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Die Impfampullen mit dem COVID-19-Impfstoff von Biontech/Pfizer Impfstoff und dem von AstraZeneca.

© imago images/Jochen Eckel

Chaos bei Zweitimpfungen: Astrazeneca-Roulette mit unter 60-Jährigen

Wie kommen unter 60-Jährige, die schon einmal geimpft wurden, an eine Auffrischung? Das ist nach dem Ausfall von AstraZeneca völlig unklar.

Nächste Runde im AstraZeneca-Roulette, bei der sich erstgeimpfte Lehrerinnen unter 60 wie eine Kugel vorkommen, die sich im Kreis dreht, aber nirgendwo reinfällt: Laut der Bildungsverwaltung in Berlin sollen sie sich für die Zweitimpfung an ihre Hausärzte wenden.

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Die Hausärzte lehnen eine Zweitimpfung mit Hinweis auf die Priorisierung der Bundesimpfordnung ab. Die Gesundheitsverwaltung stellt fest, dass „Lehrer“ als Kriterium „zu unspezifisch“ für eine Priorisierung ist und verweist an die Kassenärztliche Vereinigung. Die KV erklärt, dass in den Praxen unterhalb der Altersstufen nur mit medizinischer Indikation geimpft werden darf.

Doch das Problem haben nicht nur Lehrende, es reicht weiter. Unter 60-Jährige, die bereits einmal mit dem Vakzin von AstraZeneca geimpft worden sind, stellen sich generell die Frage, was sie nun tun sollen. Ein Hickhack, das Nerven kostet.

Die Gesundheitsminister sprechen jetzt eine klare Empfehlung aus – anders als die WHO. Mehr als zwei Millionen Menschen – unter 60 Jahren – die in Deutschland bereits eine Erstimpfung mit AstraZeneca erhalten haben, sollen bei der notwendigen Zweitimpfung nun auf ein anderes Präparat umsteigen. Auf diese Empfehlung haben sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern einstimmig geeinigt. Sie folgen damit dem Vorschlag der Ständigen Impfkommission (Stiko) von Anfang April.

BioNTech/Pfizer oder Moderna als gute Basis

Bei den Beratungen sei klar geworden, dass die Zweitimpfung mit einem mRNA-Imfpstoff, also dem Präparat von BioNTech/Pfizer oder Moderna, eine gute Basis sei, um die Menschen wirksam zu schützen, sagte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek, am Dienstagabend der Deutschen Presse-Agentur in München.

Hintergrund der Empfehlung sind Fälle von Hirnvenen-Thrombosen nach einer Impfung mit AstraZeneca. Experten vermuten, dass das sehr geringe Risiko vor allem jüngere Menschen betrifft. Bund und Länder hatten deshalb kürzlich beschlossen, dass in der Regel nur noch Menschen über 60 mit AstraZeneca geimpft werden sollen. Laut Bundesgesundheitsministerium haben in Deutschland aber bereits rund 2,2 Millionen Menschen unter 60 eine erste Impfung mit dem Präparat erhalten.

Noch keine Empfehlung der WHO

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bisher noch keine Empfehlung für sogenannte Kreuzimpfungen gegen das Coronavirus ausgesprochen. Es lägen noch keine ausreichenden Daten für mögliche Risiken einer ersten Impfdosis mit AstraZeneca und einem anderen Mittel als Zweitimpfung vor, hatte WHO-Sprecherin Margaret Harris am vergangenen Freitag erklärt. Sie bezog sich auf eine vorläufige Empfehlungen eines WHO-Expertengremiums von Februar. Demnach solle vorläufig das gleiche Produkt für beide Impfungen gespritzt werden.

Berichte über Sinusvenen-Thrombosen haben inzwischen auch den Pharmakonzern Johnson & Johnson alarmiert. Er kündigte am Dienstag an, den Marktstart seines Impfstoffs in Europa zu verzögern. Zuvor hatten die Behörden in den USA eine vorübergehende Aussetzung der Impfungen mit dem Wirkstoff empfohlen, nachdem bei sechs Menschen im Land nach der Impfung solche Blutgerinnsel diagnostiziert worden waren.

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In der EU ist der Impfstoff von Johnson & Johnson am 11. März zugelassen worden. Die Brüsseler Behörde erwartet bis Ende Juni 55 Millionen Dosen des Impfstoffs. Gut 10 Millionen Dosen sollen nach Deutschland gehen. Das Präparat ist ebenso wie das von AstraZeneca ein sogenannter vektorbasierter Impfstoff. Er nutzt ein harmloses Virus, um Erbinformationen des Coronavirus in den Körper zu schleusen. Stiko-Chef Thomas Mertens erklärte auf Anfrage, dass es jetzt zunächst Aufgabe der EMA sei, die erfolgte Zulassung zu prüfen. Folgen für Deutschland würden sich aus der verzögerten Auslieferung des Impfstoffes in Deutschland ergeben. Für weitergehende Aussagen sei es zu früh.

Frankreich will den Impfstoff von Johnson & Johnson weiter wie geplant einsetzen. Die ersten Lieferungen seien angekommen, erklärt ein Regierungssprecher am Mittwoch. Es sei wichtig, dass auch weiter das Mittel von AstraZeneca verwendet werde.

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Deutschlands nördlichster Nachbar Dänemark verabschiedet sich als erstes EU-Land komplett vom Einsatz des Corona-Impfstoffes von AstraZeneca. Die Impfkampagne werde ohne das Präparat des britisch-schwedischen Unternehmens fortgesetzt, gab der Direktor der dänischen Gesundheitsverwaltung, Søren Brostrøm, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Kopenhagen bekannt.

In Bayern werden weiter Erst-Impftermine mit dem BioNTech-Impfstoff vergeben. Das sagt ein Sprecher des Landesgesundheitsministeriums auf Anfrage. Er reagiert damit auf die Ankündigung von Brandenburg, die zusätzliche Terminvergabe vorerst zu stoppen, weil man mehr BioNTech-Impfstoff für die Zweitimpfung jüngerer Personen brauche, die zuvor mit AstraZeneca eine Erst-Impfung erhalten hatten. Der Sprecher ergänzte, auch der vorläufige Stopp der Auslieferung von Impfstoff von Johnson & Johnson erfordere keine Änderungen bei der Impfplanung in Bayern. Der Impfstoff sei noch gar nicht in die Impflogistik eingespeist gewesen.

Die Hersteller BioNTech und Pfizer liefern der Europäischen Union bis Ende Juni 50 Millionen Dosen Corona-Impfstoff mehr als ursprünglich geplant. Die Unternehmen sagten zu, die für das vierte Quartal vorgesehenen Dosen bereits ab Ende April zu liefern, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in Brüssel sagte. Die gesamte Liefermenge von BioNTech/Pfizer für das zweite Quartal steigt demnach auf 250 Millionen Dosen. (TSP mit Agenturen)

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