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Promenieren mit oder ohne Maske, und darf man überhaupt auf Sylt sein? Lauter Fragen, lauter Herausforderungen.

© dpa

Corona erfordert Mitmachbürger: Es reicht nicht mehr, sich verwalten zu lassen

Es wird unbequemer: Selbstvorsorge statt Vater Staat und Hotel Mama. Der Sinneswandel ist fällig – auch, wenn niemand Lust dazu hat. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Wissen alle, was aktuell an der Virusfront gilt? Wer wann wen treffen darf und wo? Wer mit welchen Belegen wohin reisen darf und wann? Wer wo Maske tragen muss? Wie viele Neuinfektionen es im eigenen Bezirk gibt und in dem nebenan? 

Die Nachrichtenlage ändert sich dauernd, es ist verwirrend. Wer träumte da nicht schon mal, die Regierung würde der Bevölkerung neben der Corona-App auch ein Corona-Sekretariat zur Seite zu stellen?

Die Viruskrise ist zur mentalen Belastung geworden. Dauernd muss man wachsam sein, etwas wissen, Wissen überprüfen. Es ist ein ganz neues Bild der viel zitierten Informationsgesellschaft entstanden: Informationen nicht als Chance und Zugabe. Sondern als lästige Pflicht.

Das ist neu. Über lange Jahre hatte man es sich in diesem ordentlich geführten Land recht gemütlich machen können. Irgendwer regelte, was zu regeln war. Den Anderen war’s mehr oder minder recht oder egal. Aber dieser Empfängermodus reicht nicht mehr. Da passt es schon, wenn der Bundespräsident anlässlich von Corona für Montag zur Diskussion ins Schloss Bellevue einlädt und fragt: „Wie geht es unserer Demokratie?“

Es nervt

Ja, wie geht es ihr? Wahrscheinlich hat sie schlechte Laune. Es nervt, dass alle zum Mitmachen aufgefordert sind, dass es keine einfachen Antworten gibt, keine geeigneten Sündenböcke, und dass das Thema nicht aufhört.

Es ist nicht das erste Mal, dass Menschen in Deutschland zu spüren bekommen, dass Sich-verwalten-lassen keine Antwort mehr ist auf die aktuelle Lage. Aber diesmal ist es bedeutsamer als zuvor, dass das Bürgersein als Aufforderung zum informierten und disziplinierten Mittun verstanden wird.

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Selbstfürsorge statt von Vater Staat und Hotel Mama Fürsorglichkeit erwarten muss gelernt werden. Oder mit JFK: Nicht fragen, was das Land für einen tun kann, sondern selbst Unterstützung anbieten. Solches Denken ist hierzulande bisher nicht die stärkste Disziplin.

Lähmende Aussicht auf mehr Verantwortung

Entsprechend wenig Vorbildliches findet der Blick zurück auf Vorläuferkonstellationen. Als beispielsweise Zweifel an der Tragfähigkeit des einst topsicheren umlagefinanzierten Rentensystems aufkamen, wurden die Menschen in Richtung finanzielle Selbstvorsorge gestupst. 

Sie mögen sich bitte selbst mehr als zuvor mit Finanzfragen beschäftigen, sich privat versichern, nach Aktienpaketen umschauen, Immobilien oder sonstiges kaufen, was für Geld im Alter sorgen könnte.

Eine feurige Reaktion à la „klar, verstanden, machen wir“ blieb aus. Die Deutschen gelten bis heute als Aktienmuffel, und viele Immobilienkäufe gehen auf die Konten ausländischer Investoren. Hat die Aussicht auf mehr Selbstverantwortung eher gelähmt als motiviert? Das Herauszufinden würde sich lohnen.

Auch der "mündige Patient" ist eher Theorie

Auch das 2013 ausgerufene Konzept vom „mündigen Patienten“, der vernünftig und therapietreu an seiner Gesundwerdung mitarbeitet, ist vor allem in der Theorie überzeugend. In der Praxis geben viele Kranke den Heilungsauftrag weiterhin lieber an die Mediziner ab.

Solches Wegducken oder die Vogel-Strauß-Taktik wie bei der Rente, bis zu deren Eintritt ja vielleicht noch ein Wunder geschieht, funktionieren bei Corona nicht. Die Selbstverantwortlichkeit im Dienst des Ganzen ist auf der Stelle erforderlich. Eine funktionierende Bildungsmethode heißt Learning by Doing. Also los! Und wer weiß, was für Dynamiken sich daraus für später noch ergeben.

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