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Zwei, die sich verstehen: Angela Merkel und Martin Schulz beim so genannten "TV-Duell".

© Reuters

Bundestagswahl 2017: Wahlkampf ist kein Werbefernsehen

Der Wahlkampf sei langweilig, heißt es. Na und? Wahlkampf muss nicht unterhalten. Denn das ist oft das Gegenteil von gut gemachter Politik. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Wochenlang war sie der Grund zum Ächzen und Stöhnen über den Wahlkampf. Profikritiker und Laien, Polit-Erklärer und Normalbürger beklagten die Langeweile, vorzugsweise im Ton von Leuten, die gerade im Kino einen enttäuschenden Film gesehen haben. Damit tun sie der Langeweile unrecht. Sie reden eine Eigenschaft schlecht, die man in der Politik nicht hoch genug schätzen kann. Und auch im nicht politischen Leben hat sie ihr Gutes, vom Sport mal abgesehen.

Wenn der Polit-Betrieb nicht langweilig ist, wenn es nicht um das langwierige Überwinden von Gegensätzen und das Aushandeln von Kompromissen geht, dann wird er plötzlich, kurzweilig – und unheimlich. Harmlos kurzweilig sind bloß Rücktritte (außer für die oder den Zurücktretenden). Ansonsten kommt kurzweilige Politik vor allem von Leuten, bei denen man sich fragt, inwieweit sie selbst Politik über das Kurzweilige hinausdenken. Sie machen Politik per Twitter oder per Raketentest oder per Verhaftungswelle. Das Publikum dieser Politik dankt oft im Stillen dafür, von solcher Politik nicht betroffen zu sein.

Wenn der Bürger Krawall will, dann sollte er in ein Catcher-Zelt gehen. Dort ist Klamauk. Seriosität ist jedoch nicht für alle langweilig. Jeder wirbt für sich und seine Politik. Somit ist Wahlkampf auch Werbefernsehen.

schreibt NutzerIn klausbork

So langsam vergeht dem deutschen Wahlkampf die Langeweile. Doch musste sich noch nie jemand mit den Botschaften der Plakate oder der Merkelschen „Mutti macht das schon“- Attitüde begnügen. Nur Leute, die demokratische Politik mit dem Werbefernsehen verwechseln, hatten in diesem Wahlkampf Anlass, sich über Langeweile zu beklagen. Aber die verwechseln auch die Aufforderungen „Kauf’ das“ und „Wähl’ mich“.

Politikbetrieb besteht aus Fragen, Antworten und Entscheidungen. Schlaumachen muss man sich selbst – damit wäre jede Plakatkampagne überfordert. Gelangweilt betrachtet man die Kanzlerin, die im Schlafwagen zur Macht rollen möchte – und fragt sich: Schätzt sie die Dauer der Fahrt richtig ein? Oder kommt der Schulz-Zug noch mal auf Tempo, weil der Lokführer auf täglich neue Weise gute Angebote zum sachlichen Streit macht?

Oder man betrachtet St. Martin, den Glücklosen, sein plakativ- freundliches Lächeln – und fragt sich, wie das denn funktionieren soll mit „Mehr Gerechtigkeit“. Wer es ausführlich mag, kann das lesen, umsonst im Internet, in vier verschiedenen Versionen von „In einer Minute“ bis zur altmodisch-ausführlichen Version.

Würde man den Betrieb auch dann langweilig finden, wenn man dabei wäre?

Alles bloß Versprechen? Auch die gehören zur Politik. Wer denen, die jetzt gerade noch regieren, ihre Versprechen vorhält, ist von angeblicher Wahlkampf-Langeweile schon einigermaßen weit entfernt. Er fragt sie, was aus ihren Versprechen von vor vier Jahren geworden ist, und er fragt sich, was ihm denn wichtig ist an der Politik von morgen.

Wer sich so fragt, für den ist die Politik hierzulande alles andere als langweilig. Und dabei war bislang bloß vom Regierungsbetrieb die Rede. Alles andere als langweilig und sehr fantasieanregend sind zum Beispiel die Antworten der Linken auf die Frage, wie sie internationale Sicherheitspolitik machen würde.

Oder die Antworten auf die Frage, woher der Groll derer auf den Politikbetrieb kommt, die sich zur AfD bekennen – zwei Themen, über die man kurzweiligst streiten kann, wenn einen die Merkel-Schulz-Performance immer noch langweilt. Wer sich in Erwartung einer neuen großen Koalition schon jetzt langweilt, sollte sich fragen, was er sich von der künftigen Opposition erwartet.

Wahlkampf ist nun mal eine Sparte der Unterhaltungsindustrie und gehört nicht zur Politik. 

schreibt NutzerIn ralf.schrader

Das ist die große Stärke der Langeweile: Wenn man nicht so tut, als sei die Langeweile die Schuld von jemand anderem, wenn man sie zulässt, wird sie mit etwas Mühe zur Erkenntnis – oder jedenfalls zu frischer Kenntnis von ein paar Zusammenhängen.

Langeweile ist der Ausgangspunkt von politischen Erwartungen, vielleicht auch von Forderungen, die man zur Abwechslung mal an sich selbst richtet. Würde man den Betrieb auch dann langweilig finden, wenn man dabei wäre? Wenn man ihn genau verstünde? Was ist es, was einen am Politikbetrieb langweilt – und warum? Wie könnte man ihn ändern? Warum macht man es nicht?

Im Vergleich zu dem, was in vielen anderen Staaten passiert, ist der deutsche Politikbetrieb angenehm langweilig. Vieles wirkt erwartbar, alles erscheint berechenbar, sogar eine schwarz-gelb- grüne Koalition, auch wenn ihre Protagonisten so reden, als fehle ihnen die Fantasie dazu. Langeweile beim Betrachten des Politikbetriebs setzt indes nicht allein berechenbare Politiker voraus, sondern auch große Sicherheit.

Damit kann es auch schnell vorbei sein.

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