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Die Standarte des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue. Dort kommen die Spitzen von Union und SPD zusammen.

© Wolfgang Kumm/dpa

Chefs von Union und SPD bei Steinmeier: Ein nie dagewesenes Schauspiel

An diesem Donnerstagabend werden sich Union und SPD zum ersten Mal nach der Bundestagswahl wieder an einen Tisch setzen. Doch die Hürden für eine weitere große Koalition sind hoch.

CDU-Chefin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzende Martin Schulz treffen sich an diesem Donnerstagabend im Schloss Bellevue. Es ist ein Treffen ohne Beispiel in der Geschichte der Bundesrepublik. Denn es findet auf Drängen des Bundespräsidenten statt. Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier will die drei Beteiligten nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen zu ernsthaften Gesprächen über die Bildung einer stabilen Regierung bewegen. Doch die Hürden für eine erneute große Koalition sind hoch. Ein Überblick.

Vertrauen

Als wäre es nicht schwer genug, hat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat mit seiner Glyphosat-Entscheidung die anstehenden Gespräche zusätzlich belastet. Denn sein Alleingang gegen den Willen von SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks nährt das Misstrauen bei den Sozialdemokraten. Die werden ohnehin von der Befürchtung gepeinigt, in einer erneuten großen Koalition wieder einmal draufzuzahlen – ganz gleich, welche Erfolge sie an der Regierung am Ende vorweisen können. Diese Erfahrung sitzt tief, die SPD ist schon zwei Mal arg gerupft aus dem Bündnis mit der Union hervorgegangen ist. Man könnte fast von einem Merkel-Trauma sprechen.

Auch deshalb hatte sich Parteichef Martin Schulz noch am Wahlabend unter dem Beifall seiner Partei auf die Oppositionsrolle festgelegt. Erst der Appell des Bundespräsidenten an die Verantwortungsbereitschaft der Parteien brachte die Dinge dann in Bewegung. Nun stellt sich fast zwangsläufig die Frage der Glaubwürdigkeit, wenn Schulz mit der Union über eine Regierungsbildung spricht. Etliche in der SPD treten deshalb die Flucht nach vorne an: Wenn wir von der Union schon so dringend als Ersatz für andere Mehrheitsbeschaffer gebraucht werden, so argumentieren sie, dann aber nur für einen hohen Preis – der weitestgehenden Durchsetzung unserer politischen Ziele. Andere Sozialdemokraten setzen solche Maximalforderungen mit dem Ziel in die Welt, eine große Koalition zu verhindern.

Noch ist das SPD-Feld nicht sortiert. Einig sind sich alle nur in einem: Es wird lange dauern, und es wird schwierig werden, die Parteibasis zu einem Ja zu bewegen. Anders bei der Union: Dort haben alle Flügel und Interessengruppen ein Interesse daran, dass das Regierungsbündnis mit der SPD zustande kommt, allen voran CDU-Chefin Angela Merkel. Für sie steht nicht weniger auf dem Spiel als ihr Ruf bei den Wählern als Garantin von Stabilität. Ob sie allerdings in einer neuen, von Misstrauen geprägten Koalition mit einer widerspenstigen SPD Stabilität liefern könnte, ist eine offene Frage.

Flüchtlinge

Kann es eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen geben? Und sollen Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus ihre engsten Angehörigen nachholen können? Diese beiden Fragen haben schon die Verhandlungsführer von Jamaika zur Verzweiflung getrieben. Jetzt könnt es wieder so kommen. Denn auch in Gesprächen mit der SPD wird die Union auf ihrer Position beharren, wonach die Aufnahme von Flüchtlingen pro Jahr die Zahl von 200000 nur in Ausnahmefällen und mit Zustimmung der Bundestages übersteigen darf. So lautet die Formel, mit der CDU und CSU ihren monatelangen Streit in der Flüchtlingspolitik befrieden konnten. Vor allem die CSU pocht auf strikte Einhaltung dieser Regel. Die SPD könnte in diesem Punkt vielleicht sogar mitgehen, wenn das Recht auf Asyl garantiert unangetastet bleibt. Ganz anders sieht es beim Familiennachzug für Kriegsflüchtlinge aus, den die Union weiter aussetzen will. "Der Familiennachzug von Eltern und minderjährigen Kindern gehört zu den humanitären Verpflichtungen, bei denen es keine Abstriche geben kann", sagt SPD-Vize Ralf Stegner. "Das müssen alle wissen, die mit uns reden." Kompromissbereitschaft klingt anders.

Gesundheit

Hier prallen die Positionen frontal aufeinander: Die SPD verspricht in ihrem Wahlprogramm die Einführung einer Bürgerversicherung, die Union lehnt diese kategorisch ab. Ginge es nach den Sozialdemokraten, würden alle bisherigen Kassenpatienten sowie erstmalig Versicherte in die Bürgerversicherung aufgenommen. Privatversicherte und Beamte könnten frei wählen, ob sie auch wechseln wollen. Aus SPD-Sicht wäre eine solche Neuordnung des Versicherungsmarktes ein Beitrag gegen die Zwei-Klassen-Medizin. Für Unions-Politiker hingegen ist schon der Begriff Bürgerversicherung tabu, sie fürchten um die Zukunft der privaten Krankenversicherung. Doch ob die SPD sich ohne einen kleinen Erfolg in dieser Gerechtigkeitsfrage auf eine Koalition einlässt? Ein erster Schritt wäre womöglich die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung.

Arbeit

In Arbeitnehmerfragen geht es für die Sozialdemokraten um ihre Identität, deshalb werden sie hier hart verhandeln: Die SPD will Teilzeit-Beschäftigten den Rechtsanspruch verschaffen, wieder auf ihre frühere Vollzeitstelle zurückzukehren. Ein solches Rückkehrrecht war bereits im letzten Koalitionsvertrag vereinbart, doch der Gesetzentwurf der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles scheiterte am Widerstand des Kanzleramts. Die Union wollte die Regelung erst ab einer Betriebsgröße von 200 Mitarbeitern gelten lassen, Nahles bereits ab 15 Mitarbeitern.

Ansonsten werde das Gesetz wirkungslos bleiben, weil so viele Menschen in kleinen und mittleren Betrieben arbeiten, argumentierte die SPD-Politikerin. Einen Kompromiss in dem festgefahrenen Streit zu finden, wird vermutlich nicht einfach. Ähnlich sieht es bei der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung aus: Ein Versprechen der SPD war, dass Arbeitnehmer nicht mehr ohne triftigen Grund mit einem befristeten Arbeitsvertrag abgespeist werden sollen. Doch die Union will sich nur ungern mit den Wirtschaftsverbänden anlegen – weder in der einen noch der anderen Frage.

Rente

Als SPD und Union vor vier Jahren ihr Rentenpaket schnürten, machten sie es sich einfach. Dank der üppig gefüllten Rentenkassen konnten beide Parteien ihr Wahlversprechen durchsetzen: die SPD die abschlagsfreie Rente mit 63 und die CSU Verbesserungen bei der Mütterrente. Doch dieses Mal droht bei dem Thema mehr Streit. Die Sozialdemokraten haben angekündigt, das gesetzliche Rentenniveau bis 2030 auf dem heutigen Niveau von 48 Prozent halten zu wollen. Nach bisherigem Recht könnte es auf 43 Prozent sinken. Ohne Korrekturen beim Niveau werde das Vertrauen in die gesetzliche Rente erschüttert, mahnte die SPD-Politikerin Andrea Nahles, als sie im Sommer das Konzept ihrer Partei vorstellte.

Und ohne Stabilisierung des Rentenniveaus werde die SPD keinen Koalitionsvertrag unterschreiben. In der Union hingegen sieht man einen Eingriff in die Rentenformel vor 2030 skeptisch, auch wegen der damit verbundenen Kosten für die Beitrags- und Steuerzahler, die gegen Ende des nächsten Jahrzehnts entstehen würden. Die SPD ruft außerdem ein Thema erneut auf, das im letzten Koalitionsvertrag stand, aber nicht abgearbeitet wurde: die Solidarrente für Geringverdiener. Die CSU wiederum verlangt weitere Nachbesserungen bei der Mütterrente. Die würden allerdings in den nächsten vier Jahren 28 Milliarden Euro kosten – was auch in der CDU auf Widerstand stößt.

Europa

Zu den Punkten, die am Ende zwischen den Jamaika-Sondierern von CDU, CSU, Grünen und FDP strittig waren, gehörte eine Forderung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron: die Einrichtung eines Budgets für die Euro- Zone. Zwar wird die Forderung, einen milliardenschweren Topf außerhalb des EU-Haushalts einzurichten, in Paris wegen der Widerstände in Berlin inzwischen nicht mehr so vehement vertreten wie noch vor einigen Monaten. Aber immer noch ist von einer "Fiskalkapazität" zur Abwendung unvorhergesehener Notlagen in EU-Mitgliedstaaten die Rede. Um Macron entgegenzukommen, möchte Kanzlerin Angela Merkel auf EU-Ebene Verhandlungen über die Fiskalkapazität zumindest nicht ausschließen.

Aber selbst dieses Hintertürchen wollte FDP-Chef Christian Lindner bei den Jamaika-Sondierungen zusperren. Käme es zu Verhandlungen zwischen Union und Sozialdemokraten, dann dürfte Macron mit mehr Entgegenkommen rechnen – vor allem auf Seiten der SPD. Völlig reibungslos würden wohl auch schwarz- rote Sondierungen in diesem Punkt nicht verlaufen. Vor allem die CSU könnte sich dagegen sperren, neue EU-Finanzinstrumente bei den Verhandlungen festzuschreiben.

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