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Einige Forscher meinen, dass derzeit etwa die Hälfte der Infektionen nicht entdeckt wird.

© imago images/Ralph Peters

Corona-Zahlen steigen und steigen: Wie hoch ist die Dunkelziffer?

Die Inzidenz in Deutschland erreicht wieder Rekordwerte. Dabei ist das nur die Zahl der bekannten Fälle. Wie Wissenschaftler die Lage einschätzen.

Auch wenn die Corona-Zahlen in die Höhe schnellen - die tatsächliche Inzidenz dürfte deutlich höher liegen als die gemeldete. Einige Forschende gehen davon aus, dass derzeit etwa die Hälfte der Infektionen nicht entdeckt wird. Die Dunkelziffer ist also in etwa so groß wie die Zahl bekannter Fälle. Und mit steigendem Infektionsgeschehen erhöht sich in der Regel auch der Anteil der Dunkelziffer. Es gibt dann also noch mehr nicht entdeckte Fälle im Vergleich zu den nachgewiesenen Infektionen.

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Jan Fuhrmann vom Institut für Angewandte Mathematik der Universität Heidelberg geht bei seinen Berechnungen davon aus, dass bei Geimpften ein geringerer Teil der Infektionen erkannt wird als bei Ungeimpften. „Das liegt daran, dass Geimpfte erstens nur selten einen negativen Test brauchen, zweitens häufiger einen nahezu asymptomatischen Krankheitsverlauf haben und drittens oft der Fehleinschätzung unterliegen, sie könnten sich dank der Impfung gar nicht mehr infizieren“, erklärte der Experte für mathematische Epidemiologie.

Welchen Beitrag der wochenlange Wegfall kostenloser Bürgertests zur Höhe der Dunkelziffer leistete, sei schwer zu schätzen. „Allerdings wurde bei Einführung der Bürgertests argumentiert, dass nur ein sehr kleiner Teil der entdeckten Fälle diesen Tests zu verdanken war“, so Fuhrmann. „Im Umkehrschluss hätte deren Wegfall dann auch keinen großen Einfluss, zumal die Dunkelziffer unter Geimpften davon weitgehend unberührt bleiben dürfte.“ Er nimmt an, dass derzeit ungefähr die Hälfte der tatsächlichen Neuinfektionen entdeckt wird.

Davon geht auch Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen aus. Sie erläutert jedoch: „Der genaue Wert der Dunkelziffer ist für die Vorhersage der Krankenhausbelastung und für eine Abschätzung des Trends nicht relevant - solange sie sich nicht recht plötzlich stark ändert.“ Um das Pandemiegeschehen - und davon abhängig auch geeignete Gegenmaßnahmen - abschätzen zu können, gebe es Inzidenz, Hospitalisierung und die Belegung der Intensivstationen. „Das ist ausreichend, um die Dynamik abzuschätzen.“ Die Inzidenz sei dabei nach wie vor ein sehr hilfreicher Indikator. „Man sieht in der Inzidenz den extrem starken Anstieg. Die Intensivbelegung folgt etwas geglättet.“

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Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen geht davon aus, dass die Rate der Dunkelziffer nicht nur wegen geringerer Testpflichten steigt. „Sondern auch, weil Geimpfte und Genese sicherlich in der Summe weniger getestet werden und eben auch anteilig weniger schwere Symptome haben und so eher nicht als infiziert erkannt werden“, wie er erläuterte. Für den weiteren Verlauf bedeutet eine höhere Dunkelziffer laut Fuhrmann, „dass insbesondere Kontaktnachverfolgung einen immer kleineren Beitrag zur Kontrolle der Epidemie leisten kann“.

Eine höhere Rate hat Einfluss auf die Dunkelziffer

Neben der Inzidenz hat im Wochenvergleich auch der Anteil positiv ausgefallener Corona-Tests in Deutschland zugenommen. Die sogenannte Positivrate sei von 12,4 auf 16,2 Prozent (erste Novemberwoche) gestiegen, teilte der Verband Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) in der vergangenen Woche mit. „Das Infektionsgeschehen in Deutschland nimmt drastisch zu“, hieß es. Niedrige Raten bedeuten laut Robert Koch-Institut (RKI), dass sehr sensitiv getestet werde und auch Personen mit leichten Symptomen erfasst würden. Eine höhere Rate hat somit auch Einfluss auf die Dunkelziffer. Die Gesamtzahl an Tests stieg laut ALM im Wochenvergleich nur leicht an, auf rund 1,1 Millionen.

Die Forschenden verweisen in jedem Fall auf die hohe Bedeutung von Impfungen in der Pandemie, auch mit Blick auf andere Länder: Bei Impfquoten deutlich über 80 Prozent wie in Portugal seien die Infektions- und Behandlungszahlen gering und sehr gut beherrschbar, so Zeeb. Aber auch dann lasse die Immunität nach.

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Den Impfschutz zu erhöhen, bleibe erstmal noch eine Daueraufgabe, betonte Zeeb. „Die Boosterimpfungen katapultieren den Impfschutz erneut deutlich nach oben, die Effektivität des Schutzes vor einem schweren Verlauf liegt nach vorliegenden Daten sogar über der kurz nach der zweiten Impfung, und auch der Schutz vor Ansteckung und Weitergabe einer Infektion ist sehr ausgeprägt und deutlich besser als bei Geimpften ohne die Auffrischung.“

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Priesemann verwies auf Israel. Dort sei es im Sommer gelungen, die Welle bei einer ähnlichen Impfquote wie in Deutschland zu stoppen, indem rund 50 Prozent der Menschen eine Boosterimpfung bekommen haben. Die dritte Impfung sei wichtig, weil der Immunschutz mit der Zeit etwas nachlasse. Dadurch bringe sie im Gegensatz zu nur zwei Impfungen auch mehr Schutz und drücke die Hospitalisierung.

In Israel habe die dritte Impfung in allen Altersgruppen einen sehr starken Effekt für die Schutzwirkung gehabt. „Der Effekt wäre in Deutschland möglicherweise nicht ganz so stark, da der erste Impfabstand länger war und die Impfungen nicht ganz so lange her sind wie in Israel“, erläuterte sie. „Aber wir erwarten auch hier eine deutliche Wirkung.“ (dpa)

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