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Ein Polizist kontrolliert die Ausgangssperre im bayerischen Mitterteich.

© Foto: Nicolas Armer/dpa

Coronakrise in Deutschland: Wir müssen uns auf eine historische Einschränkung bürgerlicher Freiheit einstellen

Die Situation in der Pandemie ist unklar, die Rechtsgrundlagen sind es auch. Zu letzten Mitteln sollte man nur greifen, wenn es unvermeidbar ist. Ein Kommentar.

Gerne wüsste man, welches Szenario Angela Merkel vor Augen hatte, als sie am Mittwochabend vom Fernseher zur Nation sprach; dieser eindringliche Ton, dieser fast skeptische Appell an Vernunft und Mitgefühl. Kein Wort zu künftigen Maßnahmen, stattdessen persönlicher Dank an Supermarktpersonal und ein dramatischer Vergleich mit Großkrisen der Vergangenheit.

Will sie so auf Schlimmeres vorbereiten oder will sie Schlimmeres verhüten?

Das Wahrscheinlichste ist: Sie weiß es selbst nicht. Jedenfalls noch nicht.

Möglich, dass ihre Rede die rhetorische Vorstufe einer Eskalation darstellt, die bürgerliche Freiheiten in einem in der Bundesrepublik noch nie da gewesenen Ausmaß beschränken wird.

In Bayern sind erste Ausgangssperren bereits verfügt worden. Ministerpräsident Söder droht weitere an, manche Länderkollegen springen ihm bei. Nur notwendige Gänge sind dann noch erlaubt, etwa zum Arztbesuch oder zum Einkaufen; nächste Stufe wäre die häusliche Quarantäne.

Der Mensch muss an die Luft. Allein um seiner Gesundheit willen

Italien, Frankreich, Belgien tun es, warum nicht wir? Für das Zögern auf höchster Ebene dürfte es Gründe geben, die mutmaßlich nicht allein der Maxime unbedingten Infektionsschutzes folgen.

Die Freiheit, die eigenen vier Wände zu verlassen, sollte nicht mit der Freiheit verwechselt werden, ein Theater zu besuchen. Die Verurteilung, zu Hause zu bleiben, ist ein gradueller Freiheitsentzug; das Recht, den eigenen Aufenthaltsort frei zu wählen, ein Menschenrecht. Deutschland ist stets vorne mit dabei, diese international zu verteidigen, zumindest in den Reden seiner Repräsentanten.

Nicht zuletzt: Der Mensch muss an die Luft. Allein um seiner Gesundheit willen.

Trotz Angst und Sorge bei weiteren einschneidenden Maßnahmen Bedacht walten zu lassen, nimmt nicht nur auf solche Positionen Rücksicht. Hinzu kommt, dass mit bundesweiten Ausgangssperren eine Diskussion eröffnet wäre, auf welcher Grundlage diese eigentlich verhängt werden sollen.

Die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes lösten schon Unsicherheit aus, wer für die Absage von Großveranstaltungen haftet. Auch bei Ausgangssperren bleiben sie vage und gelten erkennbar für zeitlich und örtlich umgrenzte Maßnahmen. Bedenkt man, dass sich strafbar macht, wer dagegen verstößt, wird eine massenweise und flächendeckende Anordnung zum rechtsstaatlichen Experiment.

Der föderale Vorrang im Seuchenschutz taugt nicht

Denn leider gehört dies zu den Erkenntnissen dieser Tage: Die Kliniken der Republik mögen für die Pandemie noch halbwegs gewappnet sein, die rechtlichen Strukturen, die ihre Bekämpfung steuern müssten, sind es einschließlich des veralteten Infektionsschutzgesetzes offenbar nicht. Der föderale Vorrang im Seuchenschutz mag dort berechtigt sein, wo örtlich Gefahren zu begegnen ist. Als Konzept gegen Covid-19 taugt er nur eingeschränkt.

Das Virus wird als Bedrohung aller Menschen in der Bundesrepublik wahrgenommen. Die Abwesenheit von Bundeskompetenz, die in der eben teils auch hilflos wirkenden Ansprache Angela Merkels zutage trat, ist deshalb ein Mangel. Ihn zu beseitigen, wird konfliktfrei kurzfristig kaum möglich sein; das Parlament könnte den Bund aber zu einzelnen Maßnahmen ermächtigen.

Unabhängig davon muss an jedem Tag neu gerechnet werden. Ausgangssperren siedeln im Bereich der letzten Mittel. Wer sie anordnet, sollte sich vollkommen sicher sein: Ohne sie geht es nicht.

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