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Demonstranten in Hongkong gingen am Wochenende gegen das neue "Sicherungsgesetz" auf die Straße.

© Liau Chung Ren / ZUMA / imago images

Chinas Vorgehen gegen Hongkong: Die Freiheit von Hongkong verteidigen wie damals West-Berlin

Schweigen geht in diesem Systemwettbewerb nicht. Europa muss jetzt handeln – und kann drei Dinge tun! Ein Gastbeitrag

Johannes Vogel ist FDP-Bundestagsabgeordneter und FDP-Generalsekretär in Nordrhein-Westfalen sowie stellvertretender Vorsitzender der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe.

Die Augen der freien Welt müssen sich jetzt auf Hong Kong richten! Denn Peking scheint im Schatten der Corona-Krise ernst machen zu wollen: Die ehemalige britische Kronkolonie, der bis 2047 weitreichende vertraglich zugesicherte Autonomie zusteht, droht diese auf einem Umweg faktisch zu verlieren.

Ein neues "Sicherheitsgesetz" soll die juristische Eigenständigkeit Hongkongs aushebeln und es der Kommunistischen Partei Chinas ermöglichen, jeden ihr Unliebsamen für Anstiftung zu Separatismus, Verschwörung oder Verunglimpfung von Staatssymbolen verhaften zu können.

Peking will dieses Gesetz offenbar am Hongkonger Parlament vorbei in Kraft setzen und sogar eigene Sicherheitskräfte innerhalb Hongkongs aktiv werden lassen. Das wäre das faktische Ende vom Prinzip: "ein Land, zwei Systeme".

Die Rechtsstaatlichkeit droht weggespült zu werden

Im September soll in Hongkong gewählt werden. Das pekingtreue Lager hatte bei den Regionalwahlen im vergangenen November eine herbe Schlappe hinnehmen müssen: 17 der 18 Distrikte gingen an das Demokratie-Lager.

Damit sagten die Menschen in Hongkong nach Monaten von Protesten, an denen bis zu zwei Millionen Einwohner der Metropole teilnahmen, nein zu einem "Auslieferungsdekret", das politische Verfolgung aus Peking hätte einsickern lassen.

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Nun kann man das Sicherheitsgesetz aus Peking einen bewussten Dammbruch nennen, der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in der Stadt wegzuspülen droht.

Denn im April hat die Hongkonger Regierung auf Druck Pekings damit begonnen, prominente Demokraten zu kriminalisieren und zu verhaften. Darunter Martin Lee, der 81-jährige Jurist, der vor der Übergabe Hongkongs am Basic Law, dem Grundgesetz Hongkongs, mitgeschrieben hatte und in der Stadt als "Vater der Demokratie" verehrt wird.

Der prominente Mitautor des Hongkonger Grundgesetzes, Martin Lee, vor Gericht im Mai.
Der prominente Mitautor des Hongkonger Grundgesetzes, Martin Lee, vor Gericht im Mai.

© Anthony Wallace/AFP

Diese Verhaftungen hatten nicht nur massive Signalwirkung, sondern dienten auch dazu, den Verurteilten einen Listenplatz für die Wahl zu verweigern. Wir müssen daher leider davon ausgehen, dass die Kommunistischen Partei Chinas den Sonderstatus Hongkongs vollends schleifen will.

Wir befinden uns längst in einem neuen Systemwettbewerb

Der Exodus aus der Stadt hat bereits begonnen. Die Börse in Hongkong brach ein. Der Begriff „Auswanderung“ wurde viermal öfter als sonst online gesucht, nachdem die Berichte zum Sicherheitsgesetz an die Öffentlichkeit gelangten. Etliche Aktivisten sind ins benachbarte Taiwan geflohen.

Xi Jinping zeigt erneut, wie ernst es ihm mit seinem autoritativen Umbau des chinesischen Systems ist. Er verschärft damit den neuen Systemwettbewerb, in dem wir uns längst befinden.

Der Westen hat leider erst spät damit angefangen, diesen strategisch zu durchdenken.

Klar ist aber schon jetzt die Bedeutung, die Hongkong in diesem Wettbewerb einnimmt – vergleichbar mit West-Berlin in einem ganz anderen Systemwettbewerb im letzten Jahrhundert. Wem die Freiheit am Herzen liegt, dem kann Hongkong nicht egal sein. Es gilt nun der Satz Ernst Reuters: Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!

Wo bleibt der weltweite Schulterschluss?

Europa muss deshalb handeln – mit dem Ziel, die Pekinger Pläne doch noch abwenden oder zumindest abschwächen zu können. Dazu drei Punkte:

1)   Nicht schweigen! Die Europäische Kommission mit Präsidentin Ursula von der Leyen und die deutsche Bundesregierung mit Kanzlerin Merkel und Außenminister Maas müssen hier unmissverständlich Haltung zeigen. Gab es schon ein hartes, klares Statement zu den Pekinger Plänen?

Dafür ist es höchste Zeit – denn die Kommunistische Partei Chinas muss wissen, dass die Welt die Augen nicht verschließt, trotz Corona! Wo bleibt der Schulterschluss mit Australien, Kanada und Großbritannien, die sich umgehend gemeinsam geäußert haben?

China verständlich machen, dass seine Glaubwürdigkeit leidet

2)   Peking deutlich machen, was alles auf dem Spiel steht! Beim Umgang mit Hongkong wird auch eine Frage berührt, an der Peking auch im Wettbewerb mit freiheitlichen Systemen sehr wohl ein Interesse hat: die eigene Zuverlässigkeit auf der Weltbühne.

Wer in dieser zentralen Frage das eigene Wort und Völkerrecht bricht, kann kaum glaubwürdiger Partner der Kooperation in anderen Fragen sein.

Alle Fragen, an denen China ein Interesse hat, sollten daher von Europa mitgedacht und auf den Tisch gelegt werden.

Dazu zählt auch das geplante wechselseitige Investitionsschutzabkommen und falls nötig der im September in Leipzig geplante EU-China-Gipfel selbst. Auch wenn wir in einigen Bereichen noch zu stark von China abhängig sind, kann China auch noch nicht ohne uns Europäer – insbesondere im wieder aufbrechenden Handelskrieg mit den USA.

Aufenthaltsperspektive für Hongkonger Bürger wäre ein klares Signal

3)   Die Hongkonger Bürgerinnen und Bürger brauchen das klare Signal, dass wir als Teil der Freien Welt an ihrer Seite stehen! Das Vereinigte Königreich überlegt bereits, zumindest allen vor 1997 geborenen Hongkongern das Recht auf eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis in Großbritannien zu geben. Bisher haben diese mit dem „British National Overseas Passport“ nur ein begrenztes Aufenthaltsrecht.

Europa sollte die Demokratie-Aktivisten aufnehmen, die womöglich bald aus Hongkong fliehen müssen.
Europa sollte die Demokratie-Aktivisten aufnehmen, die womöglich bald aus Hongkong fliehen müssen.

© LiauxChung/ imago images

Warum prüfen die Staaten der Europäischen Union nicht eine Initiative, die den qualifizierten und kosmopolitischen Hongkonger Bürgerinnen und Bürgern eine freiheitatmende Aufenthaltsperspektive in Deutschland und anderen Mitgliedsländern gäbe? Warum werben wir nicht um jene, die Hongkong zu dem gemacht haben, was es nach dem Willen Pekings nicht mehr sein soll?

Das wäre nicht nur ein einwanderungspolitischer Gewinn für uns alle, sondern auch ein starkes Signal an Peking. Start-Up-Unternehmer, Wissenschaftler und viele Menschen des in Bildung und Wirtschaft hoch entwickelten Hong Kongs suchen gezwungenermaßen eine Perspektive abseits ihrer Heimat.

Die Aussicht, diese wichtigen Schichten zu verlieren, würde Peking die eigenen Pläne womöglich doch noch in einem anderen Licht betrachten lassen.

Johannes Vogel

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