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Die Corona-Warnapp mit der Seite zur Risiko-Ermittlung.

© Michael Kappeler/dpa

Corona-Warnapp: Erfolgsgeschichte mit Nachholbedarf

Mehr als 18 Millionen Deutsche haben sich die Corona-App heruntergeladen. Doch mit Blick auf steigende Infektionszahlen reicht der Regierung das nicht.

Von Robert Birnbaum

Doro Bär wird regelrecht lyrisch. „Für mich ist die Nutzung der App auch ein Liebesbeweis an alle, um die Sie sich sorgen“, sagt die Staatsministerin, die im Kanzleramt fürs Digitale zuständig ist. Die Rede ist nicht von Dating per Smartphone, sondern von der Corona-Warnapp. Seit 100 Tagen ist das Programm am Mittwoch auf dem Markt.

Eine „große Erfolgsgeschichte“ nennt es Bärs Chef, Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU). Doch angesichts steigender Infektionszahlen und mit Blick auf Herbst und Winter genügt der Regierung das Erreichte nicht.

Elf EU-Staaten wollen das deutsche Modell übernehmen

Tatsächlich fällt die Zwischenbilanz ein bisschen durchwachsen aus. Mehr als 18 Millionen Deutsche haben die Corona-App seit Juni heruntergeladen. Das sind etwa so viele wie die Nutzer vergleichbarer Apps in Europa zusammengenommen. Ab Oktober wollen zunächst elf EU-Staaten das deutsche Modell übernehmen, darunter die meisten Nachbarn. Frankreich setzt allerdings auf eine eigene Lösung, und mit der Schweiz verhandelt Braun noch.

Doch so imposant die 18 Millionen wirken, sind sie doch erst ein Bruchteil des Möglichen. Rund 50 der 58 Millionen deutscher Smartphone-Nutzer, berichtet Telekom-Vorstand Tim Höttges, könnten die App technisch nutzen. Der Rest der Handies ist zu alt – teils weil sie den neueren Bluetooth-Chip nicht eingebaut haben, der messen hilft, ob sich ein Infizierter gefährlich lange in der Nähe aufhält, teils wegen veralteter Betriebssysteme.

Dorothee Bär (CSU), Staatsministerin für Digitalisierung, lobt die Corona-Warnapp
Dorothee Bär (CSU), Staatsministerin für Digitalisierung, lobt die Corona-Warnapp

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Auch die operative Bilanz stellt Braun, Bär (CSU) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch nicht zufrieden. Knapp 5000 Corona-Infizierte haben die App genutzt, um Kontaktpersonen anonym vor einer möglichen Ansteckung zu warnen. Man könne also davon ausgehen, dass schon „einige zigtausend Menschen“ alarmiert wurden, sagt Spahn. „Das ist viel, aber es reicht uns nicht.“

Der Gesundheitsminister kann nicht sagen, wie viele Menschen sich aufgrund einer App-Warnung testen ließen

Die Gründe für die zögerliche Verbreitung sind für Regierung und Macher nicht leicht auszumachen, zumal ihnen – auch wegen der hohen Datenschutzanforderungen an das Open-Source-Programm – viele Daten schlicht fehlen. Immerhin ist klar, dass nur etwa die Hälfte der App-Nutzer die Warnfunktion nutzt, nachdem sie positiv getestet wurden. Spahn kann aber zum Beispiel nicht sagen, wie viele Menschen sich aufgrund einer App-Warnung testen ließen. SAP-Vorstand Jürgen Müller beobachtet, dass Nutzer des Google-Betriebssystems Android zögerlicher sind als iPhone-Besitzer.

Höttges räumt ein: „Auch wir haben Fehler gemacht.“ An der Verständlichkeit soll weiter gearbeitet werden, neue Funktionen sollen dazukommen. Das Programm wird ab Oktober Symptome abfragen und so genauer abschätzen können, wie gefährlich ein Infizierter für seine Mitmenschen ist. Auch das bleibe aber freiwillig, und die Daten blieben auf dem eigenen Smartphone, betonen alle auf dem Podium.

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Auf eins legen sie allerdings bei allen Problemen Wert: Nützlich sei die Warnapp schon jetzt. Sie selbst habe vor kurzem eine Warnung bekommen, sagt Bär. Ihr Test sei zum Glück negativ geblieben, aber dies zeige: „Die App funktioniert.“

Braun hebt Tempo und Abdeckung als wichtigste Vorteile hervor. Auf dem analogen Weg dauere es schon mal vier, fünf Tage vom Corona-Befund bis zur Warnung, sagt der Kanzleramtschef. Kontaktpersonen in der U-Bahn oder am Nebentisch im Restaurant, die der Infizierte gar nicht kenne, erreiche das Gesundheitsamt überhaupt nicht.

Doch der Nutzungsgrad bleibt die entscheidende Größe – die Zahl der Downloads und die Zahl derer, die einen positiven Test weitermelden. „Nutzen Sie dieses Werkzeug, informieren Sie Ihre Kontakte“, bittet Spahn. Jeder Nutzer zähle, gerade jetzt, wo sich das Virus in Städten wie München oder dem nordrhein-westfälischen Hamm „diffus“ auszubreiten beginne

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