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So sieht's doch aus: Die Eltern streiten sich über die Deko, die Kinder hängen am Gerät. Wer soll das vermissen?

© IMAGO

Corona und der Kreis der Lieben: Ist der Weihnachtshype ein bisschen verlogen?

Wer Weihnachten sehnsuchtsvoll für das Fest der Familienliebe hält, möge sich bitte kurz vorstellen, wie zum Gänsebraten die Verschwörungstheorien durchgekaut werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Man kann sich auch wundern über das Gezeter und Gegreine, das derzeit überall ertönt, wenn es um die Feiern der Jahresendzeit geht. Ojemine, Weihnachten ohne lauter Verwandte, wie soll das gehen, wird man nicht ums Schönste des Jahres betrogen? Ist doch nicht auszuhalten! Ist es nicht?

Erinnert sich wirklich keiner daran, wie er oder sie in den vergangenen Jahren gemeckert hat: über die blöde Geschenkekauferei, die lästige Fahrt nach Hause, die nervigen Verwandten, die immer nur fragen, was die Liebe macht, und beklagen, dass man immer dicker oder dünner werde oder immer noch raucht, je nachdem. Die man auch noch beschenken soll, womit nur?, die einen – noch schlimmer – auch beschenken, mit lauter Quatsch, für den man sich dann noch bedankt, statt die Annahme zu verweigern.

Das ganze viel zu viele und viel zu fette Essen, dass einem die Figur oder zumindest die Verdauung ruiniert. Das viele Fernsehgucken, weil man sich letztlich doch nichts zu sagen hat. Die ungezogenen Kinder der Geschwister, die unentwegt dazwischen quatschen oder wie ferngesteuert auf ihren Smartphones rumhämmern und damit ihre Eltern nerven, die den schön gedeckten Tisch einsauen, die irgendwann quengelig werden und rumkreischen.

Dann der verpflichtende Gang in die Kirche, in der einem die Füße einfrieren. Das klägliche Gesinge von viel zu wenig engagierten Sängern, die Textunsicherheit, die schleppende Orgel, die ganze So-tun-als-ob-Peinlichkeit. Die christliche Botschaft? Ach Gottchen. Gibt’s jetzt endlich die Geschenke?

Und nun soll in diesem Jahr nichts unversucht gelassen werden, um diese heilige Zeit zu retten? Nun ja. Alle, die sonst schon Probleme bekommen haben, wenn plötzlich über Politik oder Flüchtlinge gesprochen wurde, mögen sich vorstellen, wie es wird, wenn zwischen Stollen mit Butter beschmiert und Gänsebraten an Klopsbergen die ersten Verschwörungstheorien aufgetischt werden, die zum Verdauungsschnäpschen bei Corona-Diktatur und Maskenverweigerungsanekdoten angekommen sind. Viel Spaß beim diskursiven Balanceakt!

Es wäre vielleicht gar nicht schlecht gewesen, Weihnachten einmal ganz ausfallen zu lassen. Damit alle mal überdenken können, was sie von dem Fest eigentlich wollen. Statt wie jedes Jahr immer noch mehr Geschenke zu kaufen als Kompensation für nicht erbrachte immaterielle Zuwendungen und andere Leistungen.

Oder geht es nur um das Post-Weihnachten-Gefühl?

Soll Weihnachten bloß der eine Anlass sein, vor dem sich niemand drücken kann? Motto: Wenn alle im selben Stress sind, ist ja auch etwas Verbindendes. Aber wäre da nicht Ostern besser? Ist das höhere Fest, und das Wetter ist meist auch schöner, da kann sich der Verwandtenpulk im Garten verteilen. Will man einmal im Jahr so tun, als sei einem Tradition wichtig, weil man ahnt, dass ein völlig traditionsloses Leben ein wenig zu wenig Halt geben könnte?

Oder geht es um die irre Erleichterung, wenn man nach zwei, drei Tagen die Auto- oder Bahntüren hinter sich zufallen hört. Alles überstanden, hurra, und nun nichts wie weg hier? Post-Weihnachten verleiht Flügel?

Es zeigt sich doch immer wieder, dass man leicht über das meckert, was ohnehin und garantiert da ist. Meckern ist nämlich auch ein Beleg für stabile Beziehungen. Vielleicht reut manchen auch in der nahenden Voradventszeit, was er in den vorigen Jahren an Lästereien über Weihnachten so von sich gegeben hatb? Und könnte ja auch sein, dass da oben doch jemand zugehört hat, dem es jetzt mal reichte - und nun haben wir den Schlamassel.

Silvester ohne "Was mach ich nur"-Panikschübe

Die Jahresendzeit unter Seuchenbekämpfungsbedingungen wird vermutlich bei manchen tatsächlich als Erklärung dafür dienen, dass sie dieses Jahr leider, leider nicht kommen können, sehr schade, wirklich. Manche werden nächstes Jahr dann umso geläuterter die Verwandten besuchen - manche kommen vielleicht auf den Geschmack der unbehelligten Weihnachtstage. So sorgt Corona womöglich für mehr Wahrhaftigkeit auf Erden.

Und noch eins bringt dieses Ausnahmesetting mit sich: Es wird das vielleicht einzige Silvesterfest nahen, das keine „Was mach ich nur“-Panikschübe auslöst. Der 31.12. wird kommen und gehen, es wird etwas weniger laut draußen, vielleicht gehen ein paar mehr Menschen nach den Nachrichten ins Bett wie tags zuvor und tags drauf. Und dann ist ein neues Jahr, was auch nichts weiter ist als ein menschengemachtes Konstrukt. Der Rest ist Einbildung und Wunschdenken.

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