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Auf einem neuen Portal erzählen Missbrauch-Opfer ihre jeweilige Leidensgeschichte.

© picture alliance / dpa

Bundesweit einzigartiges Portal offenbart umfassendes Leid: Missbrauch-Opfer wollen durch ihre Geschichten aufrütteln

Auf einem neuen Portal schildern 100 Missbrauchs-Opfer ihre Leidenszeit und wollen auch sensibilisieren, um die Gefahr für Kinder und Jugendliche zu verringern.

Konstanze saß im Behandlungszimmer, sie kannte den Arzt, sie war schon oft bei ihm gewesen. Aber diesmal sagte er, sie solle sich komplett ausziehen. Sie empfand schon diese Aufforderung als extrem peinlich, aber sie musste sich auch noch nach vorne beugen.

Der Arzt berührte sie an intimen Stellen und befriedigte sich dabei sexuell. Dann durfte sie sich wieder anziehen, er schrieb an seinem großen Schreibtisch irgendwas, und Konstanze spürte ein großes Gefühl der Erleichterung. Es war vorbei, sie wusste kaum, wie ihr geschehen war. Sie war zwölf Jahre alt.

Auf dem Portal werden 100 Opfer-Geschichten veröffentlicht

Eine von 100 Geschichten über sexuellen Missbrauch, eine von 100, die von den Opfern jeweils in eigenen Worten, im persönlichen Stil, mit selbst gewählten Details erzählt werden. 100 Geschichten, die seit Mittwoch auf dem Portal „www.geschichten-die-zählen.de“ veröffentlicht sind. Geschichten von Opfern, die ihre Leidenszeit öffentlich machen, die sich teilweise nach Jahrzehnten des schmerzhaften Schweigens trauen, ihre fürchterlichen Erlebnisse mitzuteilen. Die Opfer sind anonymisiert. Am Mittwoch ist das Portal offiziell vorgestellt worden.

Die Plattform ist deutschlandweit einmalig

Die Plattform, sagt Brigitte Tilmann, Mitglied der „Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ sei deutschlandweit, vielleicht sogar international einzigartig. Die Kommission hat dieses Portal organisiert und eingerichtet, sie hat es mit jenen Geschichten bestückt, die ihr im Lauf der vergangenen Jahre geschickt wurden. Eine Auswahl der fast 3000 Geschichten, die in den vergangenen Jahren eingegangen sind.

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Dieses Portal hat mehrere Ziele. „Wir wollen damit den Menschen erklären, was sich hinter dem Begriff Missbrauch verbirgt“, sagt Brigitte Tillmann. „Hinter dem Begriff werden konkrete Erfahrungen deutlich.“ Die Opfer stellten mit ihren Geschichten wertvolles Wissen zur Verfügung.

Es geht auch um eine Botschaft an die Gesellschaft

Aber dieses Portal, diese Geschichten, sagt Matthias Katsch, auch Mitglied der Kommission, „hat auch noch Botschaften an die Gesellschaft: Jahrzehntelang hat man beim Thema Missbrauch weggeschaut, jetzt soll man dabei helfen, dass Kinder und Jugendliche besser geschützt werden.“

Dabei, das betont Brigitte Tillmann, ist die Schilderung des eigenen Leids „auch eine Gratwanderung, sie erfordert Kraft und Mut“. Die Opfer müssten sich mit Fragen auseinandersetzen. Wie genau darf man den Missbrauch schildern? Was ist den Lesern zuzumuten? Wie vermeidet man Voyeurismus?

Wer schreibt, will sich auch selber entlasten

Aber jene Menschen, die ihre Geschichte veröffentlichten, wollten sich damit auch selber entlasten. „Ein Opfer“, sagte Brigitte Tillmann, „hat geschrieben: Warum soll ich ein Pseudonym verwenden? Ich will, dass meine Kinder stolz darauf sind, dass ich meine Geschichte erzählt habe.“

Eine Frau habe geschrieben: „Ich stelle meinen Bericht zur Verfügung in der Hoffnung, dass ich durch meine Erfahrungen dazu beitragen kann, Kinder besser zu schützen. Und damit meine Vergangenheit einen Sinn bekommt und etwas Positives für mich bewirkt.“ Die Geschichten können auf dem Portal sowohl nach dem Kontext und dem Zeitraum, in dem der Missbrauch stattfand, als auch nach Geschlecht der Betroffenen ausgewählt werden. Auf dem Portal sollen fortlaufend neue Geschichten veröffentlicht werden.

www.geschichten-die-zählen.de

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