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CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer

© Axel Schmidt/File Photo/REUTERS

CDU: Eine Annegret für alle

Hier schwarz-grüne Bekenntnisse, da eine harte Haltung zu Flüchtlingen: Die CDU-Chefin verbreitert ihre Basis – sie hat eine historische Aufgabe. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Annegret Kramp-Karrenbauer muss man sich wahrscheinlich als eine Frau vorstellen, die manchmal abends in ihrem Büro sitzt und leise kichert. Die Saarländerin hat sich vor knapp drei Monaten den Vorsitz der CDU erkämpft. Seither verbreitert sie systematisch ihre Basis in der Partei wie nach außen hin. Sie tut das teils ganz unauffällig, teils vor aller Augen, vor allem aber flott.

Der Satz von der Grenzschließung als „Ultima Ratio“ zur Abwehr künftiger Flüchtlinge ist noch keine zwei Wochen alt, da folgt ein demonstratives Doppelinterview mit der Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. In der CDU geraten manche bei dem Tempo schon in Schnappatmung. Dabei ist das offensichtlich erst der Anfang des Projekts „Annegret für alle“.

Dahinter stecken eine lebensgeschichtliche Erfahrung, eine strategische Überlegung und eine Herausforderung von nahezu historischem Ausmaß. Um mit dem Historischen anzufangen: In der CDU hat es immer schon Gruppen mit völlig gegensätzlichen Interessen und Zielen gegeben, aber noch nie eine derart tiefe Spaltung wie nach dem Herbst 2015.

Bruchlinie wird nicht schnell verschwinden

Auf der Faktenebene, in der Gesetzgebung, ist der Riss inzwischen gekittet. Aber die Emotionen gehen gleich wieder hoch, sobald es darum geht, was damals falsch oder richtig war. Auch die Zweiteilung des Parteitags, bei dem Kramp-Karrenbauer Friedrich Merz besiegte, zeichnete diese Bruchlinie nach.

Die wird nicht so schnell verschwinden. Denn sie reicht tief ins Persönliche hinein und verläuft obendrein über weite Strecken parallel zu traditionellen Gräben zwischen Konservativen und Reformern, Wirtschafts- und Sozialflügel. Beim „Werkstattgespräch“ Migration ist Kramp-Karrenbauer auf diese ihre Nichtwähler in der CDU zugegangen. Das schwarz-grüne Signal beruhigt jetzt umgehend die andere Hälfte.

Über die Konservativen, die sich kurz als Sieger auf ganzer Linie wähnten, kann sie nur kichern. Denn hinter der Doppelbotschaft steckt ein strategisches Motiv. Wenn AKK mit Angela Merkel geistesverwandt ist, dann am deutlichsten hier. Wie die Vorgängerin hält die Neue im Adenauer-Haus die Rückbesinnung auf vermeintlich gute alte Zeiten für den Tod der Volkspartei. Wie die Kanzlerin im Bund war auch die Ministerpräsidentin an der Saar für Bienenretter oder die Latte-Macchiato-Schickeria ebenso wählbar wie für Schützenbrüder und -schwestern. Das hat in ihrem kleinen Heimatland selbst bei starkem bundespolitischem Gegenwind prächtig funktioniert.

Gefahr der Beliebigkeit

Die Gefahr dabei ist allerdings offensichtlich: Von der Anschlussfähigkeit ist man rasch bei der Beliebigkeit. Kramp-Karrenbauer löst das Problem im Moment elegant auf dem Verfahrensweg. Sie lässt im Grundsatzprogramm-Prozess wie in der Flüchtlingswerkstatt viele zu Wort kommen. Wo die Chefin die Ergebnisse steuert, tut sie es so unauffällig, dass sich die Partei immer noch im Originalton selbst zu hören glaubt.

Dies auch deshalb, weil Kramp-Karrenbauer eine fast schon satirefähig mustergültige CDU-Biographie aufweisen kann, von der Jungen Union übers Zentralkomitee der Katholiken bis zum Sozialflügel, von der Innenministerin bis zur Ministerin für Frauen, Familie und so weiter. Kramp-Karrenbauer hat nichts von dem Rest an Fremdheit im Verhältnis zur eigenen Partei, der Merkel bis heute anhaftet.

Aber der Punkt wird kommen, an dem die Vorsitzende vor Entscheidungen nicht mehr erst die Partei fragen kann. Spätestens mit dem Ende der großen Koalition muss die Union sich auf neue Partner einlassen und auf neue, auch schmerzhafte Kompromisse. Und das Ende kann schnell kommen. Das erklärt das hohe Tempo, mit dem Kramp-Karrenbauer alten Ballast aus Merkel-Zeiten abräumt und neuen Bündnissen den Weg bahnt. Umstrittene Beschlüsse, riet Macchiavelli seinem „Fürsten“, musst Du sofort nach der Eroberung der Macht verkünden. Es scheint, der Renaissance-Gelehrte stand in Püttlingen im Regal.

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