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Idealer Corona-Abstand. Seine Daumenkinos trägt Volker Gerling – hier am Brandenburger Kloster Neuzelle zur Halbzeit seiner Tour – auf einem alten Tablett vor sich her.

© Hugo Böker

Corona und die neue Bescheidenheit: Darum ist das Daumenkino jetzt wieder top-aktuell

Das Publikum ist wieder empfänglich für alltägliche Gefühlsäußerungen: ein Lächeln, ein Stirnrunzeln, ein Kuss. Volker Gerling trifft damit den Nerv der Zeit.

Volker Gerling blättert. Er braucht keine große Leinwand, keine aufwendige Soundanlage, keine Sitzplätze. Vor seinem kleinen Publikum, das er zufällig vor dem Kloster Neuzelle gefunden hat, blättert er in seinen Daumenkinos und erzählt dazu, lässt das junge Paar selber blättern, legt Pausen ein und führt so seine Daumenkino-Wanderausstellung vor, die er auf einem alten Holztablett vor sich her trägt – idealer Corona-Abstand.

Frau B. mit ihrem Gartenhut lässt er so den Kopf zurückwerfen und lachen, die moderne Loreley darf kurz ihre Brust entblößen, er zeigt den Blick der jungen Frau, die sich ihr langes Haar mit geschlossenen Augen hat abrasieren lassen und nun zum ersten Mal ihren geschorenen Schopf im Spiegel sieht, sich darüber streicht, fremd und vertraut zugleich.

Schon als Zehnjähriger wollte Gerling unbedingt eine eigene Kamera haben. Die erste kaufte er sich vom gesparten Taschengeld, arrangierte bald Diaabende mit Musik, dann entdeckte der Rheinländer die Super-8-Kamera seines Vaters, die er „noch toller“ fand.

„So ein Staunen!“

An der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg hat er ein Jahr Regie studiert, hat ihm nicht gefallen, hinschmeißen wollte er. Freunde rieten ihm, er solle es doch mit dem Kamerastudium versuchen. Das hat er auch getan, mit Erfolg und Auszeichnung.

Und dann, 1998, stieß er aufs Daumenkino, diese Schnittstelle zwischen Film und Fotografie, und merkte, dass das Medium etwas Besonderes auslöst: „So ein Staunen! Wie in der Anfangszeit des Kinos, als die Menschen auch ganz überwältigt waren von den bewegten Bildern.“ Er merkte, wie empfänglich das Publikum war für die alltäglichen Gefühlsäußerungen: ein Lächeln, ein Kuss, ein Stirnrunzeln, ein stoisches Schweigen.

Blattwerk. Lieber als auf internationalen Festivals präsentiert Volker Gerling seine preisgekrönten Daumenkinos auf der Straße.
Blattwerk. Lieber als auf internationalen Festivals präsentiert Volker Gerling seine preisgekrönten Daumenkinos auf der Straße.

© Hugo Böker

Daumenkinograph ist Gerling nun schon seit 20 Jahren. Aber nie war seine Kunst so aktuell wie jetzt, da die Kultur kaum noch eine Bühne hat. In Coronazeiten entdecken Menschen die Langsamkeit wieder, die Freude an kleinen Dingen.

Vor zwei Wochen ist der Künstler wieder losgewandert, zu Hause, in Brandenburg, in der Schorfheide, jetzt ist Halbzeit. In 14 Tagen will er am Ziel sein: Görlitz. Letzte Nacht hat er in Eisenhüttenstadt geschlafen, am Sonntagmorgen gibt er den Treffpunkt durch, vor dem Friedrich-Wolf-Theater, einem klassizistisch anmutenden großen Bau mit Säulen, wie das ganze Zentrum im gediegenen Stil des Sozialismus der 50er Jahre.

Gerling ist ein Menschenfänger

Die Gebäude sind renoviert, viele Läden stehen leer. Die Dame, die einen vom Bus bis zum Theater begleitet, weist wie eine Reiseführerin nach links und nach rechts: Dieses Geschäft hat gerade zugemacht, jenes schließt demnächst, dort steht der Schandfleck des Ortes, das seit Jahrzehnten leer stehende, verfallene einstige Hotel.

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Portraits nennt Gerling seine Arbeiten – Portraits in 36 Bildern und wenigen Sekunden, „Portraits in motion“. Die meisten Menschen, die er porträtiert, sind ihm auf seinen Wanderungen begegnet. Die Fotosessions stehen nicht am Anfang, sondern am Ende eines Gesprächs, in denen Wildfremde ihm oft die persönlichsten Dinge erzählen. Vielleicht gerade deshalb, so glaubt er: weil er fremd ist und wieder weiterzieht.

Gerling ist ein Menschenfänger. Freundlich und zugewandt, ein guter Zuhörer, ganz bei sich, erlebt er die unglaublichsten Geschichten.

Am Ende war er fertig

Bei seinen Theaterabenden, wenn er die Daumenkinos unter dem Projektor auffächert, sodass sie an die Wand geworfen werden, zeigt er jedes Portrait dreimal. Beim ersten Mal als Stummfilm, ohne Erklärungen. Dann erzählt er von den Menschen und wie er sie getroffen hat, blättert noch einmal durch, erzählt ein bisschen mehr, aber nicht zu viel. Mit jeder Runde gewinnen die Kinos an Intensivität, brennen sich ins Gedächtnis.

Einen Teil der Faszination erklärt der Künstler selbst mit den Lücken, die er lässt. Er erzählt die Geschichten nicht aus, sodass die Bilder eher im Kopf des Zuschauers entstehen. Das Publikum denkt – und fühlt – sich seinen Teil selbst dazu. Am intensivsten, überwältigendsten hat er das 2015 bei seinem ersten Besuch auf einem Festival in Edinburgh erlebt, wo die Leute so oft anfingen zu weinen, dass Gerling selbst auf dem Weg zu seinen Vorstellungen schon die Tränen kamen.

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23 Auftritte und ein Preis – „am Ende war ich fertig. Ich wusste nicht mehr, wo ich das alles hinpacken soll, die ganzen Emotionen.“

Das Festival, auf dem, wie bei all seinen Vorführungen, auch viel gelacht wurde, brachte ihm den internationalen Durchbruch. Es folgten Einladungen nach England, Portugal, Dänemark, China, Kanada, Australien, Neuseeland. An einigen Orten wurde er berühmter als im eigenen Land.

Allerdings kam ihm die Diskrepanz zunehmend absurder vor: ans andere Ende des Planeten zu jetten, um von Wanderungen durch Deutschland zu erzählen. „Das schlechte Gewissen flog immer mit.“

Das Gefühl, mit weniger auszukommen

Damit ist dank Corona jetzt erst mal Schluss. Seine aktuelle Reise hat Gerling lange vor der Pandemie geplant, aber sie passt perfekt in die Zeit. Und das nicht nur, weil ihm die üblichen Auftrittsmöglichkeiten fehlen. Die Genügsamkeit, die Gerling auf seinen Wanderschaften lebt – im Lockdown hat sie plötzlich viele ergriffen. Dieses Gefühl, mit viel weniger auszukommen, als man bis dahin zu brauchen meinte. Gleichzeitig ist das Bedürfnis nach unmittelbarer Kommunikation enorm gestiegen.

Die Entschleunigung, von der in jüngster Zeit so viel die Rede war, ist Gerlings natürliches Tempo. Nicht dass er lahm wäre – forschen Schrittes prescht er mit seinem schweren Gepäck voran. Die natürliche Geschwindigkeit der menschlichen Bewegung liegt ihm – das Reisen zu Fuß, das Blättern mit dem Daumen. „Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt“, so hat er sein 2013 erschienenes Buch über seine allererste große Wanderung genannt, die ihn von Berlin nach Basel führte.

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Auf eine Bank im Schatten zwischen Theater und Eiscafé hat er sich gesetzt, die langen Beine ausgestreckt, neben sich das Tablett mit den Daumenkinos drauf und einem Honigglas darunter, das Kasse und Tischbein zugleich ist. „Eintritt: frei“, steht auf einem Schild. „Austritt: Was es Ihnen wert ist.“

„Globetrotter“ steht auf seinem Gürtel

Sein enthusiastischer Zuschauer im benachbarten Neuzelle, ein Mittdreißiger mit Hipsterhütchen, wird später, voll kindlicher Freude, einen Fünf-Euro-Schein in den Schlitz stecken. Jetzt, vor dem Theater, lässt sich eine ältere Eisenhüttenstädterin das erste Daumenkino ihres Lebens zeigen. Die kahlrasierte junge Frau darin erinnere sie an eine Krebskranke, sagt die Zuschauerin und geht ohne Austritt weiter.

Als Künstler auf der Walz zieht der 51-Jährige regelmäßig ohne Geld los. Unterwegs lebt er von den Ausstellungseinnahmen und dem, was die Leute ihm geben, weil er sie um ein paar Scheiben Brot oder Wasser gebeten hat.

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Vorhin lud ihn eine Ur-Eisenhüttenstädterin zum Frühstück ein. Dann habe ihm die einstige Krankenhausfotografin, die auch mal eine Eisdiele hatte und ganz Eisenhüttenstadt zu kennen schien, von sich erzählt, und ihn „voller Empathie“ ausgefragt.

Das ist es, worum es dem Künstler geht: Begegnungen. Anfangs hatte er noch Angst, dass er lange nach interessanten Leuten suchen müsste. Jetzt weiß er: Sie finden ihn. Gerling fällt auf, mit dem Van-Gogh’schen Strohhut auf dem rotblonden Kopf, dem Gepäckwagen. „Globetrotter“ steht auf seinem Gürtel, der die Hose mühsam zusammenhält. Vor lauter Bewegung, Begegnung und sparsamem Budget kommt er oft nicht zum Essen. Am Abend zuvor gab es eine Banane.

60 Daumenkinos in rund 20 Jahren

So fasziniert war er vom Gespräch mit Sabrina im irischen Pub, einer 22-Jährigen, die die Schule abgebrochen und eher zufällig eine Ausbildung zur Altenpflegerin begonnen hatte und nun erfüllt war vom Glück, mit Alten zu arbeiten.

60 Daumenkinos in rund 20 Jahren – Gerlings Oeuvre ist schmal. Anfangs wussten seine Gegenüber nicht, was sie erwartete, wenn sie sich fotografieren ließen. Dann ratterte die Kamera von alleine los, 36-mal hintereinander. Zu seiner Nikon F 3 hatte er einen Motor gekauft, der den ganzen Film automatisch transportiert. Inzwischen kennen sie ja das Prinzip. Und doch, sagt Gerling, „hält das Fotogesicht nur ein paar Sekunden, dann bricht es auf“.

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Nichts außer der groben Strecke ist auf der Reise geplant. Gerling liebt die Freiheit, die spontane Entscheidung. „Sie machen das, wovon ich träume“, habe ihm ein Mann vor einem Drogeriemarkt ein paar Tage zuvor gesagt.

Am liebsten schläft Gerling in einem Zelt im Wald, manchmal übernachtet er bei Freunden von Freunden, vor allem, wenn er eine Dusche und eine Waschmaschine braucht. Doch eigentlich mag er es nicht, Verabredungen zu treffen und dann zu einer bestimmten Zeit erwartet zu werden.

Wenige lernen das Land so kennen wie er

Jetzt aber los, zwölf Uhr mittags ist es schon. 20 Kilometer am Tag läuft der Künstler normalerweise. Gerling schnallt sich das Geschirr um, an dem vorn Wanderausstellung und Landkarte, hinten der Gepäckwagen und an den Seiten die Kameras hängen.

Er hat sich für den direkten Weg nach Neuzelle entschieden, an der Ausfallstraße lang. Trotz der Kiefern und Büsche links und rechts – pittoresk ist was anderes. Aber das Öde gefällt ihm: „Nach so intensiven Begegnungen muss ich mich wieder leer machen.“

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Gerling fotografiert analog und Schwarz-Weiß, weil er das Zeitlose mag, das den Bildern eigen ist, und weil er sie selbst entwickeln kann. Nur ausnahmsweise hat er diesmal noch eine Digitalkamera dabei. Später macht er damit ein Selbstporträt, beim Einlaufen in Neuzelle, vor dem wahrscheinlich einzigen Jesus am Kreuz, der an einem Brandenburger Ortseingang steht. Aber findet es wieder banal, sofort in der Kamera das Ergebnis zu sehen.

Deutschland erkunden, zu Fuß oder mit dem Rad, das machen in diesem Corona-Sommer viele. Aber wohl wenige lernen das Land so kennen wie Gerling: Auf seiner Tour begegne er nur den Guten, wie Volker Gerling sie nennt, „den Neugierigen, Aufgeschlossenen“.

„Was die Leute alles für Hobbys haben!“

Solchen wie dem Radler, der auf der Strecke nach Neuzelle anhält, um herauszufinden, was es mit dem Typen auf sich hat. Der Eisenhüttenstädter im grauen Feinripp-Unterhemd und Adidas-Shorts und mit einem Rad ohne Gangschaltung sagt, dass er immer mit Fremden ins Gespräch kommt. Als Dankeschön für die Begegnung zeigt der Künstler ihm ein Daumenkino. „Was die Leute alles für Hobbys haben!“, wundert sich der Radler und schiebt davon.

„Ich mag den Osten wahnsinnig gern“, sagt Gerling, der mit seiner Familie vergangenes Jahr endgültig von Berlin nach Brandenburg gezogen ist. „Da begegnet man einem Schlag Menschen, der so offen ist.“

Am Katjasee zum Beispiel, wo er sich, nachdem ihm in Neuhardenberg ein begeisterter Zuschauer 50 Euro ins Glas gesteckt hatte, einen Mini-Urlaub gegönnt hat: zwei Nächte und einen ganzen Tag am selben Ort. Mit Wasser, so klar, dass Gerling es getrunken hat. Wider seine Gewohnheit schlug er sein Zelt am Ufer auf. Sonst meidet er Seen im Dunkeln, da seien ihm zu viele betrunkene Party-People unterwegs. Dort fühlte er sich sicher.

Nackt am Strand. Eine Frau kam, zog sich aus

Am Nachmittag habe der Daumenkinograph nackt am Strand gelegen, als eine Frau kam, sich ebenfalls auszog, und sie zusammen schwimmen gingen. „Sie hat so gern und so warm Auskunft gegeben, von ihrer Kindheit am See.“ Am nächsten Tag sei sie mit ihrem Mann zurückgekommen, der genauso herzlich gewesen sei. „Man fühlt sich da so willkommen!

„Eintritt: frei“, steht auf einem Schild. „Austritt: Was es Ihnen wert ist.“ Der Mann mit Hut gibt fünf Euro.
„Eintritt: frei“, steht auf einem Schild. „Austritt: Was es Ihnen wert ist.“ Der Mann mit Hut gibt fünf Euro.

© Hugo Böker

Im Osten begegne er eher der Haltung: Zeig doch mal, was du hast. „Im Westen denken die Leute oft, dass ich ihnen was verkaufen will.“ Aber genau das will er auf der Wanderung nicht. Das soll keine Verkaufsschau sein, sondern eine Ausstellung. Nur bei seinen Theatervorführungen und online kann man die Daumenkinos kaufen, für 20 Euro das Stück.

Die Wanderung führt weiter geradeaus, links Plattenbauwohntürme, unsaniert, rechts ein McDonald’s zum Durchfahren, 100 Meter zum Frisiersalon. Ein paar Kilometer Schwitzen, dann bestellt Gerling in der Neuzeller Klosterschenke einen Starkbierbraten mit Knödeln und Sauerkraut, den er so bedächtig isst, wie er arbeitet.

„Wie ein Ertrinkender“

Mit zwei richtig guten Daumenkinos am Ende der Tour wäre er schon zufrieden. „Vier wären unglaublich.“ Jetzt ist er entspannt, weil er weiß: Ein richtig gutes hat er schon. Dominik. Den 20-Jährigen habe er am Imbiss einer öffentlichen Badestelle getroffen, die Gerling eigentlich gar nicht mag. „Da komm ich mir vor wie ein Alien. Alle sind in Gesellschaft und leicht bekleidet – und ich allein mit so viel Gepäck.“

Und da, vor dem Imbiss, sei Dominik gekommen und habe sich auf die Ausstellung gestürzt – „wie ein Ertrinkender“. Er habe ein Buch unterm Arm getragen: Solschenizyns „Archipel Gulag“, aus der Bibliothek geliehen. Durch einen Blog habe der Hauptschüler die russische Literatur für sich entdeckt – aber niemanden, mit dem er sich darüber austauschen konnte.

Auf dem Steg hat Gerling Dominik fotografiert, lächelnd, aber mit geschlossenem Mund. Der Junge schämte sich für ein fehlendes Stück Zahn, das er bei einer Schlägerei um ein Mädchen verloren hatte.

Für Volker Gerling geht der Tag gut zu Ende. In Neuzelle hat er sich vom Mönch die Erlaubnis geholt, im Klostergarten zwischen den Obstbäumen zu zelten. Seine Freude über seinen Rastplatz ist spürbar. Sogar gesegnet wurde er.

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