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Seit gut einem Jahr ist Wolfgang Kubicki (FDP) Bundestagsabgeordneter. Das war er 1990 bis 1992 schon einmal.

© dpa/Daniel Naupold

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP): „2019 wird die AfD an Zustimmung verlieren“

Der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) spricht über Extremismus, vorgezogene Neuwahlen – und alte weiße Männer.

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Herr Kubicki, am Freitag ist einer der größten Hackerangriffe der deutschen Geschichte ans Licht gekommen. Sensible Daten von hunderten Politikern sind veröffentlicht worden. Haben die deutschen Sicherheitsbehörden versagt?

Derzeit wäre es noch zu früh, eine qualifizierte Einschätzung hierzu abzugeben. Sicher ist aber wohl, dass nach aktuellem Stand die Sicherheitssysteme beispielsweise des Bundestages nicht betroffen sind. Die Sicherheitsarchitektur scheint also grundsätzlich intakt. Problematisch ist jedoch, dass Daten offensichtlich über Phishing oder ähnliche Verfahren abgesaugt wurden.

Erwarten Sie, dass die Vorkommnisse personelle Folgen haben?

Auf der vorliegenden Informationslage eher nicht. Aber bisher ist die Situation noch zu volatil.

Was muss geschehen, um die Datensicherheit zu erhöhen und solche Angriffe zu verhindern?

Ich bin kein IT-Fachmann. Ich gehe aber davon aus, dass wir diese ernste Situation zum Anlass nehmen sollten, die Sicherheit unserer Kommunikationsmittel noch kritischer zu beobachten. Spionage und unerlaubte Informationsgewinnung hat es schon immer gegeben. Es war aber noch nie so leicht, Daten aus jedem Land der Welt zu gewinnen.

Warum fällt es Politikern so schwer, in der Öffentlichkeit Fehler einzugestehen?

Ist das so? Und wenn es so sein sollte, dann liegt das daran, dass wir alle im Wettbewerb untereinander stehen. Wer Fehler eingesteht, läuft Gefahr, dafür in der eigenen Partei oder von den politischen Konkurrenten gebrandmarkt zu werden.

Wann haben Sie zum letzten Mal öffentlich einen Fehler eingestanden?

Das ist noch gar nicht so lange her. Es ging um meine Vorurteile gegenüber Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter. Mit KGE habe ich das geklärt und mit Herrn Hofreiter will ich mich in den nächsten Wochen mal zum Weintrinken verabreden, und ich hoffe, dass ein Kennenlernen dabei hilft, unsere wechselseitigen Vorurteile auszuräumen.

Vor mehr als einem Jahr hat die FDP die Jamaika-Verhandlungen beendet. Das wird Ihrer Partei noch immer als Fehler angekreidet. Wäre es nicht an der Zeit zu sagen: Stimmt, das war falsch?

Ich fand unsere Entscheidung damals und auch heute noch richtig. Es gab seinerzeit keine Grundlage mehr dafür, die Gespräche mit Union und Grünen fortzusetzen und es war daher nur folgerichtig, die Gespräche zu beenden. Wenn ich mir die konstant guten Umfragewerte der FDP seither ansehe, dann lese ich daraus, dass uns viele in dieser Entscheidung unterstützen.

Wieso hält sich die Auffassung so hartnäckig, dass die FDP vor der Regierungsverantwortung zu früh geflüchtet ist?

Ich sehe vor allem, dass die Medien hartnäckig an dieser Legende festhalten. In der FDP und unter unseren Anhängern gibt es darüber keinen Dissens. Kurz nach der Entscheidung haben wir ein Meinungsbild eingeholt. 90 Prozent der FDP-Anhänger hielten unsere Entscheidung für richtig. Und die Tatsache, dass wir seither konstant zwischen acht und zehn Prozent in den Umfragen abschneiden, lässt mich vermuten, dass das Ergebnis nicht viel anders ausfallen würde, wenn wir heute noch einmal fragen würden, ob wir 2017 richtig gehandelt haben.

Profitiert haben von der nach Ihrer Absage an die Regierungsbeteiligung ins Amt gekommenen großen Koalition vor allem die Grünen und nicht die FDP. Was machen Robert Habeck und Annalena Baerbock besser als Ihre Partei?

Zunächst einmal profitieren die Grünen aus meiner Sicht, weil ihre Anhänger mit der neuen Führung unter Frau Baerbock und Herrn Habeck viel zufriedener sind als mit deren Vorgängern. Eine Rolle spielt aber gewiss auch, dass die Themen des vergangenen Jahres, der Klimawandel und die Verschmutzung der Meere mit Plastik, eher grüne Themen sind. Insgesamt ist das aber kein neues Phänomen. Die Grünen wurden in den vergangenen zwölf Jahren regelmäßig in der Mitte der Legislaturperiode gehypt. Schon vergessen: im Mai 2011 lagen sie bundesweit bei 28 Prozent. Nach den Bundestagswahlen waren die Grünen dann trotzdem immer die kleinste Fraktion. Ich bin ganz gelassen. Auch das aktuelle Hoch der Grünen wird sich nur als Zwischenhoch erweisen. Und wenn die FDP auch 2019 Kurs hält, dann bin ich ganz sicher, dass wir die Partei bei dauerhaft zehn Prozent und mehr halten können.

Ein Jahr nach dem Start der großen Koalition hat die Union zwei Vorsitzende verloren, und die SPD ist in den Umfragen abgestürzt wie noch nie. Bereiten Sie sich auf vorgezogene Neuwahlen vor?

Wir sind darauf vorbereitet. Aber wir spekulieren nicht darauf, sondern arbeiten unser Programm ab. Insbesondere für die Sozialdemokraten wird 2019 zu einem entscheidenden Jahr, denn jeder sieht, dass ihnen die Luft ausgeht und es überhaupt keinen Sinn macht, in der großen Koalition weiter dahinzusiechen und darauf zu warten, bis sie ihren Status als Volkspartei endgültig verloren hat.

Was verliert Deutschland, wenn die SPD nicht mehr auf die Füße kommt?

Wenn es den Grünen gelingt, sozialpolitische Themen stärker aufzugreifen, wird das womöglich nicht weiter auffallen. Ich persönlich würde einen Niedergang der SPD allerdings sehr bedauern, denn meine politische Entwicklung ist durch die Zeiten sozial-liberaler Koalitionen geprägt, die für dieses Land nicht die Schlechtesten waren. Und ich glaube, in den vor uns liegenden gesellschaftlichen Umbrüchen, in der Digitalisierung, der Globalisierung und auch der Außenpolitik, wäre eine starke Sozialdemokratie wichtig, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu gewährleisten. Momentan mangelt es der SPD ganz offensichtlich an Führungspersönlichkeiten, die die Menschen davon überzeugen können, dass es Sinn macht, die SPD zu wählen. Und das wird sich wohl auch nicht ändern, solange die Partei sich nicht entscheiden kann, was sie sein will, Motivationspartei für die Leistungserbringer dieses Landes oder sozialer Reparaturbetrieb. Allein die Debatte um Hartz IV zeigt das ganze Dilemma: Während sich die einen dafür schämen, sehen die anderen, dass diese Reform zur Grundlage unseres Wohlstandes beigetragen hat. Solange die SPD keine programmatische Klarheit hat und keine überzeugende Führung, wird sie nicht aus dem Tief herauskommen. Und das geht wohl nur über ein Ende der Koalition.

Warum die CDU besser Friedrich Merz gewählt hätte

Wolfgang Kubicki (FDP) hätte lieber Friedrich Merz an der Spitze der CDU gesehen.
Wolfgang Kubicki (FDP) hätte lieber Friedrich Merz an der Spitze der CDU gesehen.

© dpa/Kay Nietfeld

Vor der Wahl eines neuen CDU-Chefs haben Sie Annegret Kramp-Karrenbauer als „Merkel für Arme“ bezeichnet. Nun ist sie CDU-Vorsitzende geworden und nicht Friedrich Merz. Zeit, eine Fehleinschätzung dieser Frau zu korrigieren, Herr Kubicki?

Nein. Ich bin noch immer der Auffassung, dass die CDU Friedrich Merz hätte wählen müssen, wenn sie Wahlen gewinnen will. Aber hier gilt genau wie bei der SPD: Die jeweiligen Parteimitglieder und Führungskräfte haben entschieden und es steht mir nicht an, darüber zu richten.

Sprechen wir also über Ihre Partei: In diesem Jahr stehen drei Landtagswahlen in Ostdeutschland an. Warum sollten die Brandenburger, Sachsen und Thüringer FDP wählen?

Weil auch den Menschen in diesen Bundesländern klar sein muss, dass ohne eine vernünftige Wirtschaftspolitik die Lebensgrundlagen von tausenden Menschen ruiniert werden. Nehmen sie den Braunkohleausstieg in der Lausitz: Ohne vernünftige Alternativen, für die die Landespolitik die Weichen stellen muss, wird das Leben der Menschen dort hart werden. Oder der Skandal der Dieselfahrzeuge, der ein beispielloses Politikversagen markiert. Bis 2015 hat die Politik den Kauf der Diesel subventioniert, jetzt sind die Autos nichts mehr wert. Das zeigt, wie direkt politische Entscheidungen das Leben beeinflussen und warum es so wichtig ist, vernünftige Wirtschaftspolitik zu betreiben, wie wir es können. Wenn ich mich unter den Wettbewerbern umsehe, dann ist die FDP die einzig verbliebene politische Kraft mit wirtschaftspolitischer Kompetenz.

Herr Kubicki, Sie sind Vizepräsident des Bundestages, in dem die AfD seit gut einem Jahr sitzt. Die Hoffnung, dass sich die Rechtspopulisten selbst entzaubern, ist nicht aufgegangen. Was haben die Demokraten falsch gemacht?

Die AfD hat bundesweit ihren Zenit überschritten, das ist klar zu erkennen. Deshalb rate ich allen demokratischen Fraktionen im Bundestag dringend zu einem gelassenen und professionellen Umgang mit den Politikern. Ihnen nicht die Hand zu geben und bei jeder Wortmeldung der AfD-Abgeordneten aus dem Häuschen zu geraten, finde ich nicht angemessen. Ich beobachte ohnehin, dass sich das Bild der AfD bei ihren Anhängern abschleift, seit die Spannungen innerhalb der Fraktion zunehmen und die Abgeordneten in den Ausschüssen mitarbeiten, statt nur rumzusitzen. Im vor uns liegenden Jahr 2019 wird die AfD an Zustimmung verlieren, da bin ich mir sicher.

Das Engagement des Verfassungsschutzes bei der Beobachtung der AfD ist bisher begrenzt. Halten Sie das für einen Fehler?

Ich warne dringend davor, den Verfassungsschutz politisch zu instrumentalisieren. Die Behörde kommt ihrer Aufgabe nach und jede Aufforderung, die AfD zu beobachten, verstärkt deren Opferrolle und Argumente, die anderen Parteien wollten sie mundtot machen. Statt uns nur darauf zu konzentrieren, die Partei zu verteufeln, müssen wir die anstehenden Probleme lösen. Nehmen Sie allein das nicht funktionierende Handynetz: ein Debakel für eine Industrienation wie Deutschland. Und jetzt verklagen die Mobilfunkunternehmen auch noch die Netzagentur wegen der 5-G-Ausschreibung. Ganz offensichtlich funktionieren grundlegende Verwaltungsabläufe nach den ganzen Jahren der großen Koalition nicht so, dass sie in angemessener Weise auf die anstehenden Aufgaben reagieren können.

Nach wie vor punktet die AfD mit der Angst der Menschen vor kriminellen Ausländern. Nun hat es in Amberg erneut eine Attacke von Asylbewerbern gegeben und wieder fordert der Innenminister konsequentere Abschiebungen und dafür schärfere Gesetze. Hat Seehofer recht damit?

Wie immer hat Herr Seehofer nicht recht. Das sieht man schon daran, dass er im Sommer behauptet hat, dass wir Grenzkontrollen brauchen, damit nicht Flüchtlinge aus Österreich einwandern. Das betraf im vergangenen halben Jahr nicht einmal ein Dutzend Personen. Dafür hat sich die Koalition zwei Wochen ein Schauspiel geliefert, das seinesgleichen gesucht hat. Nein, wir haben ausreichend Gesetze, um kriminelle Flüchtlinge abzuschieben. Sie müssen nur angewandt werden. Und das geschieht nicht. Weder beim Abschluss von Rücknahmeabkommen mit anderen Ländern noch bei der Ausstattung von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten mit dem notwendigen Personal.

Unlängst wurden Sie, Herr Kubicki, als letzter alter weißer Mann der Politik bezeichnet, der sich um MeToo-Debatten nicht schert. Fühlen Sie eigentlich eine persönliche Mitschuld daran, dass die FDP ihren Ruf als Männerpartei nicht loswird?

Bestimmt nicht. Das kann schon allein deshalb nicht sein, weil in meinem Landesverband der Anteil der Frauen in Funktionen und auch bei den Mitgliedern größer ist als anderswo. Und zwei Drittel der Abgeordneten im Bundestag aus Schleswig-Holstein sind Frauen. Im Übrigen wehre ich mich entschieden gegen den diskriminierenden Duktus in der Formulierung „alter weißer Mann“, so als sei alles andere, was nicht alt und weiß ist, per se die bessere Alternative.

Was machen die Frauen in der FDP falsch, dass sie so wenig zum Zuge kommen und die Partei von so wenig Frauen gewählt wird?

Das kann ich ihnen nicht sagen. Wir haben eine Kommission eingerichtet, die im Sommer Vorschläge dafür vorlegen wird, wie die FDP attraktiver für Frauen werden kann. Dass wir eine Quote einführen, glaube ich allerdings nicht.

Empfehlen Sie Ihrer Partei eine Quote?

Ich habe den Frauen schon häufiger gesagt: Denkt doch mal nach, ob eine Quote helfen würde! Doch die Mehrheit der Frauen in der FDP lehnt das ab. Daran würde sich wahrscheinlich auch nichts ändern, wenn Christian Lindner und ich gemeinsam für eine Quote werben würden.

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