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Mit einem solchen Motiv des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau wirbt das Simon-Wiesenthal-Zentrum auf seinem neuen Plakat zur Operation Last Chance.

© Picture Alliance / dpa

Bundesweite Kampagne: 25 000 Euro Kopfgeld auf NS-Verbrecher

Mit einer Plakataktion wirbt das Wiesenthal-Zentrum um Hinweise auf Mittäter des Holocaust. Weil die bisherigen Bemühungen ernüchternd waren, versucht es der Leiter des Zentrums nun mit einem Kopfgeld von 25 000 Euro. Dadurch erhofft er sich Bewegung, bevor die letzten Täter gestorben sind.

Er half mit, hunderte Männer, Frauen und Kinder in einem Dorf in Italien zu töten. Ein italienisches Gericht verurteilte ihn deshalb zu lebenslanger Haft. Doch Gerhard Sommer (92) lebt wahrscheinlich noch immer in einem Hamburger Altenheim. Zehn Jahre lang ermittelten deutsche Staatsanwälte wegen des Massakers in Sant’Anna di Stazzema gegen den früheren SS-Untersturmführer – und stellten vergangenes Jahr das Verfahren ein.

"Spät, aber nicht zu spät"

Es sind Fälle wie dieser, die Efraim Zuroff wütend machen. Er leitet das Israel-Büro des Simon-Wiesenthal-Zentrums und ist seit vielen Jahren weltweit auf der Suche nach ehemaligen NS-Verbrechern. Der Historiker ist kein Mann der leisen Töne, außerdem setzt er in seiner Arbeit gern auf größtmögliche öffentliche Wirkung. Jetzt startet er in Deutschland noch einmal eine öffentliche Kampagne, um weitere Personen wie Gerhard Sommer aufzuspüren. Und verspricht denjenigen, deren Hinweis zu einer juristischen Verfolgung und Verurteilung eines Täters führt, eine Belohnung von bis zu 25 000 Euro.

Das Plakat, das ab Dienstag für zwei Wochen an insgesamt 2000 Orten in Berlin, Hamburg und Köln zu sehen sein wird, zeigt das Tor des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. "Spät, aber nicht zu spät" sei es, Nazi-Kriegsverbrecher noch vor Gericht zu bringen, heißt es auf dem schwarz-roten Plakat. Die Aktion und das Kopfgeld auf NS-Verbrecher sind Teil der "Operation Last Chance 2" des Wiesenthal-Zentrums, die Zuroff bereits im Dezember 2011 in Berlin vorstellte. Doch die Bilanz war trotz der in Aussicht gestellten Belohnung ernüchternd: Insgesamt kamen aus Deutschland 27 Hinweise. Nach einer Prüfung der Informationen übergab das Wiesenthal-Zentrum lediglich einen Fall an die Staatsanwaltschaft, doch die stellte das Verfahren ein.

Die vom Simon-Wiesenthal-Zentrum nun ausgesetzte Belohnung wird erfolgsabhängig gestaffelt: Sollte es aufgrund eines Hinweises zu einer Anklage gegen einen mutmaßlichen NS-Verbrecher kommen, erhält der Hinweisgeber 5000 Euro, nach einer Verurteilung noch einmal 5000 Euro. Außerdem zahle das Zentrum dem Tippgeber 100 Euro für jeden Tag, den der Täter in Haft sitzt. Und das auf die Dauer von 150 Tagen, sagte Zuroff dem Tagesspiegel.

Jedes positive Ergebnis ist willkommen

Warum aber startet das Wiesenthal-Zentrum die Plakatkampagne gerade jetzt, erst jetzt? Die Suche nach den letzten NS-Verbrechern wird immer schwieriger, die Täter sind inzwischen um die 90 Jahre alt. "Die Zeit wird knapp", sagte Zuroff. "Deswegen ist uns jedes positive Ergebnis willkommen." Der 64-Jährige hat in seinem Buch über die erste länderübergreifende "Operation Last Chance" betont, er werde erst dann aufhören, wenn er überzeugt sei, dass nichts mehr getan werden könne, um die Strafverfolgung der Täter des Holocaust voranzutreiben. Dazu fühlt sich Zuroff verpflichtet – den Opfern gegenüber. Das ist auch der Grund, warum er das Argument, die noch lebenden Täter seien doch schon viel zu alt, nicht gelten lassen will.

Die Suche nach Tätern, die als Wachleute in Vernichtungslagern zu Mittätern des Holocaust geworden waren, hat außerdem erst jetzt Aussicht auf Erfolg: Jahrzehntelang hat die deutsche Justiz gegen diese Täter nicht systematisch ermittelt. Sie wurden nur dann vor Gericht gestellt, wenn ihnen eine einzelne Tat, ein konkreter Mord, nachgewiesen werden konnte. Das änderte sich erst mit dem Urteil gegen John Demjanjuk, der früher Wachmann im NS-Vernichtungslager Sobibor gewesen war. Das Landgericht München verurteilte ihn im Mai 2011 wegen Beihilfe zum Mord zu fünf Jahren Haft. Zwar wurde das Urteil nicht rechtskräftig, weil Demjanjuk vor der Revision starb. Aber die Anklage gegen den Ex-Wachmann und das Münchner Urteil markierten einen Wendepunkt im Umgang der Justiz mit NS-Verbrechen.

Noch immer leben viele ehemalige KZ-Wachleute in Deutschland

Plötzlich erscheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass es noch zu weiteren NS-Prozessen kommt. So wird erwartet, dass Staatsanwälte in Stuttgart bald Anklage gegen einen früheren Wachmann im Vernichtungslager Auschwitz erheben. Der 93-jährige Hans L. ist bereits seit Mai in Untersuchungshaft. Auch im bayerischen Weiden wird seit fast einem Jahr gegen den Auschwitz-Wachmann Johann (John) B. ermittelt. In diesem Fall könnte es ebenfalls bald Bewegung geben.

Die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg hat zwei Jahre nach dem Demjanjuk-Urteil herausgefunden, dass heute noch 50 ehemalige Auschwitz-Wachleute in Deutschland leben und prüft, ob gegen sie noch ermittelt werden kann. Wer Zuroff auf die Ermittlungsleistungen der deutschen Behörden anspricht, erhält von ihm zunächst eine ungewohnt diplomatische Antwort: "Sie bemühen sich, und das ist sehr wichtig." Allerdings sei Gerhard Sommer für seine Taten immer noch nicht zur Rechenschaft gezogen worden, bemängelt der Nazi-Jäger.

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