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Aus Putins Sicht dürfte Merkel ein ideales Ziel seines Propagandafeldzuges gegen den Westen insgesamt, die Nato und Europäische Union sein.

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Bundestagswahl 2017: Trump und Putin sind Merkels beste Wahlkampfhelfer

Angela Merkel ist Kanzlerin des stärksten und wichtigsten Landes der Europäischen Union. Ausgerechnet Donald Trump und Wladimir Putin werden dafür sorgen, dass das so bleibt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Ist Angela Merkel das nächste Opfer? Die Warnungen sind jedenfalls laut und deutlich. Sie stammen aus dem Bundeskanzleramt, dem Justizministerium, von den Geheimdiensten. Demnach hat die deutsche Regierung keinen Zweifel daran, dass Russland massiv versuchen wird, die Bundestagswahl im kommenden September zu beeinflussen. Die Rede ist von Cyberangriffen, Desinformationskampagnen, der gezielten Publikation von Informationen, die durch Hackerangriffe erbeutet wurden. Es wird einen Wahlkampf neuer Prägung geben, heißt es.

Die These klingt im höchsten Maße plausibel – und zwar nicht allein vor dem Hintergrund der jüngsten amerikanischen Erfahrungen mit der Perfidie offenbar vom Kreml gesteuerter Hackerangriffe. Nein, auch Deutschland selbst hat bereits unangenehme Bekanntschaft mit dem Thema machen müssen. Da ist zum einen der Fall Lisa. Vor genau einem Jahr hatten von Moskau beeinflusste Medien wie „Russia Today“ die Geschichte über das angeblich in Berlin von nahöstlichen Flüchtlingen vergewaltigte russlanddeutsche Mädchen verbreitet. Es kam zu Protesten von Russlanddeutschen, selbst der russische Außenminister äußerte sich und verlangte Aufklärung. Wenig später stellte sich die Geschichte als frei erfunden heraus.

Da ist zum anderen die offenbar sehr erfolgreiche Infiltration des internen Netzwerkes des Deutschen Bundestages, die im Mai 2015 bekannt wurde. Große Datenmengen wurden abgesaugt. Am Ende November 2016 später kamen die deutschen Geheimdienste zu dem Ergebnis, dass dies mit großer Wahrscheinlichkeit von russischen Hackern verübt worden war. Und da ist zuletzt der Cyberangriff auf die Deutsche Telekom vor einem Monat, als 900.000 Nutzer mehrere Stunden lang vom Internet und der Nutzung des Telefon-Festnetzes abgeschnitten waren. Auch in diesem Fall wird Russland als Verursacher vermutet.

Angela Merkel ist Kanzlerin des stärksten und wichtigsten Landes der Europäischen Union. Sie hat die längste Regierungserfahrung, unterstützt als treibende Kraft die EU-Sanktionspolitik gegenüber Russland wegen der Krim-Annexion und dem Krieg im Osten der Ukraine. Aus Wladimir Putins Sicht dürfte sie ein ideales Ziel seines Propagandafeldzuges gegen den Westen insgesamt, die Nato und Europäische Union sein.

So weit, so klar. Oder etwa nicht?

Zweifel an den finsteren Intentionen Moskaus zu haben, wäre naiv. Aber Zweifel an der Macht des Kreml, mit seinen Manipulationsmethoden wirklich die Bundestagswahlen beeinflussen zu können, sind angebracht. Denn drei Faktoren sprechen dagegen – die Stabilität des deutschen Parteiensystems, das abschreckende Beispiel der letzten US-Präsidentschaftswahl, das zunehmend negative Image von Wladimir Putin in Deutschland.

Eine Koalition mit der AfD haben alle anderen ausgeschlossen

Im Deutschen Bundestag sind derzeit vier Fraktionen vertreten: die konservative Union (aus CDU/CSU), die sozialdemokratische SPD, die ökologischen Grünen und die sozialistische Linke. Regiert wird das Land von einer großen Koalition aus Union und SPD. Nach der nächsten Wahl dürfte erstmals die rechtspopulistische AfD einziehen wie auch erneut die liberale FDP. Auf jeden Fall wird es wieder zu einer Koalitionsregierung kommen müssen, weil keine Partei die absolute Mehrheit erhält. Eine Koalition mit der AfD haben alle anderen Parteien kategorisch ausgeschlossen.

Alle Umfragen spiegeln seit rund einem Jahr eine erstaunliche, wie in Zement gegossene Parteienpräferenz der Deutschen wider. In der Welt draußen mag passieren, was will – Trump-Wahl, Brexit, Flüchtlings- und Eurokrise -, nervös wird der Wähler nicht so schnell. Die Union liegt zwischen 30 und 35 Prozent, die SPD zwischen 20 und 25 Prozent, Grüne, Linke und AfD jeweils zwischen 10 und 15 Prozent, die FDP knapp über 5 Prozent. In keinem Szenario zeichnet sich ein Machtwechsel ab. Merkel wiederum hat mehrere Optionen, weiter Kanzlerin zu sein. Sie gilt als zwar langweilig, aber verlässlich und berechenbar. Alles andere als eine Fortsetzung ihrer Regierungszeit wäre eine Sensation. Das Parteiensystem scheint gegen Erschütterungen immun zu sein.

Der Wert von Merkels Berechenbarkeit wird verstärkt durch den Schock, den in Deutschland die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten ausgelöst hat. Einmal mehr schienen sich dadurch viele Annahmen der Deutschen über die leichte Verführbarkeit der Amerikaner, ihre Korrumpierbarkeit und den Show-Charakter ihrer Politik bestätigt zu haben. Im Umkehrschluss folgte daraus der Imperativ: Das kann uns nicht passieren! Wir fallen nicht auf Fake-News, Breitbart, twitternde Kandidaten, Wikileaks-Veröffentlichungen oder Rush-Limbaugh-Parolen herein! Der gute Deutsche ist fest davon überzeugt: Amerikaner sind politisch unreif, wir Deutschen politisch reif.

Das Ansehen der Vereinigten Staaten ist in Deutschland ohnehin auf einem Tiefpunkt. Nur 50 Prozent haben ein gutes Bild von Amerika, 45 Prozent ein schlechtes. Das ergab eine Umfrage des Pew-Research Centers vom Juni 2015, zu einer Zeit also, als Barack Obama noch amtierte. Als Hauptgrund galt damals die NSA-Spionageaffäre. In jedem anderen europäischen Land fiel das Urteil über die USA positiver aus. Mit Trump dürfte sich das Bild von Amerika in Deutschland weiter eintrüben. Trump ist gewissermaßen eine lebende Warnung, wohin Rechtspopulismus führen kann. Ein abschreckendes Beispiel.

Kritiker Merkels möchten auf keinen Fall so klingen wie Trump

Mit dem Brexit und der Wahl Donald Trumps hat sich der Rechtspopulismus gewandelt. Aus dem Charme des Oppositionellen, gekoppelt an eine direkte, angriffslustige Sprache, ist plötzlich ein real existierender Rechtspopulismus geworden. Mit Mauer, Protektionismus, Ausländerfeindschaft. Trotz und Protest haben als Motivation, rechts zu wählen, ausgedient. In Theresa May und Donald Trump kann jeder sehen, wohin das führt.

Sollte Putin in den deutschen Wahlkampf eingreifen, wäre die Replik der führenden Politiker an die Adresse der deutschen Wähler klar: Wollt ihr euch dadurch ebenso verunsichern lassen wie die Amerikaner, politisch unreif werden, den Kompass verlieren? Womöglich würde ein Eingreifen Putins, verbunden mit fortgesetzten Angriffen Trumps auf Merkel die Popularität der Kanzlerin sogar steigern.

Ja, auch Deutsche mögen viele kritische Fragen haben zur Flüchtlingspolitik oder zur Europäischen Union. Aber sie möchten auf keinen Fall so klingen wie Trump. Und sie möchten sich auf keinen Fall dem Vorwurf aussetzen, ebenso leicht, wie Amerikaner es taten, auf russische Propaganda hereinzufallen. Dann lieber Merkel wählen, zu ihr halten. Zumal der Slogan „Merkel muss weg!“ auch die zentrale Parole der rechtspopulistischen AfD ist. In diesem Sinne stehen Anti-Trumpismus, Antiamerikanismus und deutscher Nationalismus einem Erfolg russischer Wahlmanipulationsversuche im Wege.

Bleibt zuletzt das Image Putins. Traditionell fühlen sich viele Deutsche Russland nahe. Diese Tendenz hat die Wiedervereinigung noch verstärkt. Willy Brandts Ostpolitik war populär, die Kalte-Kriegs-Rhetorik der Konservativen unpopulär, die Kriegsschuld mit Millionen sowjetischer Toten mahnte die nachfolgenden Generationen zur Versöhnung. Doch seit der Annexion der Krim, dem fortgesetzten russischen Krieg im Osten der Ukraine und vor allem der militärischen Parteinahme Russlands für Syriens Diktator Assad gibt es kaum noch jemanden, der Putins Politik verteidigt. Die Bilder aus Aleppo wirken nach. Als Alternative zur transatlantischen Partnerschaft wird Russland – trotz Trump – nicht mehr wahrgenommen.

Ist Angela Merkel das nächste Opfer russischer Desinformation? Wahrscheinlich nicht. Vor allem die Umstände, die zur Wahl Donald Trumps geführt haben, dürften eine Wiederholung verhindern. Geschichte ereignet sich zum erstenmal als große Tragödie, zum zweitenmal als lumpige Farce, schrieb Karl Marx. Manchmal aber genügt die Warnung vor der Tragödie, um vor der Farce bewahrt zu bleiben. Danke, liebe Trump-Wähler!

- Dieser Artikel erschien zuerst in der “Washington Post”.

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