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Gut sortiert: Viele Arbeitnehmer wollen den Zugewinn an Zeit und Autonomie, der das Homeoffice brachte, nicht mehr missen.

© Felix Kästle/dpa

Corona und die Arbeitswelt: Homeoffice ist ein Kulturwandel, der sich nicht ignorieren lässt

Die Pflicht ist vorbei, die Kür ungeklärt: Viele Unternehmen haben die elementare Frage nach der künftigen Arbeitsgestaltung ausgesessen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Sind alle Arbeitnehmer am heutigen Montag wieder an ihrem Arbeitsplatz? Sicher nicht. Doch die Verpflichtung der Unternehmen durch den Gesetzgeber, ihren Mitarbeitern das Homeoffice zu ermöglichen, ist mit Auslaufen der Bundesnotbremse vorbei. Damit liegt die Entscheidung über das Wo wieder in den Chefetagen und Personalbüros – und damit auch die Frage, was aus den Erfahrungen der verpflichtenden Homeoffice-Zeit gelernt werden kann.

Beides birgt weiterhin Konfliktpotenzial zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Dabei war die Zeit, um sich Gedanken über das Post-Corona-Arbeiten zu machen, lang genug. Viele Angestellte werden zunächst einfach hoffen, dass sie nicht Knall auf Fall zurück in die Büros beordert werden, sondern dass ihre Arbeitgeber behutsam umgehen mit den Neuerungen, die in den vergangenen Monate etabliert wurden. Das waren vor allem das positive Erleben von Eigenverantwortung und Verantwortungsgefühl für den Betrieb – und das bei relativ großer Sicherheit für die eigene Gesundheit.

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Der Schutz vor Corona ist weiter ein Thema. Denn auch wenn die Regierung den Gang ins Büro (mit Test- und Abstandspflichten) wieder zulässt, ist doch die Pandemie nicht vorbei. Die Delta-Variante macht sich breit, und die Sorge vor dem Herbst wächst. Von den Unternehmen erfordert das anhaltende Mühen, um den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter zu gewährleisten. In vielen Fällen sollte das allein schon Grund genug für eine Fortsetzung des Homeofficebetriebs sein.

Allerdings hatte diese Sichtweise es schon einmal schwer, sich bei den Unternehmensführungen durchzusetzen – weshalb die gesetzliche Regelung ja überhaupt erst nötig geworden war. Sollte das jetzt plötzlich anders sein?

[Lesen Sie hier bei T-Plus: Desk-Sharing als Trend - Was bedeutet das Ende der Homeoffice-Pflicht für Arbeitnehmer?]

Und jenseits des Gesundheitsschutzes gibt es noch den Kulturwandel, der sich schwerlich wird ignorieren lassen. Alle Umfragen zeigen, dass Arbeitnehmer, darunter auch Führungskräfte, gerne teilweise weiter von zu Hause arbeiten wollen. Die Gründe dafür reichen von den eingesparten Pendelzeiten über besseres und fokussiertes Arbeiten bis zu einer neuen Form von Freiheit und Selbstbestimmtheit, die gerade die Jüngeren schätzen.

Auch solche neuen, regelrecht revolutionären Erfahrungen spielen ab jetzt in Arbeitsgestaltungsdebatten eine Rolle.

Wie umgehen mit dem Misstrauen der Führungskräfte?

Nachlässigerweise haben aber in vielen Unternehmen die Debatten darüber, wie es nach Corona weitergeht, noch nicht mal begonnen. Mitten in den Sommerferien ist sicher ein schlechter Zeitpunkt, um damit zu starten. Dabei gibt es genug zu besprechen, denn das Thema ist komplex.

Wie passen der Freiheitswunsch der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu dem Misstrauen, dass viele Vorgesetzte bis heute gegen die fehlende physische Kontrolle haben? Was wird aus den Schreibtischen in den Büros, wenn die nur die Hälfte der Zeit oder weniger besetzt sind? Der individuelle Arbeitsplatz mit Topfpflanze und Familienfoto könnte Geschichte sein, wenn der Trend zum „Desk-Sharing“ geht, wie es gern beschönigend heißt, als tue man der Umwelt etwas Gutes.

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Und noch ist nicht klar, wie sich eine solche „Heimatlosigkeit“ im Büro auf die dort geleistete Arbeit auswirkt. Mitarbeiter das Gefühl bekommen, beliebig von Platz zu Platz herumgeschoben zu werden und letztlich völlig austauschbar zu sein. Was sich wiederum auf das Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen und die Leistungsbereitschaft auswirken könnte.

Einen Vorgeschmack auf die weitere „Entmenschlichung“ der Büromenschen hat die Pandemie bereits geliefert: In digitalen Konferenzen waren Mitarbeiter nur noch Bildschirmköpfe – per Knopfdruck da und per Knopfdruck auch wieder weg. Kein lebendiges Gegenüber mehr, kein Ganzes, keine physische Präsenz, keine Gegenwart, überall nur Pixel. Es gibt also immensen Gesprächsbedarf in den Unternehmen, unter den Mitarbeitern und mit den Arbeitgebern. Wir sind hier erst ganz am Anfang einer (hoffentlich) neuen Unternehmenskultur.

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