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Spannungsreiches Verhältnis: Gary Cohn und Donald Trump.

© AFP

Chaos im Weißen Haus: Immer mehr verlassen Trump - droht jetzt ein Handelskrieg?

Immer mehr hochrangige Mitarbeiter verlassen das Weiße Haus. Jetzt geht Gary Cohn, der für den Freihandel gekämpft hat. Macht das einen Handelskrieg wahrscheinlicher? Fragen und Antworten zum Thema.

Der Rücktritt von Wirtschaftsberater Gary Cohn ist der dritte Abschied eines ranghohen Mitarbeiters von Donald Trump innerhalb einer Woche. Der US-Präsident will dennoch kein Chaos in seiner Regierungsmannschaft erkennen, lediglich eine „große Energie“. Allerdings verwenden einige seiner Mitarbeiter diese Energie offenbar vor allem für die Suche nach neuen Arbeitsplätzen: Laut Medienberichten sind weitere Rücktritte zu erwarten. Die amerikanische Politik dürfte noch populistischer und unberechenbarer werden.

Warum verlassen so viele Mitarbeiter das Weiße Haus?

Erst vorige Woche hatte Trumps Kommunikationschefin Hope Hicks die Kündigung eingereicht, einen Tag nach dem Abschied ihres Stellvertreters Josh Raffel. Seit Trumps erster Sicherheitsberater Michael Flynn schon nach drei Wochen im Amt im vergangenen Jahr die Koffer packen musste, sind im Weißen Haus ein Stabschef, mehrere Chefs der Kommunikationsabteilung plus Stellvertreter, ein Regierungssprecher, ein Chefstratege und eine Vize-Sicherheitsberaterin entweder entlassen worden oder freiwillig gegangen.

Das rege Kommen und Gehen ist zum Teil eine Folge des Chaos im Präsidialamt, in dem der Alltag seit Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump von Intrigen und Lagerbildung geprägt wird. Zum Teil sind die vielen Rücktritte auch die Ergebnisse von Machtkämpfen zwischen Realpolitikern und Populisten, die um die Gunst des Präsidenten buhlen. So galt der Abgang des Chefstrategen Steve Bannon im Sommer als Sieg der Realos, während der jetzige Abschied von Wirtschaftsberater Gary Cohn als Triumph der Populisten und Protektionisten eingestuft wird. Zusätzlich kompliziert wird die Lage im Weißen Haus durch die übergeordnete Rolle von Trumps Tochter Ivanka und Schwiegersohn Jared Kushner, die als Berater fungieren und offensichtlich teilweise ihre eigenen Interessen verfolgen.

Droht nach Cohns Abgang ein Handelskrieg?

Cohn, ein schwerreicher Ex-Chef der Investmentbank Goldman Sachs, bildete als Anhänger des Freihandels bisher ein Gegengewicht zu protektionistischen Mitarbeitern wie Handelsminister Wilbur Ross und Trumps Handelsberater Peter Navarro. In den vergangenen Wochen hatte sich Cohns Niederlage im Streit um Strafzölle auf Stahl und Aluminium abgezeichnet, die von Ross und Navarro gefordert werden. Bei den wichtigsten wirtschaftspolitischen Beratern haben die Populisten und Wirtschaftsnationalisten jetzt klar die Oberhand.

Gary Cohn galt von Beginn an als Bastion der Vernunft im Umkreis von Trump. Cohn, ein Mann mit Prinzipien, ließ sich nie verbiegen. So stellte er sich öffentlich gegen Trump, als dieser nach den Ausschreitungen von Neonazis und Antisemiten in Charlottesville wohlwollende Worte für die Täter fand. Und jetzt zieht Cohn die Konsequenzen, weil Trump tatsächlich den Pfad des Protektionismus einschlägt.

Trump will die Strafzölle vor allem, um seine rechtsgerichtete Anhängerschaft zu erfreuen, die er im Wahlkampf mit Attacken auf den – angeblich für die USA ungünstigen – Freihandel erfreute. Der Präsident kann die Zölle per Erlass und ohne Parlamentsbeschluss jederzeit in Kraft treten lassen. Doch auch nach Cohns Rücktritt ist nicht klar, ob, wann und in welcher Form die Einfuhrbeschränkungen umgesetzt werden. Viele Experten warnen, ein Handelskrieg werde der US-Wirtschaft am Ende mehr schaden als nutzen, weil Importe teurer werden und sich damit auch in den USA produzierte Güter verteuern, wenn sie Importe verarbeiten. Unklar ist, inwiefern die Bedenken bei Trump Gehör finden. So ist völlig unklar, wie weit der Präsident in seinem Protektionismus gehen wird. Wie so häufig sendet Trump auch in diesem Streit widersprüchliche Signale aus. Mal gibt er sich unnachgiebig, mal stellt er Ausnahmen für wichtige Handelspartner wie Mexiko, Kanada und die EU in Aussicht. Mal zeigt er sich hart und droht mit einer Ausweitung von Strafzöllen. Im Kongress gibt es Bestrebungen von Seiten der Republikaner, mögliche Strafzölle per Gesetz wieder zu kassieren. Insofern bleibt ungewiss, wie weit ein drohender Handelskrieg gehen wird. Handelsminister Wilbur Ross trug auch nicht zur Klarheit bei. Die USA strebten „keinen Handelskrieg“ an, sagte er am Mittwoch. Die Entscheidung für Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte sei „wohl durchdacht“ getroffen worden.

Welche Auswirkungen haben die vielen Rücktritte?

Nicht nur bei den Strafzöllen gibt es Unklarheiten. Die vielen Personalwechsel in der Regierungszentrale verhindern auch in anderen Bereichen die Ausarbeitung langfristiger Konzepte. In der Nahost-Politik etwa kündigt Trump seit fast einem Jahr einen umfassenden Friedensplan an, der immer noch auf sich warten lässt und zudem durch Einzelaktionen des Präsidenten wie die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels in Frage gestellt wird. Im Korea-Konflikt schwankt Washington zwischen Gesprächsangeboten und Trump’scher Kriegsrhetorik.

Die Massenflucht aus dem Weißen Haus wirft auch die Frage auf, welche Nachfolger einer Administration zur Verfügung stehen, die vor allem mit Durcheinander, Machtspielchen und einem wankelmütigen Chef von sich reden macht. Trump räumt offen ein, dass er wichtige Entscheidungen dadurch vorbereitet, indem er Berater mit grundverschiedenen Auffassungen gegeneinander antreten lässt – ähnlich wie in einer TV-Show. „Ich schaue mir das gerne an“, sagte er wenige Stunden vor Cohns Rücktrittserklärung. „Ich liebe Streit.“ Diese Art von Gladiatorenkampf im Oval Office ist jedoch nicht jedermanns Sache, schon gar nicht für Leute vom Format des Gary Cohn.

Mittlerweile sei mindestens ein halbes Dutzend Berater ausgeschieden, die zuvor dabei geholfen hätten, politische Exzesse unter Trump zu verhindern, analysierte die Nachrichtenplattform Axios am Mittwoch. Nun erhebt sich angesichts der entstandenen ideologischen Schlagseite die Frage, ob namhafte Gegner der Protektionisten viel Lust auf einen Job im Weißen Haus verspüren. Trump selbst behauptet, er habe keinen Mangel an Kandidaten für Führungspositionen, weil jeder im Weißen Haus arbeiten wolle.

Was hat Trump bisher angekündigt – und nicht gehalten?

Die Nachfolger von Cohn, Hicks und Co. müssen unter anderem mit einer Besonderheit Trumps zurechtkommen, die vom Nachrichtensender CNN als „Ich sag’ einfach mal-Strategie“ bezeichnet wird: Der Präsident wirft per Twitter oder Fernsehrede umstrittene Thesen und Behauptungen in die Diskussion, um die Tagesordnung in Washington zu bestimmen, von anderen Dingen abzulenken oder um seine Anhänger zu beglücken. Nicht immer erwachsen aus diesen Initiativen auch politische Konsequenzen.

So warb er vor einiger Zeit öffentlich für eine umfassende Reform der Einwanderungspolitik und erklärte seine Bereitschaft zu unpopulären Entscheidungen – nahm das Angebot dann aber schnell wieder zurück, als seine rechtsgerichtete Basis den Aufstand probte. In der Diskussion über schärfere Waffengesetze deutete er seine Unterstützung für radikale Maßnahmen wie neue Befugnisse für die Polizei bei der Konfiszierung von Schusswaffen an, ließ das Weiße Haus dann aber wieder zurückrudern. Möglicherweise wird auch in der Debatte über Strafzölle nichts so heiß gegessen, wie es von Trump gekocht wird.

Für den Präsidenten persönlich hat die „Ich sag’ einfach mal-Strategie“ den Vorteil, dass er sich je nach Bedarf als Kämpfer für die angeblich wahren Interessen der Amerikaner, für den gesunden Menschenverstand oder für überparteiliche Kompromisse präsentieren kann. Wenn er dann eine Kehrtwende einleitet, schiebt er die Schuld auf die Opposition, die Medien oder den „Sumpf“ der Bürokratie in Washington. Bisher zumindest funktioniert die Strategie: Trumps Kernwählerschaft bleibt bei der Stange.

Wie reagieren andere politische Akteure?

Die oppositionellen Demokraten klagen, mit Trump zu verhandeln sei wie der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Sie setzen ihre Hoffnungen inzwischen auf die Kongresswahlen im Herbst, bei der sie die Mehrheit in mindestens einer der beiden Kammern – Senat oder Repräsentantenhaus – von Trumps Republikanern erobern wollen. Anschließend könnten sie den Präsidenten viel stärker unter Druck setzen als derzeit.

Bei den Republikanern macht sich Ratlosigkeit und wachsender Unmut breit. Trumps Drohung mit Strafzöllen löste unter anderem offenen Widerstand des Präsidenten des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, aus. Ryan galt bisher als braver Soldat Trumps, doch bei den Zöllen sieht er eigene Interessen gefährdet: In seinem Wahlkreis in Wisconsin werden die amerikanischen Harley-Davidson-Motorräder gebaut; die EU will unter anderem mit Strafzöllen auf Harleys antworten, wenn Trump bei Stahl und Aluminium ernst machen sollte.

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