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Wie weit wird er gehen? Der russische Präsident Wladimir Putin am Donnerstag in Moskau.

© REUTERS

Update

Chemiewaffen in der Ukraine?: Die Furcht vor Putins Giftgas

Die USA warnen vor einem möglichen Chemiewaffen-Einsatz Russlands in der Ukraine – und verweisen auf den Krieg in Syrien.

Auf dem Papier ist die Situation eindeutig. Der Einsatz von Chemiewaffen ist seit 1997 verboten. 191 Staaten haben sich verpflichtet, solche Waffen weder zu produzieren noch zu verwenden. Russland ist dem Abkommen 1997 als damals größter Chemiewaffenbesitzerstaat beigetreten. Allerdings hat das Land bis heute seine Bestände nicht vollständig vernichtet.

Anschläge auf politische Gegner – der mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok ausgeführte Anschlag auf den ehemaligen Spion Sergei Skripal im März 2018 im britischen Salisbury sowie zwei Jahre später der Versuch, den russischen Oppositionspolitiker und Kritiker von Präsident Wladimir Putin, Alexei Nawalny, mit Nowitschok zu ermorden – zeigten, dass in Russland weiter an Chemiewaffen gearbeitet wurde. Nun befürchtet die Regierung in Washington, dass Massenvernichtungswaffen in der Ukraine eingesetzt werden könnten.

Warnungen bereits Mitte Februar

Schon Mitte Februar hatte US-Außenminister Antony Blinken vor dem UN-Sicherheitsrat in New York vor einem solchen Einsatz gewarnt. Die Russen, so sagte er, könnten einen Angriffsvorwand konstruieren, um angeblich bedrohten russischen Bürgern in der Ukraine zu Hilfe zu kommen.

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„Dies könnte ein gewaltsames Ereignis sein, das Russland gegen die Ukraine vorbringen wird, oder eine unerhörte Anschuldigung, die Russland gegen die ukrainische Regierung erheben wird“, sagte Blinken. Möglich seien etwa ein vermeintlicher Terroranschlag in Russland, die „erfundene Entdeckung eines Massengrabes“ und Vorwürfe eines Völkermordes oder ein vorgetäuschter oder echter Angriff mit Chemiewaffen.

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Inzwischen ist die russische Armee in der Ukraine einmarschiert. Aber die Streitkräfte treffen auf deutlich mehr Widerstand, als sie es offenbar erwartet hatten. Am Mittwoch wiederholte die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki, nun die Warnungen, Russland könnte chemische oder biologische Waffen einsetzen.

Russland unterstützt das Regime in Syrien

Psaki erklärte, Russland habe dies immer wieder getan. Zudem unterstütze die Regierung in Moskau den syrischen Machthaber Baschar al Assad, dessen Regime „wiederholt chemische Waffen eingesetzt hat“.

Dass der syrische Machthaber mehrfach sein eigenes Volk mit Giftgas angegriffen hat, wird von ihm selbst und Russland als seinem engsten Verbündeten vehement bestritten. Unabhängige Stellen wie die Vereinten Nationen (UN) oder die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) haben in ihren Untersuchungen dagegen nachgewiesen, dass Assads Luftwaffe sehr wohl Dörfer und Städte gezielt mit weltweit geächteten Kampfstoffen wie zum Beispiel Chlorgas oder dem Nervengift Sarin attackiert hat.

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Das war zum Beispiel im Februar 2018 der Fall. Einem Bericht der OPCW zufolge kamen damals in Sarakib Chemiewaffen zum Einsatz. Im April 2017 hatte es die Einwohner von Chan Scheichun getroffen. Dutzende Menschen kamen durch Sarin ums Leben. Im August 2013 starben Hunderte Zivilisten in Ghouta nahe Damaskus durch Raketen, die mit tödlichem Gift bestückt waren.

„Operation unter falscher Flagge?“

Amerikas Warnungen vor einem Chemiewaffeneinsatz sind eine Reaktion auf Anschuldigungen Russlands, die USA unterstützten ein Biowaffenprogramm in der Ukraine. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, erneuerte den Vorwurf am Donnerstag, obwohl auch die UN erklärt hatten, nichts über angeblich in der Ukraine hergestellte Massenvernichtungswaffen zu wissen.

Man habe Dokumente über die militärisch-biologischen Aktivitäten der USA in der Ukraine erhalten, sagte dagegen Konaschenkow. Ziel der vom Pentagon finanzierten Forschungen sei die Entwicklung „eines Mechanismus zur heimlichen Verbreitung tödlicher Krankheitserreger“.

Die US-Regierung sieht darin ein „klares Muster“, wie Psaki auf Twitter schrieb. „Jetzt, wo Russland diese falschen Behauptungen aufgestellt hat, sollten wir alle auf der Hut sein, dass Russland möglicherweise chemische oder biologische Waffen in der Ukraine einsetzt oder eine Operation unter falscher Flagge durchführt.“

Dennoch wird sich der UN-Sicherheitsrat an diesem Freitag um 16 Uhr MEZ (10 Uhr New Yorker Zeit) in einer Dringlichkeitssitzung mit dem Thema beschäftigen. „Die russische Vertretung hat um ein Treffen des Sicherheitsrates für den 11. März gebeten, um die militärisch-biologischen Aktivitäten der USA auf dem Territorium der Ukraine zu erörtern“, schrieb der stellvertretende russische UN-Botschafter Dmitri Poljanski am Donnerstag auf Twitter.

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