zum Hauptinhalt
Schacht Konrad, das Endlager für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle, ist bereits im Bau.

© Foto: dpa/Silas Stein

Coronakrise belastet Endlagersuche: Initiativen und Verbände fordern Aussetzung der Endlagersuche

Die Atommüll-Endlagersuche soll ungeachtet der Corona-Pandemie voranschreiten. Bürgerinitiativen, Umweltverbände und teils auch Kommunen fordern ein Moratorium.

Als die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) im September ihren ersten Zwischenbericht vorlegte, hatte Wolfgang Ehmke sich noch gefreut. Die bunte Karte, die zwei BGE-Geschäftsführer in Berlin in eine Kamera hielten und die Aufschluss gab über mögliche Regionen für ein Endlager, bildete Gorleben nicht ab. Gorleben, lange Zeit als Endlager-Standort geplant, schied gänzlich aus dem Verfahren aus.

Doch nur der Salzstock selbst, gegen dessen Tauglichkeit Ehmke mit der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg jahrzehntelang kämpfte, ist aus dem Rennen. Die Tonvorkommen, die sich fast durch den gesamten Landkreis ziehen, sind weiter im Verfahren. Bei Ehmke ist mittlerweile Ernüchterung eingekehrt. „Das Jahr eins nach Gorleben ist natürlich eine Zäsur. Aber noch nicht einmal die Hälfte des Bundesgebiets ist von der Suche ausgenommen, das Verfahren hat eklatante Mängel“, kommentierte Ehmke.

Die Ernüchterung liegt nicht am Ergebnis allein: „Eine öffentliche Beteiligung ist während der Pandemie überhaupt nicht möglich. Mit rein digitalen Formaten ist das nicht zu machen“, sagte Ehmke. „Viele Menschen wollen sich organisieren, um qualifiziert mitreden zu können. Doch sie brauchen mehr Zeit.“ Längst sei ein Moratorium für das Verfahren notwendig. „Nur, weil die Politik das Thema aus dem Wahlkampf heraushalten will, wird die Endlagersuche weitergetrieben – auf Kosten echter Beteiligung“, sagte Ehmke.

„Wenn ich erlebe, was die Gesellschaft derzeit beschäftigt, dann gibt es für die Endlagersuche aktuell nicht die nötige Aufmerksamkeit. Das muss Konsequenzen haben“, ergänzte Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atomkraft-Initiative Ausgestrahlt. Mit ihrer Forderung sind sie nicht allein. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) forderte im vergangenen Jahr immer wieder ein Moratorium. „Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt innezuhalten und zu überlegen, wie der Prozess weiterlaufen soll: Wo muss das Verfahren verbessert, welche inhaltlichen Punkte müssen noch tiefer beleuchtet werden?“, sagte BUND-Chef Olaf Bandt zu Tagesspiegel Background.

Bayern begleitet Endlagersuche mit eigenem Gremium

Die Endlagersuche, vor Jahren neu aufgesetzt, hat mit dem ersten Zwischenbericht im September eine wichtige Wegmarke genommen. 90 Gebiete im ganzen Bundesgebiet, Salz-, Ton- und Granitgesteine, kommen nach geologischen Kriterien weiterhin als Standort für ein Endlager in Betracht. Vor allem der Norden Deutschlands, die ostdeutschen Bundesländer, Bayern und Baden-Württemberg stellen viele Gebiete. Bis 2031 soll der Standort feststehen, in den ab den 2050ern rund 1900 Castoren einlagert werden sollen. Immer wieder sorgt das Verfahren für Streit.

In der Landespolitik bleibt die Endlagersuche ohnehin brisant: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte bereits Stunden nach Veröffentlichung des Zwischenberichts im September moniert, dass der Salzstock Gorleben aus dem Verfahren herausgenommen wurde. Seit Oktober verfolgt der Freistaat die Endlagersuche mit einer eigenen Kommission. Kernaufgabe des neuen „Bayerischen Begleitgremiums Endlagersuche“ sei es, das Suchverfahren kritisch zu hinterfragen und die Interessen der betreffenden Regionen zu bündeln, sagte Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler).  

Auch in den Kommunen wachsen Zweifel

Doch nun steht die Beteiligung der Öffentlichkeit im Fokus. Im Oktober wurden die Ergebnisse erstmals auf einer Konferenz mit Vertretern aus Politik und Wissenschaft, Kommunen und gesellschaftlichen Gruppen diskutiert. Drei weitere Runden der sogenannten Fachkonferenz Teilgebiete sind bis Juni geplant, beginnend Anfang Februar. Die Veranstaltung findet ausschließlich digital statt.

„Eine virtuelle, bloß mittelbare Veranstaltung, wie nun durch Corona notwendig, wird den gesetzlichen Vorgaben eines partizipativen Verfahrens nicht gerecht“, sagte BUND-Chef Bandt. Zuletzt kamen teils auch auf kommunaler Ebene Zweifel an der derzeitigen Durchführbarkeit auf: Der Kreistag in Lüneburg etwa forderte im Dezember in einer Resolution, das Verfahren auszusetzen, bis Präsenz-Veranstaltungen wieder möglich sind.

[Wenn Sie die wichtigsten News aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Tatsächlich ist die Konferenz auch für die BGE wichtig. Hier muss sie den Zwischenbericht erläutern und zudem die inhaltlichen Ergebnisse der Konferenzen bei ihrer weiteren Arbeit berücksichtigen. Derzeit entwickelt die BGE Methoden, um die Gebiete mit möglichen Standorten für ein Endlager weiter einzugrenzen. In wenigen Jahren soll ein neuer Zwischenbericht vorgelegt werden, der dann erstmals Standorte für eine übertägige Erkundung vorschlägt. Geht es um den aktuellen Zwischenbericht, sieht Aktivist Stay einen weiteren Grund für ein Moratorium: „Ein Großteil der Daten, die zu Ergebnissen im Zwischenbericht führten, ist noch immer nicht veröffentlicht“, monierte Stay.

BMU hält Beginn der Fachkonferenz für angemessen

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base) hatte die Fachkonferenz mit einer Auftaktveranstaltung im vergangenen Oktober initiiert. Forderungen zur Verschiebung der Konferenz seien „allenfalls direkt an den Gesetzgeber zu richten“, teilt ein Sprecher des Base auf Anfrage mit. Das Standortauswahlgesetz biete für die Behörde in diesen Belangen keinen Ermessensspielraum. Der Sprecher weist jedoch darauf hin, dass die pandemiebedingte Durchführung der Beteiligung in digitaler Form die Zielstellung des Gesetzes und auch der Empfehlung der Endlagerkommission erfülle.

Dem Wunsch nach einer Verschiebung der Fachkonferenz Teilgebiete will sich auch das Bundesumweltministerium (BMU) von Ministerin Svenja Schulze (SPD) nicht anschließen. Im Zuge der Pandemie seien innerhalb kurzer Zeit neue Wege der Teilhabe eröffnet worden, die weit über die bisherigen Möglichkeiten in Beteiligungsverfahren hinausgehen, teilte ein Sprecher des BMU mit. Die BGE müsse weiterarbeiten und auf die Anmerkungen der Fachkonferenz eingehen können. Der Beginn dieser inhaltlichen Beratungen zum Zwischenbericht sei „eine gute Wahl: Der Zwischenbericht ist noch hinreichend aktuell, die Öffentlichkeit hat aber auch Zeit zur Einarbeitung in die Dokumente, die die Ergebnisse des Zwischenberichts stützen.“  

Aktivist Ehmke wünscht sich hingegen eine Präsenzveranstaltung, um neue Beteiligungsformate zu sprechen. Das hat auch mit dem Konfliktpotential zu tun, das die Suche noch immer birgt. „Wir müssen über eine Novelle des Standortauswahlgesetzes sprechen, die wirklich wichtigen Entscheidungen fallen nach Abschluss der Fachkonferenz Teilgebiete“, sagte Ehmke. „Denn wenn wir keine neuen Beteiligungsformate für die Bevölkerung schaffen, wird die Endlagersuche in wenigen Jahren hochkochen.“

Zur Startseite