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Ein tschechischer Polizist stoppt Autofahrer für eine Kontrolle an der Grenze des Bezirks Sokolov (Falkenau) zum Bezirk Karlsbad.

© dpa

Corona-Mutanten in Nachbarstaaten: Deutschland schottet sich ab – was bringen Grenzkontrollen?

Tschechien, Slowakei und Tirol gelten als Mutationsgebiete, aus denen niemand mehr ohne negativen Test nach Deutschland darf. Die Details.

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Die Spediteure, sagt Verbandsfunktionär Dirk Engelhardt, sind „stinkesauer“. Was den Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterverkehr und Logistik (BGL) so aufregt, sind die neuen Corona-Grenzkontrollen. Die Bundesregierung hat Tschechien, die Slowakei und Tirol zu Virus-Mutationsgebieten erklärt.

Ohne frischen Negativ-Test darf niemand über die Grenzen, und auch dann nur mit triftigem Grund. Ab Sonntag Nacht kontrolliert die Bundespolizei wieder dort, wo früher Schlagbäume standen.

Über Sonderregeln für Pendler oder Lkw-Fahrer wurde am Freitag noch beraten. An den Beratungen waren zwar Innen-, Gesundheits- und Außenministerium beteiligt, das Verkehrsministerium jedoch nicht.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) versprach zumindest den Grenzpendlern praxisgerechte Lösungen. Aber wer nicht wolle, dass in Supermärkten Regale leerblieben und die Bänder in den Autowerken stillstünden, warnt Engelhardt, der müsse auch die Lkws am Rollen halten – und wer, anders als bisher, negative Corona-Testergebnisse auch von allen Lkw-Fahrern verlange, müsse sagen, wo sie diese machen können.

Was verspricht sich die Politik von den Grenzschließungen?

Die Initiative ging von den Grenzländern aus. Bayern und Sachsen hatten in Berlin Alarm geschlagen. In Tirol geht eine Variante der südafrikanischen SarsCov-2-Mutation um, in Tschechien – und noch einmal besonders stark in einigen grenznahen Kreisen – grassiert vor allem das britische Turbo-Virus B117.

Beide sind ansteckender als die Corona-Urform. Die Südafrika-Mutante verursacht offenbar obendrein schwerere Verläufe und wird durch Impfstoffe nach traditioneller Machart wie dem Präparat von Astrazeneca schlechter abgewehrt. Selbst wer schon Corona gehabt habe, könne sich wahrscheinlich wieder damit anstecken, sagt der Münchner Infektiologe Clemens Wendtner. Wenn es nicht gelinge, die Einschleppung durch lückenlose Kontrollen zu bremsen, müsse man notfalls die Grenzen ganz schließen.

Mehr als einen gewissen Bremseffekt könnten allerdings selbst hermetisch abgeriegelte Grenzen nicht bewirken. Alle bisher bekannten gefährlicheren Mutationen sind schon in Deutschland unterwegs, früher oder später werden sie die Urform verdrängen. Neue bundesweite Zahlen konnte der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Freitag noch nicht präsentieren.

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Für die am stärksten betroffenen bayerischen Landkreise nannte aber Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) alarmierende Daten: 30 Prozent Mutationen unter den Positiv-Tests im Landkreis Tirschenreuth, 25 Prozent in Wunsiedel. Unter tschechischen Pendlern seien Raten von 40 bis über 70 Prozent nachgewiesen. Ob das neue Grenzregime nicht schon zu spät kommt, erscheint bei solchen Zahlen zweifelhaft. Aber etwas mehr Zeit kann es im Kampf gegen die Pandemie vielleicht doch noch verschaffen.

Was bedeutet die Einstufung als Mutationsgebiet in der Praxis?

Auf der dreistufigen Skala des RKI stehen die „Virusvariantengebiete“, wie sie amtlich heißen, für die oberste Kategorie der Gefährdung – noch vor den Hochinzidenz- und Risikogebieten. Auf der RKI- Mutationenliste standen schon ferne Länder wie Brasilien oder Botsuana und in Europa Portugal, Großbritannien und Irland. Tirol und Tschechien sind jetzt die ersten unmittelbaren Nachbarn, Regionen in Frankreich könnten dazukommen.

Für Einreisen aus Mutanten-Regionen gelten sehr strikte Vorschriften. Ein aktueller Corona-Test, nicht älter als 48 Stunden, ist Grundvoraussetzung. Der Reisende muss die Negativbescheinigung auf Papier oder elektronisch schon bei sich haben, wenn er an die Grenze kommt; dort schnell noch nachholen darf er den Test nicht mehr. Zusätzlich gilt je nach Landesrecht – in Sachsen und Bayern schon seit vorigem Jahr – eine zehntägige Quarantänepflicht. Anders als bei Risiko- und Hochinzidenzgebieten, also Regionen mit mehr als wöchentlich 200 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner, gibt es für Mutationsgebiete bisher grundsätzlich keinerlei Ausnahmen. Das hat dazu geführt, dass aus den meisten dieser Regionen fast nur noch Deutsche kamen, die nach Hause zurückkehren wollten.

In unmittelbaren Nachbarregionen, ökonomisch und menschlich eng verflochten, wird es aber kaum ohne Ausnahmen gehen. Allerdings rechnete die tschechische Pendlervereinigung APCR damit, dass die nur für Menschen gelten werden, die in kritischer Infrastruktur oder im medizinischen Sektor arbeiten.

Wer ist von den Maßnahmen betroffen?

Skitourismus in Tirol fällt in diesem Corona-Winter ohnehin flach. Das neue Grenzregime betrifft also vor allem Menschen, die von Berufs wegen ins Nachbarland müssen. Aus Tschechien sind das normalerweise bis zu 60.000 Menschen, die größtenteils als Tagespendler in Deutschland ihren Lebensunterhalt verdienen. Viele von ihnen sind allerdings in Hotels und Gaststätten beschäftigt, die jetzt im Lockdown ohnehin geschlossen sind.

Sowohl das österreichische Bundesland als auch drei tschechisch-deutsche Grenzregionen unterliegen zugleich strikten Einschränkungen im eigenen Staat. Tirol wurde von der Regierung in Wien weitgehend abgeriegelt; aus dem Bundesland raus geht es auch innerhalb Österreichs nur noch mit Tests und Quarantäne.

In Tschechien sind die Landkreise Sokolov an der Grenze zu Sachsen, Trutnov am Dreiländereck zu Polen und Cheb gegenüber dem Bayerischen Wald seit Donnerstag von der Außenwelt so gut wie abgeriegelt. Dort gab es Inzidenzwerte bis zu 1000. Das Krankenhaus in Cheb ist völlig überlastet.

Was machen andere Länder der EU?

Deutschland ist keineswegs das einzige EU-Land, das angesichts der Pandemie zu verschärften Kontrollen an den Landgrenzen greift. So entschied die dänische Regierung bereits Anfang Januar, dass Einreisende einen negativen Corona-Test benötigen. Dabei ist die Regierung in Kopenhagen vergleichsweise strikt – der PCR- oder Schnelltest darf in vielen Fällen nicht älter als 24 Stunden sein. Nachdem die Verschärfung Anfang Januar in Kraft war, wiesen die Beamten an der Grenze in den ersten 24 Stunden 595 Personen ab.

Wer in Dänemark Urlaub machen will, dem nutzt auch ein negativer Test nichts: Auch deutsche Ferienhaus- und Bootsbesitzer müssen sich an die Regel halten, dass touristische Reisen nach Dänemark derzeit nicht gestattet sind. Lockerer sind dänische Grenzbeamte nur gegenüber Grenzpendlern und Einwohnern aus Schleswig-Holstein. Wer aus dem nördlichsten deutschen Bundesland nach Dänemark kommt und ein höchstens 24 Stunden altes negativen Testergebnis dabei hat, braucht noch nicht einmal einen triftigen Grund für die Einreise zu nennen.

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Auch in Frankreich gilt bei der Einreise, auch auf dem Landweg, inzwischen in vielen Fällen eine Testpflicht. Seit Ende Januar wird an der französischen Grenze ein negativer PCR-Test verlangt, der nicht älter als 72 Stunden sein darf. Allerdings gibt es Ausnahmen: So müssen etwa Grenzpendler aus Deutschland, die sich jeweils nicht länger als 24 Stunden in Frankreich aufhalten, keinen Test vorweisen, Kinder unter elf Jahren und Lkw-Fahrer sind auch von der Testpflicht befreit.

Wer aus der Gegenrichtung von Frankreich nach Deutschland kommt, muss sich an hierzulande geltende Regelungen halten, die für Frankreich seit Dezember unverändert sind. In der Praxis laufen sie darauf hinaus, dass für Berufspendler aus Frankreich keine Testpflicht gilt.

Im Visier der französischen Polizei und der Bundespolizei steht hingegen der grenzüberschreitende Einkaufstourismus, der auch als Pandemietreiber gilt. Anders als in Deutschland haben viele Einzelhändler in Frankreich bis zur dortigen Ausgangssperre um 18 Uhr geöffnet. Um Einwohner aus Baden-Württemberg von Einkaufstrips über die Grenze abzuhalten, gilt in dem Bundesland inzwischen auch eine Quarantänepflicht für zurückgekehrte Shopping-Touristen.

Besondere Sorgen bereitet den Politikern in den drei Bundesländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland, die an der Grenze zu Frankreich liegen, die Ausbreitung von Corona-Mutanten aus Brasilien und Südafrika im benachbarten Département Moselle. Die Verbreitung im Nachbarland könnte dazu führen, dass bald auch an der deutsch-französischen Grenze eine Regelung wiederbelebt wird, mit der die Bürger in Deutschland und Frankreich bereits im vergangenen Frühjahr unliebsame Erfahrungen machten: Die Grenzen blieben – abgesehen vom Warenverkehr und den Fahrten der Pendler – ganz dicht.

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