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Alternativer Wortführer der Krise? Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow.

© Imago/Jacob Schröter

Coronavirus-Debatte um Lockerungen: Ramelow und Söder profilieren sich – aber markige Worte reichen nicht

Die Ministerpräsidenten Ramelow und Söder sind Gegenspieler in der Lockerungsdebatte. Die darf sich nicht nur um persönliche Rivalitäten drehen. Ein Kommentar.

Und wieder Bodo Ramelow. Der thüringische Ministerpräsident von der Linken scheint sich zu einer Art alternativem Wortführer zu entwickeln. Es ist wohl auch gewollt, wie die Taktzahl seiner vom politischen Mainstream abweichenden Meinungsäußerungen nahe legt.

Damit gibt er dem Spektrum rechts der Mitte eine Stimme, das angesichts sinkender Infektionszahlen harte Einschränkungen des Alltags zunehmend kritisch sieht. Abgesehen davon, dass Ramelow auf diese Weise auch einer Mehrheit für Rot-Rot-Grün eine Gasse zu bahnen versucht – was er meint, trifft.

Wie zum Beispiel die Reaktionen des bayerischen Kollegen Markus Söder von der CSU zeigen. Mögen sich Lockerungen beider Länder auch ähneln, die Tonalität der Ansprache ist schon sehr unterschiedlich. Will man Ramelow abseits der allfälligen Kritik etwas Positives abgewinnen, lässt sich sagen, dass er abgeht vom Obrigkeitlichen, um sich in mehr Partnerschaftlichem zu versuchen.

Weil das Virus ja noch länger da sein wird, will der Thüringer Ministerpräsident, dass die Menschen verantwortungsbewusst(er) mit der Situation umgehen. Söder wiederum, vom Grundtypus eher anordnend denn diskursiv, scheint Ramelow immerhin so ernst zu nehmen, dass er einen politischen Angriff auf seine, eine konservative Grundhaltung dahinter vermutet.

Dem will er, und sei es barsch, Einhalt gebieten. Wo Ramelow sich mit einem Lobpreis des Verantwortungsbewusstseins hervortut, stellt Söder ihn als unverantwortlich in seinen Lockerungen dar. Das wird noch eine längere Auseinandersetzung, denn hier stehen sich zwei Politprofis gegenüber. Die beiden werden sich damit weiter profilieren.

Da es aber auch um die Sache geht: Ramelow hat einen Punkt. Das Virus, sagt er, sei nicht mehr verbreitet genug, um mehr als zwei Millionen Thüringern harte Einschränkungen des Alltags abzuverlangen. Das Bundesland zählte in den vergangenen 24 Stunden gerade mal zehn Neuinfektionen. Ramelows Hinweis und Einschätzung strahlen in die Bundesrepublik aus.

Womit die Debatte aufflammt und deswegen auch geführt werden muss, von welcher Zahl der Infizierten an die bundesweiten Regeln nicht mehr aufrecht zu erhalten sind. Mindestabstand, Kneipenschließungen, geringere Personenzahlen bei Treffen in der Öffentlichkeit – alles das wird ja von Vorpommern bis Oberbayern sehr genau verfolgt.

Menschen wenden sich von Gesichtern der Coronavirus-Krise ab

In der Debatte jetzt wird und darf es aber nicht nur um politische Rivalitäten gehen. Die sollten sogar in Anbetracht der gesamtstaatlichen Verantwortung hinten angestellt werden. Hat sich doch bisher schon einiges gezeigt, auf dem aufzubauen wäre.

Zum Beispiel, wie wichtig Kommunikation, Erklärung und Empathie sind. Aggressivität im Ton stärkt Aversion. Dazu gehört der Nachweis von Offenheit für Argumente, die nicht dem eigenen Denken oder Fühlen entsprechen. Es geht um neue Muster, also: um einen Paradigmenwechsel.

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Eine nicht zu vernachlässigende Aufgabe ist es, die propagierten Werte in den Alltag zu übersetzen und zugleich fachliche Kompetenz für die nächsten Krisen aufzubauen. Als da wären: pragmatische Vorschläge für das Handling zukünftiger Krisen und vielleicht ein „nationaler Plan Gesundheit“. Dazu gehört, die Koordination zwischen Bund und Ländern zu überdenken und zu stärken, damit es nicht nur um Stärke oder markige Worte geht.

Zu guter Letzt führt ein Rückblick auf Ramelow und Söder und die anderen zur Erkenntnis, dass sich die Menschen nach ein paar Wochen von denjenigen abwenden, die das Gesicht der Krise sind. Es wächst der Verdruss, der Überdruss. Man will sie nicht mehr sehen, hört ihnen nicht mehr zu, fängt an, herumzukritisieren.

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Das haben wissenschaftliche Studien schon früher gesagt – und hier wird es augenfällig.

Was bedeutet: Es braucht zu allem anderen immer einen (am besten strategischen) Kommunikationsplan. Weil „communicare“ unter anderem so viel heißt wie: gemeinsam machen. Und darauf kommt es an.

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