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Christian Lindner, FDP-Parteichef, und Christian Lindner, FDP-Spitzenkandidat

© Sebastian Kahnert/dpa

Comeback mit Christian Lindner: Wie regierungsfähig ist die FDP?

Einer Koalition könnte sich die FDP schlecht verweigern, obwohl sie kaum erfahrene Politiker aufbieten kann. Wie wird sie sich im Bundestag präsentieren?

Von Antje Sirleschtov

Aus der Apo direkt auf die Regierungsbank? Dieses ungewöhnliche Schicksal könnte die FDP in zwei Wochen ereilen. Denn je näher der Wahltag rückt, umso deutlicher zeichnet sich ab, dass es im nächsten Bundestag nur zwei Koalitionsoptionen gibt: die große Koalition und ein Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und den Liberalen.

Will Christian Lindner überhaupt regieren?

Bevor nicht das letzte Wahllokal am 24. September geschlossen wird, verbietet der FDP-Vorsitzende sich selbst und seinen Mitstreitern auf diese Frage ein „Ja“. Zu groß ist die Sorge, Wähler mit hochmütig wirkenden Botschaften noch zu verprellen. Denn trotz neuer Gesichter und neuer Farben, die sich die FDP nach ihrem Rauswurf aus dem Bundestag 2013 gegeben hat, lebt im politischen Gedächtnis noch die Erinnerung an die Partei des Guido Westerwelle: Arrogant im Auftritt, am Ende aber weniger an der Umsetzung ihres Wahlprogrammes als an Posten und Pöstchen interessiert. „Demut“ ist deshalb eines der Worte, die der FDP-Vorsitzende gebetsmühlenartig wiederholt.

Gleichzeitig beteuert er, dass er sich eine Koalition mit den Grünen nicht vorstellen könne, ihm die „Fantasie“ dafür fehle, wie liberale Wahlversprechen mit Union und Grünen eingelöst werden können. Aber im Grunde ist es klar: Verweigern wird sich Lindner Sondierungs- und auch Koalitionsgesprächen nicht. Dafür steckt zu viel Gestaltungsanspruch in der Geschichte seiner Partei, die jahrzehntelang Deutschland mitregiert hat. Und auch zu viel Machtbewusstsein in ihm selbst. Schließlich wird es Lindner wohl gelingen, eine Partei nach vier Jahren in den Bundestag zurückzubringen, die am Boden lag, als er sie übernahm. Da wird er nicht vor dem noch viel dickeren Coup zurückschrecken: Die FDP aus der außerparlamentarischen Opposition direkt in die Regierung zu beamen.

Wie viel Kompetenz steckt in der neuen FDP?

Bestätigen sich aktuelle Umfragen, wird die FDP mit rund 60 Abgeordneten in den Bundestag einziehen. Rund zwei Drittel derer, die auf aussichtsreichen Listenplätzen stehen, haben das Plenum im Reichstag noch nie betreten. Sie sind Rechtsanwälte, Vermögensberater, Bürgermeister. Oft ist oder war ein Mandat im Stadtrat oder – wenn es hoch kommt – im Landtag ihre einzige politische Erfahrung.

Und auch von denen, die schon mal im Bundestag waren, können die allermeisten nur auf eine einzige Legislaturperiode zurückblicken. Sie kamen 2009, waren meist junge Hinterbänkler ohne viel Einfluss in der Fraktion und schieden 2013 aus. Eine Fraktion der Neulinge würde also entstehen – sieht man vom Parteichef selbst, dem Haushaltspolitiker Otto Fricke oder dem 76-jährigen Urgestein Hermann Otto Solms ab.

Neben den Wenigen mit Erfahrung in Berlin werden zwar Landespolitiker wie Wolfgang Kubicki, Katja Suding, Johannes Vogel oder die Generalsekretärin Nicola Beer im Bundestag sein. Auch dem Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff ist das Geschäft aus dem Europaparlament bekannt. Dennoch wird der Kreis derer, die die parlamentarische Arbeit zunächst in die Hand nehmen und womöglich Koalitionsverhandlungen führen müssen, sehr überschaubar sein – zu groß der Aufwand, den vielen Greenhorns erst zu erklären, wo es langgeht und worauf man zu achten hat. Und viel zu groß auch die Gefahr, dass aus Unerfahrenheit Fehler gemacht werden, die die Lindner-FDP schon wenige Wochen nach ihrem Wiedereinzug ins Parlament als Laien-Truppe entlarven und Erinnerungen an die „Gurkentruppe“ von 2010 wach werden lassen würden.

„Das wird alles andere als leicht“, heißt es mit Blick auf die Übermacht von CDU/CSU und der parlamentarisch eingespielten Grünen- Fraktion. Mancher erinnert sich jetzt wieder mit Grausen daran, wie Westerwelle im Winter 2009 zwar mit stolzgeschwellter Brust als Außenminister aus den Verhandlungen kam, liberale Kernforderungen im Koalitionsvertrag jedoch mit der Lupe gesucht werden mussten. „Das darf uns nicht noch einmal passieren“, versprechen sich die FDP-Leute gegenseitig. Wenn der Wiedereinzug in den Bundestag kein Strohfeuer für eine Legislaturperiode bleiben soll, müssen diesmal FDP-Inhalte im Vertrag stehen. „Sonst auf jeden Fall Opposition“, schwört sich die Truppe. Und der Chef selbst beugt Wähler-Frustration schon mal vor, indem er eine Regierungsbeteiligung selbst für den (unwahrscheinlichen) Fall einer schwarz-gelben Koalition infrage stellt, wenn sich liberale Kernforderungen nicht umsetzen lassen. Die Botschaft dahinter: Angela Merkel (CDU) muss einen hohen Preis für eine Koalition zahlen. Sonst macht die FDP nicht mit.

Welche Liberalen könnten Minister werden?

Von Lindner heißt es, er wolle neben dem Amt des Parteichefs auch die Fraktion führen. Das sichere ihm die Chance, in einer Koalition immer wieder Druck auf die Partner auszuüben, ohne sich der Kabinettsdisziplin unterordnen zu müssen. Doch ist ein solches Szenario eher wenig realistisch. Kommt es zu einer Jamaika-Koalition, wird der wichtigste Liberale das Amt eine Vizekanzlers beanspruchen müssen. Wer auch sonst?

Das Außenamt fällt übrigens aus, das schwören sich die Spitzenliberalen. Allein wegen der Westerwelle-Story. Womöglich wird die FDP aus Gründen der Selbstachtung aber auf das Finanzministerium bestehen müssen. Schließlich leiden sie noch immer darunter, dass sie Merkels Kassenwart Wolfgang Schäuble (CDU) in der letzten gemeinsamen Koalition in Wort und Tat gedemütigt und jede noch so kleine Steuersenkungsidee zerstört hat. „Schäuble muss weg“, lautet der interne Schlachtruf. Lindner wäre dann die einzig denkbare liberale Besetzung für das mächtige Ressort.

Aber auch über ein neues Super-Ministerium aus Wirtschaft und Arbeit für ihn wird schon gesprochen. Wolfgang Kubicki jedenfalls trauen die eigenen Leute die Vizekanzlerschaft eher nicht zu, dafür aber das Justizressort. Altvater Solms will unter Hinweis auf sein Alter auf keinen Fall irgendein Amt, heißt es. Otto Fricke, Mitte 50, könnte mindestens Staatssekretär werden. Hinter vorgehaltener Hand werden Nicola Beer, aber auch Karl-Heinz Paqué oder dem Wirtschafts- und Energiefachmann Stefan Kapferer Regierungsämter zugetraut.

Größter Zielkonflikt: Wenn zu viele erfahrene Parlamentarier in die Regierung gehen, droht wegen des Übermaßes an Neulingen in der Fraktion ungeordnetes Chaos. Noch so eine traumatische Erfahrung aus der letzten Partnerschaft mit der Union. Marco Buschmann, Lindners engster Vertrauter im Wahlkampf und als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer gesetzt, soll den Laden zusammenhalten. Außer in seinem Fall, sagen die FDP-Leute, habe man noch keinerlei konkrete Planung für Fach- oder Funktionsaufteilung.

Woher bekommt die FDP Personal?

Spätestens seit die Umfragewerte der Liberalen auf einen Wiedereinzug ins Parlament hindeuten, wittern landauf landab Politikinteressierte offenbar Karrierechancen. „Bewerbungen zuhauf“ seien inzwischen bei der FDP eingegangen, berichten mit dem Fraktionsaufbau Betraute. Außerdem hätten sich ehemalige Referenten und wissenschaftliche Mitarbeiter gemeldet, die 2013 entlassen werden mussten und meistens in politiknahen Jobs untergekommen sind.

Quasi direkt nach dem Wahlabend müssen die ersten Mitarbeiter bereitstehen. Es gilt, Papiere zu verfassen, Gespräche vorzubereiten. Koalitionsverhandlungen binden beachtliche Personalzahlen. Und weil es natürlich noch keine Räume gibt für die FDP-Abgeordneten und ihre künftigen Mitarbeiter – das wird erfahrungsgemäß Monate dauern –, werden in der Parteizentrale in der Reinhardstraße größere Konferenzräume angemietet, die zu Großraumbüros ausgebaut als Schaltzentralen genutzt werden sollen. Entweder, um die Oppositionsarbeit vorzubereiten, oder aber, um aus dem Stand in Koalitionsverhandlungen gehen zu können.

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