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Kaum Verkehr herrscht auf der Autobahn A71 nahe der Abfahrt Suhl-Friedberg zur Mittagszeit.

© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Corona-Shutdown in Deutschland: Ökonomen, Politiker und Virologen streiten, wie lange der Stillstand dauern darf

Noch tragen 95 Prozent der Bürger die Corona-Einschränkungen mit. Aber der Preis der Maßnahmen wird hoch sein. Ökonomen stellen eine hochbrisante Frage.

Regierungssprecher Steffen Seibert rollt mit den Augen, wirkt genervt, als er mal wieder gefragt wird, wann denn Läden, Bars und Cafés wieder öffnen können.

Die Schließungen und Ausgangsbeschränkungen für die Bürger seien ja zunächst auf mindestens 14 Tage befristet. Das sei „die einzige seriöse Antwort“ derzeit. Denn niemand könne einen „epidemiologischen Blick in die Glaskugel bieten“. Alles hänge davon ab, wie sich das Ansteckungsgeschehen entwickle.

Das Vorgehen der Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird von Seibert als alternativlos dargestellt.

Die Zustimmung zu den Maßnahmen ist enorm hoch. Sie werden trotz der sich abzeichnenden ökonomischen Verwerfungen für richtig befunden, um möglichst viele Leben zu retten. Laut ARD-Deutschlandtrend befürworten 95 Prozent der Befragten die Kontaktverbote.

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Doch die 156 Milliarden Euro an Rekordneuverschuldung könnten nicht reichen, im privaten wie im gesellschaftlichen Leben drohen Spannungen – und der Preis der folgenden Rezession könnte ein höherer sein als der der medizinischen Coronakrise.

Gespräche mit Regierungsvertretern, Ökonomen und Politikern der Opposition zeigen ein zunehmendes Unwohlsein, wie lange diese außergewöhnliche Situation durchzuhalten ist. Kanzlerin Angela Merkel wird in der häuslichen Quarantäne in ihrer Wohnung an der Museumsinsel auch hierüber nachdenken müssen - denn der Druck für die Exit-Strategie dürfte schon bald wachsen.

Blick auf die Privatwohnung von Kanzlerin Merkel in Berlin-Mitte.
Blick auf die Privatwohnung von Kanzlerin Merkel in Berlin-Mitte.

© imago images/Emmanuele Contini

Die Warnungen der Ökonomen

Thomas Straubhaar hat in seinem Arbeitsleben noch nie so viel Prügel bezogen wie derzeit. Der an der Universität Hamburg lehrende Ökonom hatte es gewagt, die angebliche Alternativlosigkeit der Maßnahmen infrage zu stellen. Er schlägt einen Perspektivenwechsel vor, der aber die Zahl der Corona-Infektionen und auch der Todesfälle steigen lassen könnte.

Er fordert, die Bürger nicht durch Isolation zu schützen, sondern Alternativen zu prüfen, bei denen primär die älteren Hochrisikogruppen geschützt werden, deren Leben durch das Coronavirus akut bedroht wird.

Großen Einfluss auf viele Regierungen hat derzeit der Epidemiologe Neil Ferguson vom Imperial College. Er war es auch, der Großbritanniens Premier Boris Johnson beraten hat. Der entschloss sich erst nach langem Zögern zu massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Ferguson hatte diverse Modellrechnungen erarbeitet und drastische, mehrmonatige Maßnahmen empfohlen.

Der Ökonom Thomas Straubhaar fordert ein rasches Ende des Shutdowns.
Der Ökonom Thomas Straubhaar fordert ein rasches Ende des Shutdowns.

© DPA

Straubhaar verweist auf das grundlegende Dilemma der Shutdown-Strategie. „In dem Moment, wenn Sie vom Bremspedal gehen, gibt es wieder eine eigendynamische Beschleunigung an neuen, exponentiell zunehmenden Erkrankungen, sodass Sie wieder von vorne anfangen können.“

Schätzungen gehen von mindestens 25 bis 30 Milliarden Euro Kosten für jede Woche des Stillstands in Deutschland aus. Der Finanzmanager Alexander Dibelius wirft im „Handelsblatt“-Interview eine Frage auf, die an die Grenzen der Ethik geht: „Ist es richtig, dass zehn Prozent der – wirklich bedrohten – Bevölkerung geschont, 90 Prozent samt der gesamten Volkswirtschaft aber extrem behindert werden – mit der unter Umständen dramatischen Konsequenz, dass die Basis unseres allgemeinen Wohlstands massiv und nachhaltig erodiert?“

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Straubhaar sagt, es gehe nicht darum, Ältere in Kasernen einzusperren. Sondern darum, dass sich hochgefährdete Personen zu Hause oder in Alters- und Pflegeheimen aufhalten. Außerdem solle der Kontakt eingeschränkt bleiben. „Ich finde es verblüffend, dass man gerade nach den politisch verheerenden Ergebnissen, die man mit dem Wort Alternativlosigkeit in Deutschland in jüngerer Geschichte gemacht hat, wiederum von einer Alternativlosigkeit ausgeht.“

Stattdessen müsste eine Strategie angestrebt werden, die, wie bei einer Zwiebelschale, „einzelnen Schichten bald wieder eine Rückkehr in das normale Leben ermöglicht“.

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Bei allem Respekt, den er vor seinen Kollegen der Virologie und Epidemiologie habe: Durch einen längeren Lockdown dürften die Effekte nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Gesellschaft so immens werden, „dass dadurch gewaltige Belastungen für das Gesundheitswesen, für Lebensqualität, Lebenserwartung und damit negative Folgen für die Sterblichkeit insgesamt zu erwarten sind“.

Es gebe ein kollektives Risiko, „dass eine ganze Gesellschaft, eine ganze Wirtschaft kollabieren kann“. Es müsse eine „Implosion“ verhindert werden, die in der Summe „enorm viele Menschen an Leib und Leben gefährden würde". Die Alternative wäre für Straubhaar also, eine Virusausbreitung in Kauf zu nehmen, hoffend auf eine rasche Teilimmunisierung der Bevölkerung.

Das Dilemma der Politiker

Nach Ostern. Montag, der 20. April. Das sind die Fixsterne, auf die sich die Hoffnungen ausrichten. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) braucht sich nur die Zahlen bei den großen Arbeitgebern in seinem Bundesland, dem Touristikkonzern Tui und dem Autobauer VW anschauen. Er fordert, langsam über das Lösen der Bremse nachzudenken.

„Gelingt es uns, die Infektionszahlen runter zu bekommen, können wir vielleicht nach Ostern anfangen, wieder langsam und stufenweise die Systeme hochzufahren“, sagt Weil in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung.

Ein Haushaltsfachmann, der ungenannt bleiben will, ist sogar etwas verzweifelt: „Das ist alles über den Daumen gepeilt, wir brauchen Zahlen zu den tatsächlichen Umsatzeinbrüchen, was wird das Kurzarbeitergeld kosten?“

Finanzminister Olaf Scholz werde jetzt einfach mal so ein „riesiger Blanko-Scheck“ ausgestellt, auf dem auch pauschal über 50 Milliarden für die Coronabekämpfung veranschlagt würden – plus die gewaltigen Hilfs- und Kreditprogramme für die Wirtschaft.

Der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke mahnt: „Wir müssen dafür sorgen, dass wir so viele Menschen wie möglich sichern.“ Klar, Menschenleben dürften niemals gegeneinander aufgerechnet werden. Es gebe noch genug „Pulver“, um gegenzusteuern, aber auch Fricke pocht auf eine baldige Exitstrategie.

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Und immer wieder wird vor zu viel Macht der Virologen gewarnt. Auch unter ihnen gibt es unterschiedliche Einschätzungen zur Sinnhaftigkeit von Ausgangsbeschränkungen. „Wir müssen denen genau zuhören, aber sie sind genauso wenig wie die Ökonomen die Alleinentscheider“, betont Fricke.

Finanzminister Scholz bleibt in einem internen Brief an die SPD-Fraktion vage: „In Abstimmung mit den Fachleuten werden Bund und Länder in den nächsten Wochen abwägen müssen, wann und wie wir unser Land wieder in den Normalmodus’ zurückbringen können.“ Sobald die Kneipen, Kinos und Geschäfte wieder öffnen, „werden wir zielgenaue Entscheidungen treffen, um die Konjunktur zu beleben“.

Bis in die FDP hinein wird diskutiert, ob man zur Begrenzung des „Shutdowns“ nicht doch Maßnahmen wie der stärkeren Nutzung von Handydaten zustimmen müsste, um die Kontakte infizierter Personen zielgenauer ausfindig zu machen. Es geht viel um das kleinere Übel. Auch international wird das Ausstiegsszenario intensiv diskutiert.

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In der Bundesregierung wird betont, es sei viel zu früh, um öffentlich über Exit-Zeitpunkte zu reden. „Wir müssen doch erst mal wissen, wie gut unsere Maßnahmen greifen“, sagt ein Regierungsmitarbeiter. Auch psychologisch sei es falsch, Hoffnungen zu machen, die am Ende vielleicht nicht eingelöst werden könnten.

„Wir brauchen nicht gleich das nächste Wettrennen, wer als erster Licht am Ende des Tunnels meldet“, schimpft ein anderer Regierungspolitiker. Einheitliches Handeln zwischen Bund und Ländern sei für ein kontrolliertes Wiederanfahren unabdingbar. Allen sei klar, dass es nur um Lockerungen gehen könne. Kontakte zu reduzieren werde noch lange das beste Mittel bleiben, um die Pandemie zu bekämpfen.

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