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Julia Klöckner (41) ist stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und seit 2011 Fraktionschefin im Landtag von Rheinland-Pfalz.

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CDU-Vize-Chefin Julia Klöckner im Interview: „Es kann keinen Religionsrabatt für die Burka geben“

CDU-Vize-Chefin Julia Klöckner spricht im Tagesspiegel-Interview über voll verschleierte Frauen, den Steuerstreit in ihrer Partei und T-Shirts für vier Euro.

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Frau Klöckner, wann haben Sie zuletzt eine Frau in einer Burka gesehen?
Darüber führe ich keine Strichlisten. Aber man begegnet Burka- oder Nikabträgerinnen auch bei uns in Bad Kreuznach oder in Ludwigshafen – und ich will mich damit nicht abfinden! Die Leitung einer Schule in NRW auch nicht, was ja der aktuelle Anlass der Diskussion ist.

Selbst hart gesottene Innenpolitiker der Union halten ein Verbot für unverhältnismäßig, weil die Burka in Deutschland kaum verbreitet ist. Gibt Ihnen das nicht zu denken?
Die Vollverschleierung von Frauen ist keine Frage der Quantität oder des Ortes.

Sondern?
Sie ist eine Frage der Qualität des Frauenbildes. Das Frauengeschlecht gibt fundamentalistischen Männern anscheinend Anlass des Anstoßes, dass sie ihr Haar und Gesicht verstecken müssen. Die Burka ist Ausdruck eines frauenfeindlichen Menschenbilds, das nicht zu unserer Werteordnung passt. Wir kämpfen hier für Gleichberechtigung und Frauenquoten, gegen Diskriminierung. Vollverschleierung passt nicht zu unserem offenen Weltbild. Da kann es auch keinen religiösen Rabatt geben. Die Burka ist ein Instrument der Unterdrückung von Frauen. Muslime gehören zwar zu Deutschland, aber deshalb müssen wir nicht das intolerante Frauenbild von Extremisten als Bereicherung der kulturellen Vielfalt dulden. Außerdem wollen wir dem anderen offen ins Gesicht schauen können.

Muss sich der CDU-Parteitag, der am Montag beginnt, für ein Burka-Verbot aussprechen?
Müssen muss der Parteitag nichts. Wenn aber über ein solches Verbot diskutiert oder abgestimmt wird, sollten wir eine klare Haltung haben und aufgeklärten Frauen aus falsch verstandener Toleranz nicht in den Rücken fallen.

Auf dem Parteitag wird auch über die Abschaffung der kalten Progression in der Einkommensteuer gestritten. Der Wirtschaftsflügel pocht auf ein schnelles Gesetz, das noch in dieser Wahlperiode greift. Einverstanden?
Die kalte Progression ist eine Steuererhöhung durch die Hintertür und eine Ungerechtigkeit, die beendet werden sollte. Das funktioniert aber nicht per Handstreich. Denn es geht um Steuereinnahmen, die auch die Bundesländer gerne mitnehmen. Die Länder müssen mitziehen, nicht darauf pochen, dass der Bund alleine alle entstehenden Einnahmeverluste trägt. Das rot-grün regierte Rheinland-Pfalz blockiert im Bundesrat die Abschaffung, weil es für den Wegfall einer Ungerechtigkeit eine Kompensation haben möchte für Geld, dass es eigentlich gar nicht einnehmen dürfte.

Gilt das Versprechen der CDU eigentlich weiterhin, auf Steuererhöhungen zu verzichten?
Ja.

Dann wird der Solidaritätsbeitrag 2019 nicht in die Einkommensteuer integriert, sondern ersatzlos gestrichen?
Der jetzige Soli wird abgeschafft.

Und abgelöst durch eine andere Abgabe?
Wir werden sicher nicht mit einem Schlag auf 18 Milliarden Euro verzichten, mehr in Infrastruktur investieren und die Schuldenbremse einhalten können. Daher sollten wir ernsthaft über eine zweckgebundene Verwendung der aus dem Soli frei werdenden Mittel, etwa zur Erneuerung der Infrastruktur, diskutieren. Das kann auch ein Fonds sein, dessen Laufzeit begrenzt ist und dessen Sinnhaftigkeit regelmäßig überprüft wird. Skeptisch bin ich bei der Einstellung des Geldes in die Einkommenssteuer, denn dort versickern die Mittel, und am Ende ist keine Straße saniert.

Frau Klöckner, wäre es in der CDU vor zehn Jahren denkbar gewesen, dass eine Frau wie Sie im Präsidium sitzt und einen Landesverband führt?
Wahrscheinlich nicht.

Verdanken Sie diese Veränderung Angela Merkel?
Angela Merkel hat mit der CDU das getan, was Helmut Kohl damals als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz tat: die Partei für breite Wählerschichten wählbar machen. Es gab auf diesem Weg gewiss einige Zumutungen. Aber eine Partei wie die CDU muss fest in der Mitte der Gesellschaft stehen, und wenn sich die Gesellschaft ändert, dann muss sich auch eine Volkspartei mit neuen Fragen auseinandersetzen. Hätten wir uns nicht verändert und nur eine strukturkonservative Kernklientel im Blick, dann stünden wir vielleicht bei 17 Prozent.

Wie passt es zu einer modernen CDU, dass Fraktionschef Volker Kauder der „Familienministerin Manuela Schwesig Weinerlichkeit“ vorwirft?
Der rheinland-pfälzische SPD-Vorsitzende und Innenminister hat mich als „Shitstorm auf Pumps“ bezeichnet, auch kein Ausdruck gelassener Männlichkeit. Anders als Merkel, die bei Frau Schwesig zum Ausdruck brachte, dass Volker Kauders nicht ihre Wortwahl sei, hat sich die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin bei mir noch nicht entschuldigt.

Sie führen in der CDU eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Lebensqualität beschäftigt. Was verbirgt sich dahinter?
Wir müssen uns fragen, welches Leben wir künftig führen wollen. Es geht nicht mehr nur um lineares, immer schnelleres Wachstum, sondern um einen nachhaltigen Lebensstil, um unsere Lebensumstände. Um mehr Qualitätszeiten in Beruf und Familie, um Essen und Produkte, die ressourcenschonend hergestellt werden, die Fragen nach Homöopathie oder moderner Alltagsmobilität – das sind wichtige Faktoren für ein gutes Leben. Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns. Es geht auch darum, dass der mündige Verbraucher seinen großen Einfluss geltend machen kann.

Was meinen Sie damit?
Nehmen wir das Beispiel Billig-Kleidung, die unter menschen- und umweltunwürdigen Bedingungen hergestellt wird. Wir können Textildiscounter nicht verbieten. Aber ich will, dass jeder weiß: Ein T-Shirt, dass vier Euro kostet, kann nicht unter ökologisch halbwegs sauberen und menschengerechten Arbeitsbedingungen hergestellt werden. Was aber ist uns Nachhaltigkeit wert? Ein Kleidersiegel könnte dem Verbraucher dabei Auskunft geben. Entscheiden muss er dann selbst.

Also sollten wir keine T-Shirts für vier Euro kaufen?
Wer nicht auf Kosten anderer und nächster Generationen leben will, sollte sich das bewusst machen, gerade wenn er sich anderes leisten könnte. Wir sollten eine gesellschaftliche Diskussion darüber führen, unter welchen Bedingungen unsere Kleidung und unsere Nahrung hergestellt werden, welchen Beitrag zur Ressourcenschonung neue Technologien leisten können. Bewusst zu konsumieren ist nicht nur eine Frage des Geldes. In einem Land, in dem es mehr Handys als Einwohner gibt, in dem die Leute die teuersten Küchen der Welt haben, aber nur elf Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden, muss es eine Debatte über Werte und Qualität des Konsums geben.

Welche Lebensmittel kaufen Sie denn ein?
Ich komme selbst aus der Landwirtschaft und lege Wert auf regionale Produkte, versuche auf Erzeugnisse zu achten, die hierzulande saisonal wachsen. Erdbeeren zu Weihnachten zum Beispiel brauche ich nicht.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Antje Sirleschtov.

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