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Stephan Kohn im April 2018 vor dem Tagungsort des außerordentlichen Bundesparteitags der SPD

© Fabian Sommer/dpa

„Corona-Rebell“ im Innenministerium: Das Problem ist nicht das Papier, sondern die Parallelgesellschaft

Ein Beamter hat sich mit einer Pandemie-Recherche wichtig gemacht, die nun in den Medien kursiert. Schlimm ist das nicht – nur verantwortungslos. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Jedem seine fünf Minuten Ruhm. Derzeit laufen sie für den „Corona-Rebellen“ im Bundesinnenministerium, Stephan Kohn. In einem vielseitigen Papier lässt er die Pandemie als „Fehlalarm“ erscheinen und verrechnet die Kosten des Lockdowns mit dem für ihn nicht erkennbaren Nutzen. Nun wurde er suspendiert. Ihn erwartet ein Disziplinarverfahren. Das stützt die Mythenbildung, dass hier ein Aufrechter zum Schweigen gebracht wird, der nichts als die Wahrheit sagt.

Tatsächlich sollte Horst Seehofer für seinen Mitarbeiter Milde zeigen. Zwar sprechen die betont pressekritischen Passagen dafür, dass Herr K. selbst Sorge dafür trug, sein Werk über ein rechtsalternatives Internetmagazin bekannt zu machen. Das wird er aber mutmaßlich bestreiten. Nachweislich hatte er es nur an Behörden in Bund und Ländern adressiert.

Vielleicht ist gerade wenig los im Referat

Für eine Dienstpflichtverletzung bleibt dann nicht mehr viel. Herr K. wird sich auf den Standpunkt stellen, dass eigentlich sein Referat für Katastrophenschutz in die Pandemiebekämpfung hätte eingebunden werden müssen. Im Namen des BMI fachliche Stellungnahmen einzuholen, wie Herr K. es tat, ist schlecht vorwerfbar. Besser ein Ministerium, das dies tut, als dass es darauf verzichtet.

Es verbleibt ein Übermaß an Eigeninitiative, das man Beamtinnen und Beamten nur begrenzt vorhalten sollte. Vielleicht ist gerade nicht so viel los im Referat KM4, wo Herr K. seinen Dienst tut.

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Problematisch ist nicht das in Ansätzen möglicherweise diskutable, wenngleich inhaltlich kaum überraschende Papier, es sind diejenigen, die in Herrn K. nun den staatsamtlichen Kronzeugen dafür sehen, dass die naive Merkel-Regierung nach der Flüchtlingskrise in die nächste Humanitätsfalle tappt.

Oder dafür, dass die Menschheit von Bill Gates totgeimpft werden soll. Oder dass die Chinesen mit Biowaffen kämpfen, um die Welt zu beherrschen. Mit anderen Worten: Herr K. wird Kronzeuge für Unsinn.

Eine gigantische Überholspur für Geisterfahrer

Früher war die Rede von Parallelgesellschaften im Zusammenhang mit muslimischen Einwanderern. Heute zeigt sich immer deutlicher, dass die eigentlichen Parallelgesellschaften diejenigen mit einer parallelen Weltwahrnehmung sind. Hier zählen weniger Erkenntnis, Methoden und Rationalität als vielmehr Überzeugung, Glaube und Vorurteil.

Die einen machen die Welt immer komplexer, die anderen immer einfacher. Die einen hatten schon länger die Chance auf mediale Verbreitung und medialen Zusammenschluss, die anderen haben sie mit dem Internet bekommen. Die digitale Sphäre ist damit zu einer gigantischen Überholspur für Geisterfahrer geworden.

Dort hat Herr K. sein Papier erfolgreich eingespeist. Dort macht es jetzt seinen Weg und ihn zum Helden. Das ist vielleicht der einzige Vorwurf, den man Herrn K. wirklich machen kann: Dass er unverantwortlich gehandelt hat.

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