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Ein seltenes Bild: Donald Trump mit Maske

© Alex Brandon/AP/dpa

Corona in den USA und Europa: Trump reagierte falsch, aber wer reagiert richtig?

Europa hat inzwischen mehr Corona-Tote zu beklagen als die USA. Der anklagende Fingerzeig über den großen Teich zeugt zunehmend von Hybris. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Eine schnelle, scharfe Replik könnte die Wahl entscheiden. Als in der letzten TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden der  Umgang des Präsidenten mit der Coronakrise thematisiert wurde, sagte der Republikaner, was er schon oft gesagt hatte: Die Medizin dürfe keine schlimmeren Folgen haben als die Krankheit selbst.

Dann fügte er hinzu: Amerika lerne, mit dem Virus zu leben. Der Konter des Herausforderers kam prompt und traf. „Die Menschen lernen, damit zu sterben“, entgegnete Biden, „220.000 Amerikaner sind tot.“

Trump und die Pandemie – das ist im Wahlkampf der zentrale Angriffspunkt der Demokraten. Trump habe keinen Plan, übernehme keine Verantwortung, sagt Biden. Trumps Versäumnisse werden aufgezählt, die Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Ratschlägen, die lange Zeit praktizierte Weigerung, selbst eine Maske zu tragen, das Interview mit Bob Woodward, in dem Trump zugab, die Gefahr absichtlich heruntergespielt zu haben. „Trump lied, people died“, skandieren seine Kritiker.

Und sie haben Recht. Trumps frühe Prognosen, das Virus verschwinde von alleine – „Es wird weggehen, bleibt einfach ruhig, es wird weggehen“ -, seine Behauptung, die Entwicklung eines Impfstoffes stehe kurz bevor, sein Vorschlag, Desinfektionsmittel in die Körper infizierter Personen zu injizieren: Das alles ermutigte Coronaleugner, vergrößerte das Chaos, verschlimmerte die Lage.

Ausbreitung von Covid-19 nicht streng kausal

Berechtigt aber ist auch die Frage, wie stark der negative Einfluss Trumps auf die Entwicklung der Pandemie in den USA war. Das zuständige „Center for Disease Control and Prevention“ (CDC) hat viel zu spät mit Testungen begonnen. Außerdem sind für die meisten Maßnahmen die einzelnen Bundesstaaten verantwortlich.

Doch vor allem die dramatische Entwicklung in Europa gibt Anlass zu der Befürchtung, dass sich die Ausbreitung von Covid-19 nicht streng kausal nach den Plänen linker oder rechter, sozialdemokratischer oder konservativer Politiker richtet.

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Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters am Freitag hat Europa inzwischen 247.000 Corona-Tote zu beklagen (228.000 in den USA). Täglich verzeichnet Europa mehr Neuinfektionen als Indien, Brasilien und die USA zusammen. Vier der fünf bevölkerungsreichsten europäischen Länder – Großbritannien, Spanien, Frankreich, Italien – haben eine höhere Sterberate als die USA.

Schadenfreude ist fehl am Platz

Allerdings wird Europa in dieser Statistik als Region berechnet (European Economic Area) und umfasst alle EU-Mitgliedsstaaten plus Norwegen, Island, Liechtenstein und Großbritannien. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die zu Europa zusätzlich noch Russland und die Ukraine zählt, kam für den Kontinent vor wenigen Tagen gar auf 255.000 Corona-Tote.

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Vor europäischer Hybris gegenüber Trumps Coronapolitik sei daher gewarnt. Als der US-Präsident, wie vor ihm der britische Premier Boris Johnson, selber positiv auf Covid-19 getestet wurde, reflektierten einige Beobachter noch süffisant über den Begriff der Schadenfreude.

Doch spätestens seitdem der Bundespräsident in Quarantäne gehen musste, Gesundheitsminister Jens Spahn sich infiziert hat und die täglichen Infektionszahlen europaweit nach oben schnellen, sollte der anklagende Fingerzeig über den großen Teich beendet werden.

Oder glaubt irgendjemand, dass unter einem Präsidenten Biden das Virus entscheidend hätte eingedämmt werden können?

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