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Christopher Lauer war Mitglied der Piratenpartei und von 2011 bis 2016 Mitglied des Abgeordnetenhauses. 2016 trat er der SPD bei. Im Februar zog er sich aus der Politik zurück.

© Mike Wolff

Christopher Lauer: Warum Facebook verstaatlicht werden muss

Der Datenskandal um Facebook macht deutlich, was bei dem Social-Media-Dienst falsch läuft. Es reicht aber nicht, die Symptome zu bekämpfen. Ein Gastbeitrag.

Daten, so heißt es oft, seien das Rohöl des 21. Jahrhunderts. Wenn man diesen Ausspruch ernst nimmt, erleben wir grade ein digitales Deepwater Horizon, eine in dieser Form noch nicht da gewesene digitale Ölkatastrophe, schlussendlich ein Beispiel dafür, welche Schäden der entfesselte und unkontrollierte Überwachungskapitalismus anzurichten im Stande ist.

Was ist passiert? Die dubiose Firma Cambridge Analytica nutzte die Datensätze von etwa 50 Millionen Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern, um psychologische Profile zu erstellen, die wiederum für gezielte Werbung im US-Wahlkampf genutzt wurden. Die Firma behauptet, mit ihrer Methode zielgenau Personen beeinflussen zu können. Ob das stimmt, sei an dieser Stelle dahingestellt, aber es zeigt, vor welcher Herausforderung die Politik weltweit steht, falls sie der Meinung sein sollte, dass man ein solches Treiben ordnungspolitisch einfangen sollte.

Wobei es schon verwunderlich ist, dass der Aufschrei erst jetzt kommt, denn das, was Cambridge Analytica tut oder zumindest behauptet zu tun, ist nichts anderes, als das Geschäftsmodell von Facebook selbst: Daten seiner Nutzerinnen und Nutzer abzugreifen, um zielgerichtete Werbung auszuspielen. Mit Facebook ist über die vergangenen 13 Jahre eine Firma entstanden, die es in dieser Form in der Menschheitsgeschichte noch nie gab: ein weltweit umspannendes Kommunikationsnetzwerk, ein digitales Adressbuch, ein sozialer Raum, aber auch ein Medium, über das sich Nutzerinnen und Nutzer eben nicht nur darüber informieren, was bei ihren Freunden und bekannten passiert, sondern in ihrem Umfeld, in der Welt. Laut einer Pew-Research-Studie aus 2017 nutzen 45 Prozent der US-Amerikanerinnen und Amerikaner Facebook als Nachrichtenseite, und wiederum 50 Prozent dieser Gruppe nutzen Facebook als einzige Nachrichtenquelle. Weitere 30 Prozent dieser Gruppe nutzen noch eine weitere Seite neben Facebook für Nachrichten, die restlichen 20 Prozent nutzen zwei weitere Seiten neben Facebook für Nachrichten.

Der Computer entscheidet

Dabei darf nicht vergessen werden, dass Facebook die den Nutzerinnen und Nutzern angezeigten Posts durch einen Algorithmus auswählt, das heißt man bekommt nicht alles zu sehen, sondern das, was ein Computerprogramm auswählt. Es wird vor allem das angezeigt, was den Freunden und einem selbst in der Vergangenheit gefiel. Der Effekt: Man bekommt die eigene Weltsicht bestätigt und wähnt sich selbst in der Mehrheit, weil alle Freunde auf Facebook dasselbe mögen. So sagten 47 Prozent derjenigen, die sich selbst als „konsistent konservativ“ bezeichnen laut einer Pew-Studie aus dem Jahr 2014, dass Posts in ihrer Timeline immer oder meistens ihren eigenen politischen Ansichten entsprechen würden. Da verwundert es nicht, dass die politische Polarisierung in den USA seit 2004 rapide zugenommen hat.

Durch diese Polarisierung der Gesellschaft, die wir auch in Deutschland spüren, gefährdet Facebook schlussendlich die Demokratie. Denn es war immer Grundlage einer demokratischen Gesellschaft, den Kompromiss zu suchen, sich darüber im Klaren zu sein, dass man nicht alleine ist. Es ist Grundlage der demokratischen Gesellschaft, dass die Gemeinschaft über den Weg der Politik einen demokratischen und gesamtgesellschaftlichen Ausgleich spezifischer Partikularinteressen herbeiführt. Facebook ist dafür verantwortlich, wie sich für seine Nutzerinnen und Nutzer die Realität darstellt. Es wird dieser Verantwortung in keiner Weise gerecht. Wer vielen Accounts der politischen Rechten folgt, könnte der Meinung sein, Deutschland stehe kurz vor dem Untergang, wer ein normales Umfeld hat, bekommt hiervon nichts mit. Facebook stellte sich immer auf den Standpunkt, es sei ja kein Mensch, der die angezeigten Nachrichten aussuche, man könne das ja nicht beeinflussen. Das ist natürlich eine Schutzbehauptung. Ob ein Mensch die Nachrichten aussucht oder ein von einem Menschen programmiertes Computerprogramm, macht für den Konsumenten der Nachrichten keinen Unterschied. Absolut eindeutig ist es, wenn Firmen wie Cambridge Analytica versuchen, Menschen aufgrund eines erstellten psychologischen Profils gezielt zu beeinflussen. Dann stellt Facebook seine Infrastruktur und seine gesammelten Daten für politische Propaganda zur Verfügung, um Wahlen in einer noch nie da gewesenen Form zu beeinflussen.

Demokratische Kontrolle

Jetzt könnte man sich viele Gedanken darüber machen, wie man das alles kleinteilig reguliert. Es gibt dafür Ansätze im Medienkonzentrationsrecht, oder in der Demokratisierung der Medien nach dem Zweiten Weltkrieg, geboren aus der Erfahrung, dass Massenmedien in den Händen eines totalitären Regimes zur Waffe werden. Man könnte höhere Geldstrafen für Verstöße gegen den Datenschutz einführen, man könnte mit Sicherheit vieles tun. Man könnte sich aber auch dem Problem nähern und fundamental Facebooks Existenzberechtigung als privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen in Frage stellen. Denn Facebook zu regulieren ist nur Symptom-Bekämpfung. Die eigentliche, viel interessantere Frage ist, wie ein Gebilde wie Facebook verstaatlicht und unter demokratische Aufsicht gestellt werden kann. Denn erst durch die kapitalistische Verwertungslogik entsteht für Facebook der Zwang, Daten so zu verarbeiten wie es getan wird. Erst durch den Zwang, Gewinn erwirtschaften zu müssen, werden Daten überhaupt erst zur Ware. Erst durch diesen Zwang, stellt Facebook die gesammelten Daten politischen Kampagnen zur Verfügung, um damit gezielte Wählerbeeinflussung betreiben zu können. Es ist bezeichnend, dass Facebook die Daten seiner Kundinnen und Kunden dabei für wertvoller hält, als ein wie auch immer zu entrichtender Betrag, den man ja ohne weiteres zahlen könnte, um Facebook im Abonnement werbefrei zu nutzen.

Wäre Facebook oder ein Dienst wie Facebook eine staatliche Infrastruktur, so wie ein Straßen-, Schienen- oder Telefonnetz, würden all diese Notwendigkeiten wegfallen. Denn der Staat stellt die Infrastruktur nicht aus Gewinnstreben, sondern für die Daseinsvorsorge zur Verfügung. Natürlich ist der Staat nicht perfekt, natürlich will auch ich keinen Staat, der Daten uneingeschränkt Sicherheitsbehörden zur Verfügung stellt, aber das Verhältnis einer solchen Plattform zum Staat kann gesetzlich geregelt werden. Viel wichtiger: Es gäbe immer eine demokratische Kontrolle durch Politik und Parlamente. Es gäbe eine demokratische Debatte darüber, welche Regeln auf einer solchen Plattform gelten sollen. Das ist deutlich besser, als eine Plattform, die demokratische Grundsätze aushöhlt und seine Nutzerinnen und Nutzer meistbietend verkauft.

Der Autor gehörte von 2009 bis 2014 der Piratenpartei an, von 2011 bis 2016 war er Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, 2016 wurde er Mitglied der SPD, im Februar dieses Jahres gab er seinen Rückzug aus der Politik bekannt.

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