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"Sophia" ist ein mit Künstlicher Intelligenz ausgestatteter menschen-ähnlicher Roboter der Firma "Hanson Robotics".

© AFP

Creative Bureaucracy: Wann versteht die Technik uns?

Bald kann Künstliche Intelligenz Menschen beraten und anleiten. Für die Verwaltungen wäre das eine große Hilfe.

Wenn die Weisheit stimmt, nach der auch der weiteste Weg mit einem ersten Schritt beginnt, dann befindet sich die Berliner Verwaltung schon im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Wer diese Intelligenz in Aktion erleben möchte, muss nicht mehr tun, als im Internet das sogenannte „Serviceportal Berlin“ aufzusuchen. Dort kann man einen „Virtuellen Bürger-Service-Assistenten“ mit Fragen löchern.

Das geht dann beispielsweise so:

Assistent: Hallo! Ich bin ein virtueller Bürger-Service-Assistent und beantworte gerne Ihre Fragen zu ausgewählten Dienstleistungen der Berliner Verwaltung! Ich bemühe mich sehr, trotzdem bin ich nur ein Computerprogramm, das noch lernen muss.

Wie kann ich Ihnen helfen? Um zu starten, tippen Sie Ihre Frage einfach unten in das Eingabefeld – z.B. „Wann hat das Standesamt Köpenick auf?“

Tagesspiegel: Ich möchte ein Auto anmelden.

Assistent: Ich habe mehrere passende Dienstleistungen für Sie gefunden. Könnten Sie bitte die gesuchte Dienstleistung auswählen um fortzufahren?

1. Anmeldung einer Wohnung

2. Abmeldung einer Wohnung

3. Änderung/Wechsel der Hauptwohnung

4. Neufahrzeug anmelden

5. Wiederzulassung eines Kraftfahrzeuges ohne Halterwechsel beantragen

6. Kraftfahrzeug ummelden – nach einem Umzug nach Berlin

Alle 30 Ergebnisse anzeigen ...

Wer weiterklickt, landet tatsächlich irgendwann bei allen wesentlichen Informationen, die man so braucht, um den neuen Wagen anzumelden. Den Akt der Anmeldung an sich nimmt einem aber keiner ab.

Und das soll nun künstliche Intelligenz sein? Ist das nicht eher eine Spielerei? „Nein“, sagt Jens Fromm, stellvertretender Leiter des IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ). Das kommunale Unternehmen soll die Verwaltung der Hauptstadt in die Zukunft führen. Und der Chatbot namens „Virtueller Bürger-Service-Assistent“ entlaste schon heute die Verwaltungsmitarbeitenden. Fromm: „Bisher haben die Bürgerinnen und Bürger angerufen, um zu erfahren, wann eine Behörde geöffnet hat oder wo sie was erledigen können. Jeder, der nun unseren Chatbot nutzt, entlastet damit die Verwaltung und unser Bürgertelefon 115.“

Klar ist: Fromm und seine Leute haben noch einen sehr weiten Weg vor sich. Wohin die Reise gehen könnte, ist noch völlig unklar: „Als Querschnittstechnologien bieten KI-Anwendungen viele Möglichkeiten zur Verwaltungsreform“, schreibt der Berliner Wissenschaftler Christian Djeffal im „Handbuch Verwaltungsdigitalisierung“. Djeffal leitet am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft das Projekt „Digitale öffentliche Verwaltung“. Weiter schreibt er, dass diese Verwaltungsreformen „aber in dem jetzigen Stand ihrer Entwicklung und Anwendung keine eindeutige Richtung oder keinen eindeutigen Zweck vorgeben“.

Man muss sich den Marsch der Institutionen in die Zukunft also als Tasten im Nebel vorstellen. Christoph Igel, Principal Researcher und Wissenschaftlicher Leiter des Educational Technology Lab des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Berlin, hat gewissermaßen die Taschenlampe in der Hand, mit der er in den Nebel leuchtet. „Ich sehe technologische Rückstände, die besorgniserregend sind“, sagt Igel und beschreibt eine große Lücke zwischen dem technisch Möglichen und der Realität. Wenn über Künstliche Intelligenz gesprochen werde, rede man über Hochtechnologien von morgen, während die Verwaltungswirklichkeit bestenfalls beim Web 2.0 angekommen sei. „KI in Verwaltungen wird erst in fünf Jahren, vielleicht sogar erst in zehn Jahren in der Breite erlebbar sein.“

Den wissenschaftlichen Befund stützt der Praktiker: „Wir sind gerade dabei, gemeinsam mit den Bezirken und den Senatsverwaltungen sukzessive die IT des Landes Berlin zu modernisieren“, sagt ITDZ-Vize Fromm und bezeichnet das als Abbau von „technologischen Schulden“. Seine Leute verlegen Leitungen und installieren neue Computersysteme, um eines Tages die KI der Generationen 3.0 bis 5.0 zu ermöglichen. Wann? „Einiges wird schnell gehen, anderes wird lange dauern.“ Aha.

Und was erwartet uns? Christoph Igel beschreibt die schöne neue Verwaltungswelt des Überübermorgen: „Die digitalen Systeme werden uns eines Tages bei allen Verwaltungsschritten assistieren.“ Wer heute in die Stadt zieht, muss für seine Anmeldung zum Bürgeramt, für die Ummeldung seines Autos zur Zulassungsstelle, für den Kitaplatz zum Jugendamt, fürs Wohngeld zur Wohngeldbehörde. Igel: „Das wird eines Tages anders sein. Der digitale Assistent wird wissen, was Sie brauchen und die entsprechenden Schritte selbstständig veranlassen.“

KI kann große Datenmengen verstehen und Schlussfolgerungen ableiten

Demnach ist Künstliche Intelligenz die Veredelung von Daten. Igel: „Die Bedeutung von Informationen wird erkannt.“ Während Daten heute gespeichert, gesammelt und verarbeitet werden, kann KI große Datenmengen verstehen und aus diesem Verständnis in Echtzeit Schlussfolgerungen oder Empfehlungen ableiten. Da der digitale Assistent also irgendwann wissen wird, dass ein Auto zum Haushalt gehört, dass das Kind bald im schulpflichtigen Alter ist und das Einkommen vielleicht gering ausfällt, sodass ein Antrag auf Wohngeld Erfolg hätte, kann er selbstständig die nötigen Schritte vorschlagen. „Künstliche Intelligenz schneidet die Verwaltung dann individuell auf den Bürger und seine Bedürfnisse zu“, prophezeit Igel. Wege entfallen, Zeit wird gespart, Formulare müssen nicht mehr ausgefüllt werden. Der „Digitale Companion“, wie Igel die manifestierte Künstliche Intelligenz nennt, wird eines Tages den Bürger aufwandsarm durch den Behördendschungel lotsen. Wie schön.

Oder? Denn was in vielen Ohren komfortabel klingen mag, könnte in vielen anderen Ohren Befürchtungen vor dem „gläsernen Bürger“ oder gar dem „Überwachungsstaat“ wecken. Forscher Djeffal ist optimistisch: „Die Erfahrung lehrt, dass Dienste angenommen werden, wenn sie funktional sind und Mehrwert bringen.“ Für Igel ist der Prozess unausweichlich: „Wir verfügen heute erstmals über die Rechenleistung in der Hardware, die es möglich macht, dass Künstliche Intelligenz in Echtzeit erlebbar wird.“ Als der Forscher vor rund einem Jahrzehnt noch selbst programmierte, vergingen schon mal drei Tage, bis mehrere Prozessoren ein komplexes Problem durchgearbeitet hatten. Heute parieren Siri und Alexa, die digitalen Assistenten von Apple und Amazon aus dem Silicon Valley, Nutzeranfragen sofort. Und während wir unsere Smartphones, Smart-TVs und Navigationssysteme nutzen, via Google das Internet absuchen und beim Carsharing Bewegungsprofile hinterlassen, entstehen die Daten, aus denen die Künstliche Intelligenz in einer unbestimmten Zukunft die Mehrwerte schaffen wird, die Christian Djeffal prophezeit. Der Komfort, den sie so erzeugen, wird unsere Bedenken und Ängste in den Schatten stellen, vermuten die Fachleute. Mehrwert korrumpiert den Angstbürger. Es sei denn, er sitzt in der Verwaltung – und wird womöglich überflüssig. Christoph Igel: „Bereits heute stellen sich Beschäftigte in Behörden und Verwaltungen die Frage, ob in naher oder ferner Zukunft eine Künstliche Intelligenz ihren bisherige Tätigkeit am Arbeitsplatz übernehmen wird.“ Dieses Szenario ist durchaus real: „Insbesondere hochstandardisierte Prozesse laufen Gefahr, eines Tages durch KI ersetzt zu werden.“ Ehemals als sicher wahrgenommene Jobs stünden dann auf einmal zur Disposition. Welche? Das kann Igel noch nicht sagen: „Die Digitalisierung der Verwaltung ist etwa eine Dekade hinter den weltweiten Standards der Digitalisierung zurück. Vorhersagen sind so seriös nicht machbar.“ Wissenschaftliche Prognosen zeigen nur auf, dass die Möglichkeit von Jobverlusten besteht, dies gilt aber für viele Branchen und Tätigkeitsfelder – die Bildung, das Rechtswesen oder die Medizin. Auch hochspezialisierte Fachleute und Experten werden von Maschinen übertrumpft: Computer können Aufnahmen aus Magnetresonanztomographen und Kernspintomographen schon zuverlässiger und besser auswerten als Radiologen selbst.

Das Beharrungsvermögen der Verwalter könnte also das dickste Problem für Behördenmodernisierer Fromm werden. Die Zukunft bleibt ungewiss.

Jan-Philipp Hein

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