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Uwe Dziuballa, Betreiber des Restaurants "Schalom".

© MACDOUGALL/AFP

Update

Chemnitz: Kritik und Entsetzen nach Angriff auf jüdisches Restaurant

Bei den Ausschreitungen in Chemnitz wurde ein jüdisches Restaurant angegriffen. Sachsen Polizei arbeite daran, „diese widerliche Tat aufzuklären“, sagt Innenminister Wöller.

Der Angriff mutmaßlicher Neonazis auf ein jüdisches Restaurant vor rund zwei Wochen in Chemnitz hat Bestürzung und Forderungen nach einer umfassenden Aufklärung ausgelöst. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) sprach von einem antisemitischem Angriff. Der Wirt des koscheren Lokals „Schalom“, Uwe Dziuballa, bestätigte dem Evangelischen Pressedienst (epd), dass am Abend des 27. August zehn bis zwölf Personen Steine und Flaschen gegen ihn und das Gasthaus warfen. Zuvor hatte die „Welt am Sonntag“ über den Vorfall berichtet, zu dem der sächsische Staatsschutz die Ermittlungen übernommen hat.

Roland Wöller (CDU), Innenminister von Sachsen.
Roland Wöller (CDU), Innenminister von Sachsen.

© Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa

Der Beauftragte gegen Antisemitismus der Bundesregierung, Felix Klein, zeigte sich besorgt. „Sollten die Berichte zutreffen, haben wir es mit dem Überfall auf das jüdische Restaurant in Chemnitz mit einer neuen Qualität antisemitischer Straftaten zu tun. Hier werden die schlimmsten Erinnerungen an die dreißiger Jahre wachgerufen“, sagte Klein der Zeitung. Er forderte die sächsische Polizei und Staatsanwaltschaft auf, nun unverzüglich und umfassend zu ermitteln und mit aller Härte gegen die mutmaßlichen Täter vorzugehen.

"Widerliche Tat aufklären"

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich erschüttert. Die rassistischen Ausschreitungen und die Attacke auf das jüdische Lokal „Schalom“ zeigten, wie stark der Rechtsextremismus in der Region verwurzelt sei.

„Es ist fünf nach Zwölf!“, betonte Schuster. „Die Bestrebungen der Verfassungsbehörden, die Vorfälle offensichtlich zu bagatellisieren, lassen mich ernsthaft an der Arbeit dieser Behörden zweifeln.“

„Ein Angriff auf Juden ist niemals nur ein Angriff auf Juden. Er ist eine Kampfansage an die offene Gesellschaft und die freiheitliche Demokratie, die unser Land ausmacht, und er muss als solcher von der offenen Gesellschaft zurückgewiesen werden“, erklärte Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

„Gewalttätige Gruppen, die durch die Straßen marodieren und Menschen terrorisieren, die sie für minderwertig halten, darf ein Rechtsstaat, der sich ernst nimmt, nicht hinnehmen“, so Knobloch. Die rechten Demonstrationen in Chemnitz seien bereits ein Warnsignal für den Rechtsstaat und ein Auftrag an die Politik gewesen, den Gefahren entgegenzutreten, die das demokratische Gemeinwesen bedrohten. „Dass es im Rahmen dieser Vorkommnisse nun auch zu Gewalt gegenüber dem Lokal 'Schalom' und seinem Besitzer gekommen ist, ist schockierend und unterstreicht die Dringlichkeit eines entschlossenen Vorgehens gegen antidemokratische Kräfte.“

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) verurteilte die Attacke. „Angriffe auf jüdisches Leben, wie wir sie nun wieder erleben, sind unerträglich“, sagte die Ministerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Attacken von rechten Gruppen auf jüdische Restaurants weckten schlimmste Erinnerungen.

Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) wertet den Angriff als „Versuch der Vertreibung“. „Wenn ein antisemitischer Mob einen jüdischen Wirt bedroht und angreift, macht mich das wütend“, sagte der Regierungschef in der Tageszeitung „Die Welt“ (Montag): „Das erinnert an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.“ Über Twitter bestätigte das sächsische Innenministerium am Samstagabend ebenfalls den antisemitischen Angriff am 27. August in Chemnitz. Nach einem kurzfristig anberaumten Besuch in dem Restaurant und bei dessen Betreiber Dziuballa betonte Innenminister Wöller, dass die sächsische Polizei mit Hochdruck daran arbeite, „diese widerliche Tat aufzuklären“. Zugleich veröffentlichte er in dem Kurznachrichtendienst ein Foto seines Besuchs im Restaurant „Schalom“.

Zuvor hatte auch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer ein Treffen mit dem Wirt angekündigt. Der Regierungschef habe mit dem Gastronomen telefoniert, sagte Regierungssprecher Ralph Schreiber dem epd. Ein Termin stehe aber noch nicht fest. Zudem würden die genauen Hintergründe des Angriffs noch ermittelt.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) verlangte unterdessen eine gründliche Untersuchung aller offenen Vorgänge in Chemnitz. „Das wäre ein Weg, die Diskussion endlich zu versachlichen“, sagte er der „Welt am Sonntag“. „All diese Angriffe waren auch ein Angriff auf unsere Wertordnung.“

"Das waren extreme zehn Sekunden"

Für Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) zeigt der Angriff auf das jüdische Restaurant, „dass es offenbar eine geringere Hemmschwelle zu rechtsextrem motivierten Gewalttaten gibt“. In Sachsen habe man offenbar viel zu lang bestehende Ressentiments geduldet. FDP-Chef Christian Lindner hält die rechtsextrem motivierten Attacken auf das Restaurant „Schalom“ für „einen neuen Tiefpunkt“.

Wirt Dziuballa schilderte dem epd, wie ihn der Angriff gegen 21:40 Uhr nach einer Lesung völlig überrascht habe, als er vor die Tür getreten sei. „Das waren extreme zehn Sekunden“, sagte er. Die Täter hätten faustgroße Steine, Flaschen und andere Gegenstände geworfen. Ein Stein habe ihn an der Schulter getroffen. Das Lokal sei am Ruhetag bis auf zwei Gäste schon leer gewesen.

Die „Welt am Sonntag“ hatte zuvor ausführlich über den Angriff berichtet. Laut der Zeitung riefen die Täter „Hau ab aus Deutschland, Du Judensau“. Dziuballa sagte dem epd, er sei komplett überrascht gewesen, vermutlich habe er auch etwas gerufen. „Ich stand einfach nur da“, erinnert er sich. Er habe die Täter beim Wegrennen fotografiert und bei der schnell eingetroffenen Polizei ordnungsgemäß Anzeige erstattet.

"Gewaltiger Fall von Antisemitismus"

Der Angriff erfolgte einen Tag nachdem in Chemnitz in der Nacht zum 26. August der 35-jährige Deutsch-Kubaner Daniel H. erstochen worden war. Drei Asylbewerber aus Syrien und dem Irak sind dringend tatverdächtig. Daraufhin kam es rechtsgerichteten Demonstration mit Ausschreitungen.

Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus kritisierte das Vorgehen der sächsischen Behörden bei diesem „gewaltigen Fall von Antisemitismus“. Der Sprecher und Koordinator des JFDA, Levi Salomon, sagte: „Es ist ungeheuerlich, dass in Chemnitz ein vermummter Mob das einzige jüdische Restaurant attackiert, antisemitische Parolen ruft und die Öffentlichkeit erst Tage später von dem Fall erfährt.“ (epd)

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