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So gesehen wäre es doch fast schade, wenn sie weg kommen.

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Corona-Lockerungen: Der Wunsch nach einer Atempause darf nicht auf Kosten anderer gehen

Masken, Tests, Kontaktbeschränkungen: Am liebsten soll alles zurückgefahren werden. Das freut die Menschen - aber kluges Regieren ist das nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Karin Christmann

Manches ist für Zweijährige besonders schwer zu akzeptieren: Beispielsweise können sie nicht ihren Badeanzug anziehen und sich dann im Schnee wälzen. Rein praktisch wäre das zwar möglich. Aber jeder Vater und jede Mutter wird es verhindern. Du kannst nicht alles haben im Leben: So freudlos es klingt, so wahr ist es auch. Wer das Erwachsenenalter erreicht hat, sollte es gelernt haben.

Die derzeitigen Debatten über Corona-Lockerungen laufen hingegen darauf hinaus, die Zweijährige noch kalt abzuduschen, bevor sie im Badeanzug in den Schnee springt. Masken, Tests, Kontaktbeschränkungen: Am liebsten soll alles zurückgefahren werden.

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Viele Menschen sind nur allzu froh über diese Impulse. Das resultiert aus Erleichterung und Freude und ist nur zu verständlich. Ein Espresso im Café fühlt sich nach dem Pandemiewinter an wie ein Kurzurlaub in Rom. Die Berlinale lockt, das Public Viewing zur EM auch. Alles wie früher. Und das so plötzlich. Vor allem die Masken werden debattiert. Sie sind das Symbol der Pandemie schlechthin. Verschwinden sie, ist alles vorbei. Ach, wie schön es doch wäre.

Aufgabe der Politik ist es aber nicht, der Bevölkerung eine Freude zu machen, sondern gut zu regieren. Dazu gehört gerade jetzt, klug zu differenzieren. Bei jeder Maßnahme kommt es darauf an, wie stark sie einerseits Menschen einschränkt und andererseits zur Pandemiebekämpfung beiträgt. Masken beschneiden die persönliche Freiheit kaum, verhindern aber mindestens in Innenräumen so manche Infektion. Die Maskenpflicht großräumig aufzuheben, wäre daher falsch.

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Auch Tests sind zwar umständlich, aber keine Freiheitseinschränkung. Wenn Masken und Tests es möglich machen, Kultur und Beisammensein ohne Gesundheitsrisiko zu genießen, wäre es unklug, darauf zu verzichten.

Und selbst wenn ein solcher Verzicht jetzt gerade angesichts erfreulich niedriger Inzidenzen je nach Situation vertretbar sein mag: Die Politik weckt Erwartungen, die sie womöglich bald wird enttäuschen müssen. Großbritannien hat den Tag, an dem alle Beschränkungen fallen, verschoben – wegen der gefährlichen Delta-Variante. Natürlich wird die sich auch in Deutschland ausbreiten.

Der Delta-Effekt ist nicht genau vorauszusehen

Doch wieder wird lieber der Sommer zelebriert. Die Infektionen, die dabei entstehen, erhöhen mittelfristig zum Beispiel das Risiko für Kinder, die ungeimpft gemeinsam im Klassenraum sitzen. Gleiches gilt für all jene Erwachsenen, für die noch kein Impfstoff verfügbar ist. Der Wunsch nach einer Atempause darf nicht auf Kosten anderer gehen.

Im vergangenen Herbst war mitzuerleben, wie die Infektionszahlen plötzlich rasant stiegen. Die Lage ist heute dank der Impfkampagne – zum Glück – anders. Doch der Delta-Effekt ist nicht genau vorauszusehen. Zudem ist das Virus unter Selektionsdruck, gerade weil viele Menschen schon geimpft sind. Das kann Varianten befördern, die den Schutz durch bisherige Impfungen umgehen. Auch daher ist es sinnvoll, die Infektionszahlen so niedrig zu halten wie nur möglich. Die Pandemie hat seit Frühjahr 2020 viele Volten geschlagen. Mal staunte die Öffentlichkeit, wie schnell die Zahlen stiegen, derzeit staunt sie, wie schnell sie fallen. Die übergeordnete Lehre müsste sein: Vorsicht gewinnt. Und die Botschaft an die Bevölkerung muss nach wie vor lauten: Diese Pandemie ist nicht vorbei.

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