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Eigene Fremdheitserfahrung. Es sei nicht schön gewesen, als „Zonenwachtel“ verunglimpft zu werden, erinnerte sich Angela Merkel – hier 2011 in einer Fotoausstellung – am Mittwoch in Berlin an die ersten Jahre nach der deutschen Einheit.

© Michael Kappeler/picture alliance / dpa

CDU wirbt um Einwanderer: Merkel, die Migrantin

Die CDU wirbt um Einwanderer - und erzählt sich dafür neu. Die Kanzlerin macht der Zielgruppe Mut. Mit Vorurteilen gegen Fremde kennt sie sich schließlich aus.

Und wo bleibt das C? Eine Frage, die die Christdemokraten lange begleitet hat, erst recht, seit ihre Vorsitzende Angela Merkel heißt und manche und mancher die christlichen Wurzeln nicht genügend gepflegt sieht. In Zukunft will man den letzten Buchstaben im Parteikürzel ein deutliches Bisschen größer schreiben: „Zum C gehört das U“, sagt Generalsekretär Peter Tauber. Seine Vorsitzende und Kanzlerin sekundiert wenig später, indem sie die Anfänge der CDU heraufbeschwört und die neue Linie aus eben denen erklärt.

Damals sei es um die Einheit von evangelischen und katholischen Christen gegangen: „Die Lehre aus Nationalsozialismus und Krieg war: Nie wieder diese Spaltung.“ Wie damals, „in der ersten Stunde“, die evangelischen Mitglieder in eine mehrheitlich katholische Partei integriert wurden, gehe es heute um die neuen Deutschen. Was einst der evangelische Arbeitskreis war, sei heute das „Netzwerk Integration“ der Partei.

"Union für Zuwanderer werden"

Die CDU, die so lange Schwierigkeiten hatte, vom Einwanderungsland Deutschland zu sprechen, versucht es mit einer neuen Erzählung von sich selbst. Was bisher vor allem Sache weniger Unermüdlicher war, die eine konservative Partei als natürlichen Platz etwa für türkische Mittelständler und gläubige Muslime bewarben, soll an diesem Mittwoch von der Parteizentrale aus ins Land gehen: Wir sind, in einem Land mit mittlerweile 20 Prozent migrantischer Bevölkerung, die eigentliche Partei der Eingesessenen und Einwanderer. „Wir wollen auch die Union für Zuwanderer werden“, hieß es in der Einladung zur Veranstaltung, der bisher größten zum Thema. Im Publikum viel Schwarz neben Blond, eine Christdemokratie so multikulti wie nie. Das Wort fällt natürlich nicht, schließlich hat Merkel es selbst vor wenigen Jahren noch mit „gescheitert“ verbunden.

Pionier der Öffnung durfte nicht nach Berlin

Dass der Partei noch etwas die Übung fehlt, zeigt sich trotz des offenkundig vielen guten Willens: „Zugewandert – angekommen?“ heißt das Treffen; auch das schreckliche E-Wort (Einwanderung) hat’s im Unionswörterbuch weiter schwer. Die junge Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des christdemokratischen Migrantennetzes, Cemile Giousouf, ausgesprochen „Dschemile“, muss sich vom General wie von der Parteichefin wechselnd exotische Sprechweisen ihres Vornamens anhören. Und dass der lange Marsch in die Einwanderungsgesellschaft noch dauert, scheint auch auf, als mehrfach der Name von Bülent Arslan genannt wird. Der langjährige Vorsitzende des Deutsch-Türken-Forums der nordrhein-westfälischen CDU war einer der Pioniere einer Öffnung der CDU. Und zugleich ihr Opfer: Seine Bundestagskandidatur scheiterte – an der eigenen Partei.

"Ach, Sie kommen aus dem Osten?"

Jetzt dankt Giousouf ihrem Mentor, und die Kanzlerin würdigt ihn als einen, der auch habe erfahren müssen, dass „mancher sich schwertat“ mit den neuen Christdemokraten. Auch sie lobt: „Danke, dass Sie sich nie haben entmutigen lassen. Dass Sie den Grundstein gelegt haben.“

Ein paar ermutigende Worte fürs buntgemischte und sehr junge Publikum hat die Kanzlerin auch aus der eigenen deutsch-deutschen Biografie parat: „Ich weiß, wie es ist, wenn man komisch beguckt wird: Hat sie auch verstanden, wie das hier bei uns ist?“ Es sei auch nicht schön gewesen, als „Zonenwachtel“ verspottet zu werden. Oft sei schlicht Ahnungslosigkeit gewesen, wo Migrantin Merkel versucht war, bösen Willen zu vermuten. Dagegen helfe „reden, nicht ausweichen“, das sei ihre Erfahrung aus der Zeit der Einheit. „Man muss sich Geschichten erzählen.“ Auch mit so einem Satz könne mal ein gutes Gespräch beginnen: „Ach, Sie kommen aus dem Osten?“ Aber das, schließt die Kanzlerin, erzähle sie eigentlich nur, um Mut zu machen: „Man soll sich von kleinen Widrigkeiten nicht abhalten lassen.“

Stolz sein aufs Einwanderungsland

Wie groß die Widrigkeiten wirklich sind, dürfte sich freilich an der Basis klären. „Stimmt unsere Körpersprache schon, wenn Neue nicht aussehen wie die Ahnengalerie des CDU-Ortsvorsitzenden?“, fragt Thomas Kufen, einst Integrationsbeauftragter in NRW, im anschließenden Panel „Meine CDU 2017“. Vor 20 Jahren jedenfalls nicht, erinnert sich Gonca Türkeli-Dehnert, die sich damals in Kreuzbergs CDU ab und an „hinauskomplimentiert“ sah. Heute, sie macht inzwischen im bürgerlichen Westen Berlins Politik, komme man auf sie zu. „Es hat sich wahnsinnig viel geändert.“

Aber doch noch nicht genug, findet Cemile Giousouf. Dass eine veränderte CDU noch nicht von allen begriffen werde, für die sie gedacht sei, führt sie auf eine gewisse Zaghaftigkeit zurück. Politikerinnen und Politiker ihrer Partei hätten sich für Islamische Theologie an den Unis starkgemacht, die erste Ministerin aus türkischer Familie berufen, Aygül Özkan, und die Deutsche Islamkonferenz erfunden: „Wir wollen aber, dass nicht alles nur in Gesetze mündet, sondern dass sich das auch in der Sprache ausdrückt. Wir wünschen uns, dass unsere Partei nicht nur auf ihre Wirtschafts-, Bildungs- und Europapolitik stolz ist, sondern auch darauf, dass Deutschland ein modernes Einwanderungsland ist.“
Da ist es schließlich, das Wort. Sie hat tatsächlich „Einwanderung“ gesagt.

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