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Lockdown in Gütersloh: Eine Helferin händigt einer Frau in Quarantäne Windeln aus.

© Ina Fassbernder / AFP

Update

Coronavirus-Hotspot Gütersloh: Abgestempelt als Deppen der Nation

Außerhalb von Tonnies gibt es in Gütersloh nur wenige Infizierte. Trotzdem steht die Region unter Generalverdacht – mit drastischen Folgen für die Menschen.

Jahrzehntelang waren viele Menschen im Kreis Gütersloh stolz auf Clemens Tönnies und sein Lebenswerk: Als Sohn eines Metzgers baute er in Rheda-Wiedenbrück bei Gütersloh mit seinem Bruder den größten Schlachtbetrieb des Landes auf - schuf viele Arbeitsplätze und wurde laut Forbes zum Milliardär.

In Rheda-Wiedenbrück gibt es wohl niemanden, der nicht zumindest jemanden kennt, der bei Tönnies arbeitet. Tönnies zahlt Gewerbesteuer, investiert in Infrastruktur und Bildung. Bislang ein großer Gewinn für die Stadt.

Die Tönnies-Gruppe war mit einem Umsatz von mehr als sieben Milliarden Euro vergangenes Jahr der mit Abstand größte Fleischverarbeiter in Deutschland. Alleine in dem Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück werden sonst jeden Tag gut 30.000 Schweine geschlachtet.

Doch inzwischen kritisiert etwa der Landrat des Kreis Gütersloh, Sven-Georg Adenauer, die Fleischfabrik mit deutlichen Worten. Es bestehe jetzt die Gefahr, dass das Virus auf die allgemeine Bevölkerung überspringt, was unbedingt vermieden werden müsse. „Das geht nur noch mit einem Lockdown. Das ist für die Leute im Kreis, wo es abgesehen vom Tönnies-Hotspot kaum Infektionen gibt, ein herber Schlag, zumal nun die Sommerferien beginnen“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Die Leute haben eine Riesenwut auf Tönnies. Es liegt an ihm, das Verhältnis zu reparieren.“

Denn die Menschen in Gütersloher drohen bundesweit und teilweise sogar über Deutschland hinaus unter Coronavirus-Generalverdacht zu geraten. Sie könnten zu den Deppen der Nation werden.

Über die Infizierten bei Tönnies hinaus gibt es - zumindest aktuell - im ganzen Kreis Gütersloh zwar nur etwa zwei Dutzend registrierte Infizierte. Trotzdem müssen die Menschen wieder mit den Kontaktbeschränkungen leben, die im März bundesweit verfügt worden waren.

  • Nur Angehörige eines Haushalts oder zwei Personen zweier Haushalte dürfen sich draußen zusammen bewegen.
  • Konzerte und andere Aufführungen sind untersagt; Kinos, Museen, Galerien, Schlösser, Burgen und Gedenkstätten werden geschlossen.
  • Sport in geschlossenen Räumen wird untersagt, genauso wie der Betrieb von Fitnessstudios.
  • Auch Hallenschwimmbäder, Saunen und Wellnesseinrichtungen sind wieder zu.
  • Restaurants müssen den Betrieb drosseln und Bars werden geschlossen.
  • Picknick und Grillen im öffentlichen Raum wird wieder verboten.

Obwohl gleich drei Einsatzhundertschaften der Polizei zusätzlich in die Region geschickt wurden – Laschet selbst sieht das Ganze lediglich als Präventivmaßnahme: Er will Zeit zum kostenlosen Testen möglichst aller Bürger gewinnen. Es gebe kein „Ausreiseverbot“, betont Laschet.

Dafür aber zunehmend Einreiseverbote.

Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen

© Federico Gambarini/dpa

Für Urlauber aus der Region, in der am Freitag die Sommerferien beginnen, kann es zu unangenehmen Überraschungen kommen.

  • Österreich hat gleich für ganz Nordrhein-Westfalen eine partielle Reisewarnung verhängt. „Vor allem unser Nachbarland Deutschland mit der Region Nordrhein-Westfalen hat gezeigt, wie schnell es zu einer weiteren dramatischen Situation kommen kann“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz.
  • In Mecklenburg-Vorpommern dürfen Hotels gemäß der gültigen Corona-Landesverordnung Gäste nicht unterbringen, die aus Regionen mit mehr als 50 Infizierten je 100 000 Einwohner kommen. So wurden in Usedom mehrere Gäste aus Gütersloh zurückgeschickt.
  • Auch Bayern hat ein Beherbergungsverbot für Bürger aus Gütersloh und Warendorf erlassen. Eine Ausnahme gibt es für Gäste, die einen aktuellen negativen Corona-Test vorweisen können.
  • In Schleswig-Holstein sollen sich Bürger aus Corona-Risikogebieten wie Gütersloh sich künftig nach der Einreise zwei Wochen in Quarantäne begeben.
  • Niedersachsen hat für Touristen aus der Region Gütersloh ein Beherbungsverbot erlassen. „Das Land wird die bereits in Mecklenburg-Vorpommern und Bayern geltende Regelung im Tourismusbereich anwenden auf Menschen aus dem Bereich Gütersloh“, sagte Regierungssprecherin Anke Pörksen. Lehrkräfte aus dem Raum Gütersloh und Warendorf, die an niedersächsischen Schulen unterrichten, wurde aufgefordert, zunächst zu Hause zu bleiben. „Es geht uns nicht um Diskriminierung oder Ausgrenzung von Menschen aus Nordrhein-Westfalen“, betonte die Regierungssprecherin.
  • Auch der benachbarte Landkreis Osnabrück appelliert an die Menschen in Gütersloh und Warendorf, bis 30. Juni auch auf nicht zwingend notwendige Reisen über die niedersächsische Kreisgrenze zu verzichten. Es ist ihnen untersagt, Freizeitanlagen aller Art oder Veranstaltungen wie Konzerte, Theateraufführungen, Kinovorstellungen oder andere öffentliche oder private Kultureinrichtungen zu besuchen. Auch Museen, Kunstausstellungen, Galerien, Schlössern, Burgen, Gedenkstätten und ähnlichen Einrichtungen in geschlossenen Räumen sind tabu. Kreissprecher Burkhard Riepenhoff betont aber: „Damit wollen wir niemanden schikanieren oder diskriminieren.“

Genau davor warnt auch Laschet.

„Die Botschaft an alle, die jetzt auf Gütersloh schauen: Es sind außerhalb der Beschäftigten in der Fleischindustrie so gut wie keine Fälle bisher bekannt“, sagte er am Dienstagabend in der ARD.

„Was nicht geht, ist, Gütersloh unter Generalverdacht zu stellen. Dafür gibt es gar keinen Anlass.“ Doch wer in deutsche Ferienregionen und nach Österreich blickt, muss feststellen: Das geschieht längst.

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