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Wer nimmt den Bürger die Furcht vor zu schneller und zu teurer Veränderung? Die Kanzlerkandidaten Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz.

© Christian Mang/REUTERS

CO-2-Abgabe und Klimageld in den Wahlprogrammen: Was kosten Strom, Fleisch, Heizung, Auto? – Das ist die neue soziale Frage

Deutschland steht noch ganz am Anfang der Verteilungskämpfe, die auf den höheren CO-2-Preis folgen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

„Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ dichtete Bertolt Brecht 1928 in der „Dreigroschenoper“. Der Wahlkampf 2021 bringt den Konflikt 93 Jahre später zurück, samt der sozialen Sprengkraft, die in ihm steckt: Werden eine warme Wohnung und Fleisch auf dem Tisch wieder zu einer Frage des Portemonnaies?

Die soziale Marktwirtschaft schien ihn befriedet zu haben. Im ausgehenden 20. Jahrhundert reichten die Haushaltseinkommen breiter Schichten für warme Eigenheime, Autos, Urlaubsreisen und Wohlstandsbäuche. Individuelle Mobilität war so preiswert, dass man im Eigenheim fern des Arbeitsplatzes wohnen und pendeln konnte.

Wegen der Klimakrise sind sich die meisten Parteien nun einig: Lebensgewohnheiten und Konsum, die mit Emissionen verbunden ist, müssen teurer werden. Viel teurer. Rein freiwillig verringern die meisten Bürger ihre CO-2-Abdrücke nicht so schnell.

Erst soll der Preis weh tun, dann doch wieder nicht

Kaum haben die Politiker die Absicht ausgesprochen – Autofahren, Heizung, Strom, Fleisch und Urlaubsreisen sollen mehr kosten -, packt sie die Angst vor den Wählern. Die Preissteigerungen sollen weh tun, damit Bürger ihr Verhalten ändern? Das war gestern. Jetzt versprechen die meisten Parteien einen finanziellen Ausgleich. Was macht das mit der erhofften Lenkungswirkung, wenn der finanzielle Schmerz gleich wieder genommen wird?

Auch an der Nachhaltigkeit der laut beklatschten Entscheidung von Aldi, Billigfleisch demnächst aus dem Sortiment zu nehmen, darf man zweifeln. Freiwillig greifen bisher nur zehn Prozent zu den teureren Alternativen mit Gütesiegel. Selbst wenn fast alle deutschen Discounter das Gleiche täten, verschwindet die Nachfrage nicht. Dann werden eben andere sie bedienen. Verbieten kann man das im EU-Binnenmarkt nicht.

Bürgergeld: Lösung eines Problems, das die Politik geschaffen hat

Wahlkämpfe sind Zeiten unseriöser Zuspitzungen, unseriöser Vereinfachungen und gesteigerten Misstrauens der Wähler. Die Debatte über die soziale Seite der Klimapolitik verschiebt die Wahrnehmungen des Staats und der Parteien. Die Kräfte links der Mitte haben die Sprengkraft erkannt – aber der von ihnen vorgeschlagene Finanzausgleich scheint weder den Sozialdemokraten noch den Grünen zu helfen.

Die CO-2-Abgabe macht Autofahren, Reisen und Heizen deutlich teurer. Wer sich mit kleineren Lösungen begnügt, spart.
Die CO-2-Abgabe macht Autofahren, Reisen und Heizen deutlich teurer. Wer sich mit kleineren Lösungen begnügt, spart.

© Julian Stratenschulte/dpa

In den Kämpfen des 20. Jahrhunderts galt die SPD als Kraft, die soziale Ungerechtigkeit durch Reformen lindert. 2021 bieten SPD und Grüne aus Sicht der sozial Schwachen Lösungen für ein Problem an, das sie durch ihre Klimapolitik erst geschaffen haben.

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So treibt die neue soziale Frage paradoxerweise den Kräften Wähler zu, die traditionell nicht als Sachwalter der Ärmeren gelten: der Union, die auch einen Ausgleich verspricht, aber vor allem den Anschein erweckt, als werde es mit ihr schon nicht so hart kommen. Und der AfD, die den Klimawandel ignoriert.

Weniger Klassenkampf und mehr Pragmatismus täten gut

Essen, Wohnen, Verkehr: Der Streit, ob die höheren Heizkosten durch die CO-2-Steuer vom Mieter zu tragen sind oder von Vermieter und Mieter gemeinsam, gibt eine Ahnung, dass Deutschland noch ganz am Anfang der Verteilungskämpfe steht, die aus der Klimapolitik folgen.

Weniger Klassenkampf und mehr Pragmatismus täten gut. Oft ist zu hören, Reiche verursachten mehr Emissionen als Arme. Die Studien argumentieren, dass Reiche größere Wohnungen haben, mehr reisen etc. Das stimmt. Doch wer genug Geld hat,gehört meist zu den "Early Adopters" neuer Technologien, fährt ein neueres, schadstoffärmeres Auto, hat Haushaltsgeräte, die weniger Strom fressen, investiert in energetische Sanierung.

Da wären aktuelle repräsentative Daten hilfreich. Die letzte größere Studie des Umweltbundesamtes stammt von 2016.

Das Klimageld an Beratung knüpfen, wie man den Verbrauch senkt

Die Erkenntnis aus dem Selbstversuch: Das Einsparpotenzial ist enorm. Nach der Rückkehr aus den USA mit ihrem 110-Volt-Netz nach Berlin mussten wir alle elektrischen Verbraucher von Beleuchtung über Haushaltsgeräte bis Unterhaltungselektronik neu kaufen. Bei der ersten Stromabrechnung stellte sich heraus, dass wir nur halb so viel verbrauchen, wie der Anbieter aufgrund der deutschen Durchschnittswerte bei unserer Wohnungs- und Familiengröße geschätzt hatte.

Der CO-2-Abdruck wird nicht automatisch geringer, wenn der Staat ärmeren Menschen das Geld, das er ihnen aus der einen Tasche zieht, in die andere steckt. Das Klimageld wäre besser investiert, wenn es mit einer Beratung verbunden ist, wie man es in die Verringerung des Verbauchs investieren kann. Das hilft dem Portemonnaie und dem Klima.

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