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Angela Merkel, CDU-Chefin und Bundeskanzlerin.

© Tobias Schwarz/AFP

Christdemokraten: Merkel zwingt ihre CDU zur Neuaufstellung

Angela Merkels Verzicht auf den Parteivorsitz erwischt die CDU-Spitze erst einmal kalt. Die Kanzlerin bricht mit ihrem Dogma. Wie es dazu kam.

Von Robert Birnbaum

Souverän den Notausgang zu nehmen ist keine leichte Übung, vor allem, wenn es drinnen gerade brennt. „Ich habe mir immer gewünscht, meine staatspolitischen und parteipolitischen Ämter in Würde zu tragen und in Würde zu verlassen“, sagt Angela Merkel. Sie steht im leuchtend violetten Blazer im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses. An der gleichen Stelle hat sie vor fast genau zwei Jahren ihre vierte Kanzlerkandidatur angekündigt. Das sollte noch mal ein Aufbruch werden; jetzt läutet sie ein Ende ein. Nach 18 Jahren an der Parteispitze gibt Angela Merkel den Vorsitz der CDU ab. Kanzlerin will sie bleiben, so lange es diese Regierung noch gibt. Neben ihr steht Volker Bouffier, zieht ein Gesicht wie Regenwetter und spricht aus, was an diesem Montag viele denken: „Das ist eine tiefe Zäsur für die CDU Deutschlands.“

Die Neuigkeit hat die Parteispitze am Montag kalt erwischt. Günther Oettinger stellt sich in der Früh auf einen dieser Tage nach einer Wahl ein, wie ihn die Parteiführung inzwischen hinlänglich kennt: Der Niederlage in Hessen folgt auf kurzes Bedauern das Betrachten des Tröstlichen – Bouffier kann als Ministerpräsident weitermachen – und dann die Tagesordnung.

So war das immer. So hätte es bleiben können. In einer Schaltkonferenz mit den Landesverbänden am Morgen lautete der einhellige Tenor: Es hätte schlimmer kommen können. Oettinger also sagt, was man eben immer sagt an solchen Tagen. Nein, von Ämtertrennung halt er überhaupt nichts; Europa brauche eine starke deutsche Regierungschefin, und „der Parteivorsitz ist eine hervorragende Ergänzung“.

Erstarrte Mienen

Eine Viertelstunde später weiß auch der EU-Kommissar: Galt bis grade – ist jetzt falsch. Merkel lässt die Bombe im Parteipräsidium platzen. Die oben dabei waren, erzählen von erstarrten Mienen und offenen Mündern. Unten trudeln die Mitglieder des erweiterten Vorstands ein und staunen nicht weniger über die Meldungen, die sie alle auf ihren Smartphones lesen. Doch in das Staunen mischen sich zwei eigentlich recht gegensätzliche Empfindungen – Erleichterung und Bewunderung. „Das hätte die Partei auch nicht mehr ausgehalten“, atmet ein Vorständler aus dem Südwesten auf. Kurz darauf huscht Norbert Lammert ins Foyer und strahlt. Merkel, sagt der langjährige Bundestagspräsident, habe immer wieder einen ausgeprägten, sicheren Instinkt für Situationen bewiesen. Dass sie jetzt nicht auf Zuruf Dritter handele, sondern aus eigenem Antrieb – „souverän!“

Wirklich souverän? Am Ende beurteilen können das vermutlich nur Merkel selbst und ein paar ganz enge Vertraute. Nicht einmal Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer war im Bild. Die hatte noch am Wahlabend bekräftigt, dass Merkel beim Parteitag in Hamburg Anfang Dezember antreten wolle und sie „bis zur Stunde“ keine gegenteiligen Signale habe. Stimmt, sagt Merkel, hatte sie nicht: Es gebe Entscheidungen, über die rede man besser vorher nicht.

Aber getragen damit habe sie sich schon lange, angefangen vor den Sommerferien. Das war die Zeit, als Horst Seehofer ihr den nächsten der vielen Flüchtlingsstreite aufgedrängt, die Fraktion fast gespalten und sie mit der Richtlinienkompetenz gedroht hatte. Gut verständlich, wenn man danach die Nase voll hat. Aber das, versichert Merkel, sei überhaupt nicht der Auslöser gewesen. „Mir geht es um etwas anderes.“ Sich selbst auf die Regierung konzentrieren und zugleich der CDU ein „neues Kapitel“ eröffnen: „Weil ich möchte, dass meine Partei Freiraum bekommt, um sich auf die Zukunft einzustellen.“

Die Zeit ohne sie nämlich, wenn auch zeitweise immer noch mit ihr. In der Parteizentrale können sie ja demnächst ihr Foto in die Ahnengalerie hängen. Das traditionelle Gemälde im Kanzleramt soll noch warten müssen. Unter den Experimenten, die Angela Merkel der CDU in diesen 18 Jahren unterzogen hat, könnte dies leicht das abenteuerlichste werden.

Bis zu diesem Tag galt das erste Merkelsche Dogma, dass ein Regierungschef ohne den Parteivorsitz bloß noch im luftleeren Raum schwebt. Vorgänger Gerhard Schröder war ihr abschreckendes Beispiel. Vor vier Wochen bei einer Veranstaltung der „Augsburger Allgemeinen“ hat sie ihr Dogma bekräftigt, was dann zu der Nachricht führte, Merkel habe ihre Kandidatur für den Parteivorsitz angekündigt. Heute räumt sie ein, dass der Satz ein Versuch war, der direkten Notlüge auszuweichen. Im Grunde gelte das Prinzip der Ämter in einer Hand weiter: „Wenn ich 2021 noch einmal wollen würde“, sagt sie, hätte sie niemals verzichtet. Aber nach dieser vierten Amtszeit sei für sie Schluss. Darum könne man jetzt ausnahmsweise das Kanzleramt vom Parteivorsitz trennen. Trotzdem: „Das ist ein Wagnis, keine Frage.“

Vor allem kommt es aber mal wieder allen zuvor. Der alte Europa-Haudegen Elmar Brok meint zwar, wenn sie es darauf angelegt hätte, wäre sie in Hamburg wieder gewählt worden; und er steht damit nicht allein. Aber mit der Frage, ob sie nicht inzwischen der eigenen Partei mehr schadet als nutzt, hatte sich Merkel schon vor ihrer vierten Kandidatur herumgeplagt. So viel Geschichte hängt inzwischen an ihr, so viel alter Groll, so viele „Merkel muss weg“-Rufe aus wutverzerrten AfD-Gesichtern. Sie schüttelt unwillig den Kopf, als jemand nachfragt, ob sie jetzt diesen Leuten nachgebe – nein! Aber dass die kommenden Wahlen, vor allem die in den ostdeutschen Ländern, wieder und wieder zur Abrechnung mit der „Flüchtlingskanzlerin“ zu werden drohten, ist ja unübersehbar. Nicht zufällig freuen sich Leute wie der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer oder Brandenburgs CDU-Chef Ingo Senftleben über den Schritt. „Es spricht für sie“, sagt Kretschmer. Die richtige Entscheidung, sagt Senftleben. „Respekt“, sagt der Thüringer Mike Mohring.

Wer kommt?

Die nächsten Wahlniederlagen vor Augen, dazu das deutliche Signal aus der Fraktion, die den unverbrauchten Ralph Brinkhaus dem alten Recken Volker Kauder vorzog – Gründe genug zum Nachdenken. Als Merkel neulich in Kiel bei der Jungen Union war, konnte sie das gleiche Signal spüren. Die Jungen sind die Konflikte und Streitereien der Alten leid. Wehrpflicht, Atomausstieg, die Flüchtlingsentscheidungen 2015, alles zum sechsten Mal – nein danke! Zuletzt stieg auch noch der Druck. Ursprünglich wollte Merkel ihre Entscheidung bei der Vorstandsklausur am nächsten Wochenende verkünden. Aber nach Bayern, jetzt nach Hessen, nach dem Marsch der Grünen auf das Niveau einer Volkspartei – für den selbstbestimmten Ausstieg wurde die Zeit knapp.

Jetzt ist er also da – und wahrscheinlich auch wieder nicht jedem recht. Horst Seehofer zum Beispiel, am Montag zur Besichtigung eines „Anker“-Zentrums für Asylbewerber an der Saar, findet die Abdankung „schade“. Gedacht haben dürfte er Deftigeres, als ihn Merkel am Morgen ins Bild setzte. Für Seehofer ist es nach dem Desaster in Bayern ohnehin eng geworden. Jetzt setzt ihm ausgerechnet die alte Rivalin auch noch ein Vorbild vor die Nase. Die CDU-Chefin macht den Weg frei für einen Neuanfang, aber der CSU-Chef, der ihr drei Jahre lang einen selbstzerstörerischen Konflikt geliefert hat – der bleibt? Aus der CDU winken die Ersten mit dem Zaunpfahl.

Doch die wichtigste Frage für die Christdemokraten lautet: Wer kommt? Einer hat sich prompt zu Wort melden lassen, kaum dass die Eilmeldungen über Merkels Entscheidung über die Tickerdrähte laufen. Friedrich Merz, verbreitet die „Bild“-Zeitung, stehe ausweislich seines Umfelds zur Kandidatur bereit. Merz? Der Mann, der vor grauen Zeiten im Kampf mit der jungen Merkel den Fraktionsvorsitz verlor und sich danach zornig ins Anwaltsgeschäft zurückzog? Ein Wiedergänger als Nachfolger?

Unter den Vorständlern im Foyer des Adenauer-Hauses macht sich höfliches Erstaunen breit. „Kandidieren kann ja jeder“, sagt Senftleben. Ein Parteichef müsse mit der Kanzlerin harmonieren, sagt ein anderer, „sonst wird es ja noch schlimmer“.

Drinnen im Vorstandssaal meldet erst Kramp-Karrenbauer ihre Bewerbung an, dann Jens Spahn. Beide sind logische Kandidaten. Trotzdem kommt es für sie sehr früh. Die Saarländerin wollte bis 2020 als Generalin mit einem neuen Grundsatzprogramm Profil gewinnen. Der Gesundheitsminister hat Fans unter den Konservativen, aber die zu begeistern reicht wahrscheinlich nicht. AKK ist noch zu viel Merkels jüngere Schwester, Spahn zu viel Merkels trotziger Enkel.

Aber jemand muss es machen. Mit ihrem Zug, sagt Lammert, habe Merkel der CDU nicht bloß den Weg für die Neuaufstellung geebnet – sie zwinge die Partei regelrecht dazu. Einmischen will sie sich nicht. Sie könne mit vielen zusammenarbeiten und werde jede Entscheidung respektieren. Und spätestens 2021 sei Schluss mit Politik. Aber was dann? Merkel lächelt nachsichtig. „Da hab’ ich jetzt keine Sorgen, dass mir nix einfällt.“

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