union (CSU) Horst Seehofer listens to Bavarian Finance Minister Markus Soeder (L) during a CSU party congress in Munich, Germany November 20, 2015. REUTERS/Michaela Rehle/File Photo

© REUTERS

CSU, CDU, SPD: Der Feudalismus lebt - in den Parteien

Der Machtkampf in der CSU zeigt: Es gibt ihn noch, den Feudalismus. Mit ihren vormodernen Strukturen ist die CSU aber nicht allein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Am Ende verlegte sich der alte Fürst auf eine Finte. „Heute Abend wird alles klar sein“, verkündete Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer am vergangenen Donnerstag vor der Vorstandssitzung der CSU, setzte sich rein, sprach über die Parteifinanzen und reiste grinsend wieder ab, ohne die Frage seiner politischen Zukunft tatsächlich zu stellen. Der junge Thronanwärter, Markus Söder, war düpiert.

Wie keine andere Partei in Deutschland ist die CSU weiterhin durchdrungen von feudalen Strukturen. Bestimmt wird der Aufstieg an die Macht von einem hierarchischen System von Treueschwüren, bei dem letztlich alle Macht vom Fürsten ausgeht. Er verleiht sie an seine Vasallen, die ihn im Gegenzug stützen. Wankt der Fürst – wie nun Seehofer nach dem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl –, wechseln manche seiner Vasallen den Herrn und bringen das Machtgefüge ins Wanken. In der CSU versagte Anfang November das Jungvolk dem alten Fürsten die Gefolgschaft. Es folgte ein vernehmbares Aufbegehren des Münchner Bezirksverbands, schon lange in der Hand der Söder-Anhänger, die nun, da der alte Fürst einen Hieb einstecken musste, den Zeitpunkt für den Schritt ins Offene gekommen sahen. Person, Land und Macht bilden in Bayern eine politische Einheit. Es scheint sich seit Strauß wenig verändert zu haben, der gern mit dem Satz zitiert wird: „Ich bin die CSU, die CSU ist der Staat, also bin ich der Staat.“

Nicht nur die CSU ist feudal organisiert - auch die SPD zeigt gelegentlich vormoderne Züge

In Bayern mag das Fortbestehen interpersoneller, also letztlich vormoderner Strukturen innerhalb der Parteien derzeit besonders augenfällig sein, ein Alleinstellungsmerkmal der CSU ist es nicht. Über Angela Merkels zunehmend royalen Führungsstil ist schon viel geschrieben worden, und auch die SPD ist nicht frei davon. Die SPD mag kein Fürstentum sein, sie hat offenbar immerhin schon die Entwicklungsstufe eines Ministerialensystems erreicht (zuletzt für die Öffentlichkeit sichtbar geworden in jener Nahaufnahme des Wahlkampfteams von Martin Schulz im „Spiegel“). Doch auch in der SPD beklagen Kritiker immer wieder, wie stark persönliche Netzwerke die Realität bestimmen, wo Satzungen gleichen Zugang zu Ämtern oder Delegiertenposten suggerieren. „SPD Plus Plus“, eine junge Reforminitiative, die kurz nach der Bundestagswahl startete, schlägt etwa als Mittel gegen „auf Jahre vergebene Delegiertenposten“ ein Rotationsverfahren vor.

Martin Schulz ist als Reformer angetreten - zu sehen ist davon wenig

Und auch an der Parteispitze wird die Macht im vergangenen Jahrzehnt im kleinsten Kreise hin und her gereicht. Nachdem die SPD jahrelang über die Urwahl ihres Kanzlerkandidaten diskutiert hat, wurde Martin Schulz Anfang des Jahres durch den Verzichtscoup Sigmar Gabriels auf vordersten Posten katapultiert, eine Delegiertenversammlung nickte den Machtübergang ab. Martin Schulz ließ nun im kleinsten Kreis entscheiden, Verhandlungen an eine große Koalition eine Absage zu erteilen, formulierte trotz Bedenken so hart, dass es kaum ein Zurück zu geben schien – und will erst jetzt, da er immer stärker unter Druck gerät, doch dem Parteivolk das Wort geben. Er ist als Erneuerer angetreten, doch seine ersten Personalentscheidungen lassen nicht erkennen, dass er wahr machen wird, was er versprochen hat: Mehr Frauen. Mehr Vielfalt.

Fürstliche Sitten. Immerhin sind bei der SPD die Personen noch mit „Richtungen“ verbunden, der Machtkampf ist auch politischer Kampf. In der CSU geht’s allein um den Thron.

Es mag naiv erscheinen, sich Parteistrukturen zu wünschen, in denen alle Anklänge an feudale Machtstrukturen ausgeschaltet sind. Schließlich geht es ja am Ende um Macht. Doch die Parteien müssen ihre Reformversprechen umsetzen, um ihres eigenen Überlebens willen. Das feudale Erscheinungsbild schreckt Engagierte ab. Vor ein paar Jahren haben die Heinrich-Böll-Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Denkfabrik „Das Progressive Zentrum“ eine Zukunftsstudie zu den Parteien erarbeitet. Der Projektleiter, Hanno Burmester, bilanzierte, die Parteien seien zu „zäh, hierarchisch, formal, analog und ortsgebunden“. Es gebe zu wenige Möglichkeiten für Quereinsteiger.

Bekannt ist auch, dass sich gerade Frauen schwertun mit informellen, „feudalen“ Strukturen. Außerdem wächst der kulturelle Widerspruch zu den Lebens- und Arbeitswelten, in denen sich junge Menschen außerhalb von Parteien bewegen. Dort werden Hierarchien flacher, es zählen eher Leistung und Engagement als Vasallentum (nicht immer natürlich, aber oft).

Die Parteien wissen das. Eigentlich. Derzeit ist in Deutschland aber wieder zu beobachten, wie schwer sie sich mit der Umsetzung ihrer Erkenntnisse tun.

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