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Die Richter urteilen über die Einschätzung des Bundespräsidenten zur NPD.

© dpa

Bundesverfassungsgericht: Joachim Gauck und die Spinner

Das Bundesverfassungsgericht will klären, ob ein Bundespräsident alles sagen darf, was er denkt. Geklagt hat die NPD - sie fühlt sich von Joachim Gauck verunglimpft.

Der Bundespräsident war nicht nach Karlsruhe gekommen. Joachim Gauck ließ sich in dem von der NPD angestrengten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht am Dienstag von David Gill vertreten, dem Chef des Präsidialamts. Der verlas zum Abschluss der Verhandlung über die Klage der Rechtsextremen gegen strittige Debattenbeiträge von Gauck einen Text, in dem das Staatsoberhaupt die Qualität seiner Vorgänger beschwor, mit der Kraft der Rede Debatten eröffnet und Missstände aufgezeigt zu haben. „Das Amt auszufüllen kann nur gelingen, wenn der Bundespräsident die Werte der Verfassung offen verteidigen kann“, trug Gill vor.

Nun haben die Richter eine Frage zu entscheiden, die sie noch nie entschieden haben: Darf ein Bundespräsident alles sagen? Oder hat er sich, ähnlich wie die Bundesregierung in ihrer Öffentlichkeitsarbeit, neutral zu geben? Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle und sein Senat wollen einem kleinen Anlass ein Urteil größerer Bedeutung folgen lassen. Denn der Senat will für das hohe Amt grundsätzlich klären, „wie weit seine Äußerungsbefugnisse reichen“, kündigte Voßkuhle an.

Diskussion mit Kreuzberger Schülern

Den Anlass hatte der Besuch Gaucks in einem Kreuzberger Oberstufenzentrum mit anschließender Podiumsdiskussion Ende August vorigen Jahres geboten. Am Ende wollte eine Schülerin aus Hellersdorf angesichts des Streits um die damals neu errichtete Asylbewerberunterkunft wissen, ob Gauck auch NPD-Plakate abreißen würde, wenn er nicht Präsident, sondern Privatmann wäre. Nein, abreißen nicht, so der Präsident, es gebe doch andere Möglichkeiten, sich gegen Rechte zu wehren. Aber es sei schon „eklig“, dass sie in Volkes Mitte Gehör fänden. „Enorm peinlich“ sei ihm das, „von allen politischen Irrtümern der widerlichste.“ Irrtümer jedoch könne man nicht verbieten, man müsse sie bekämpfen: „Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre Grenzen aufweisen und die sagen: bis hierher und nicht weiter.“

Auf die Frage eines anderen Schülers, was er von einem Parteiverbot halte, kam Gauck richtig in Fahrt. Nein, meinte er, wir sollten die Rechten nicht mit unser Angst beschenken. Wichtig sei, dass es keine Bündnisse mit ihnen gebe. „Übrigens: Wir können die Partei verbieten, aber die Spinner, Ideologen und Fanatiker, die haben wir dann nicht aus der Welt geschafft. Die sind ja nicht irgendwo in einem Lager dann, sondern die suchen sich Kameradschaften und Cliquen, wo die dann weiter ihr Unwesen treiben.“

So redete der Präsident vor rund 500 Erst- und Jungwählern zwischen 18 und 25 Jahren, einige Zitate rauschten durch die Presse. Ein Eingriff in die Chancengleichheit des politischen Wettbewerbs? Mit dem Saarbrücker Rechtsanwalt Peter Rüdiger Richter haben die Rechten einen fachlich begabten Fürsprecher gewonnen, der ihre Interessen nun schon zum wiederholten Mal in Karlsruhe eloquent vertritt. „Unzulässige Wählerbeeinflussung“, nannte er Gaucks rhetorische Volten, zumal im Bund und in Hessen Wahlen anstanden. Selbstverständlich dürfe das Staatsoberhaupt „rechtsextremes Gedankengut mit Werturteilen belegen“. Es gehe aber nicht um das Ob, sondern das Wie. Es wäre möglich, die Kritik sachlich zu formulieren, stattdessen habe er die Parteigänger „aus eigener Machtvollkommenheit als Spinner bezeichnet“.

Polemik, Humor, Ironie?

„Erwarten wir nicht vom Bundespräsidenten, dass er klar Stellung bezieht, auch politisch?“, fragte Voßkuhle. Soll er nicht „stark auftreten“ dürfen, „mit Polemik, Ironie, Humor“? Gauck hätte, wäre er da gewesen, eine klare Antwort darauf gewusst. Das Gericht will darüber erst noch beraten.

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